Rheinischer Kapitalismus:Wende im Krimi um den Berliner "Tagesspiegel"

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Eine Bank und ein Verlag aus Köln treten auf die Bühne.

Hans-Jürgen Jakobs

(SZ vom 13.05.2003) — Jahrelang war für deutsche Verleger der Tagesspiegel in Berlin eher Faux-pas als Faszination. Mit fragenden Augen verfolgten sie, wie die Stuttgarter Holtzbrinck-Gruppe das Anfang 1993 gekaufte Blatt zur großen Zeitung für Deutschland ausbauen wollte - und sich Verluste türmten.

Respekt nötigte die journalistische Reputation ab, für die Chefredakteur Giovanni di Lorenzo sorgte. Aber kaufen, kaufen wollte das Objekt keiner.

Nun auf einmal sieht es aus, als sei der kleine Tagesspiegel (Auflage: 139.000 Exemplare) der Mittelpunkt der großen Medienwelt. Grund dafür sind die Querelen rund um Holtzbrincks Plan, sein verlustbringendes Hauptstadtblatt wirtschaftlich mit der Berliner Zeitung zu verschmelzen, die er für knapp 200 Millionen Euro gekauft hatte.

Das Bundeskartellamt hat diese Presse-Ehe untersagt - und Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) scheint zwar nicht abgeneigt, eine von Holtzbrinck beantragte Ausnahmegenehmigung für den Deal zu erteilen, gleichwohl regte er sechs weitere Wochen Prüfzeit an. "Die Voraussetzungen für eine abschließende Bewertung" seien "noch nicht erfüllt", teilte sein Amt jetzt mit.

Banker suchen Käufer

Nun soll geprüft werden, ob es nicht doch einen separaten Käufer für den Tagesspiegel gebe und somit der angebliche wirtschaftliche Zwang zur Berliner Fusion entfalle. Eine Bedingung dabei ist offenbar, dass der gesuchte Verleger eine Art Bestandsgarantie für den Tagesspiegel ausspricht, dessen Redaktion per Stiftung unabhängig von der Berliner Zeitung geführt werden soll.

In dem Zeitungskrimi tritt auch eine Privatbank auf, die Minister Clement aus seiner Zeit als nordrhein-westfälischer Landespolitiker gut kennt: Sal. Oppenheim aus Köln. Die rheinischen Finanzexperten, die in den Achtzigern mal als Strohmänner für Leo Kirch bei heimlichen Aufkäufen von Aktien des Springer Verlags auftraten, sollen im Zuge einer Ausschreibung einen Käufer finden - dabei hatte Holtzbrinck offenbar auch an eine Schweizer Investmentbank gedacht.

Zuletzt waren die Oppenheim-Leute vor 13 Monaten in Berlin aufgefallen, als sie im Tagesspiegel eine lange Gegendarstellung zu einem kritischen Bericht über die "KölnArena" einrückten.

Bei ihrem neuen Auftrag brauchen die Banker womöglich ja nur ein paar Ortsgespräche und Dienstfahrten in Köln. Bankbaron Alfred Freiherr von Oppenheim sitzt zufällig im Aufsichtsrat des Zeitungshauses DuMont Schauberg (Kölner Stadt-Anzeiger, Kölnische Rundschau, Express), dessen Geschäftsführer sich ausgerechnet am gestrigen Montag breit in Holtzbrincks Handelsblatt präsentierten.

Nassforsch empfahl Konstantin Neven DuMont, dass Clement den Anzeigenverbund zwischen Berliner Zeitung und Tagesspiegel "mittelfristig" genehmigen müsse, die Herausgeberschaften aber unterschiedlich zu führen seien. Und dann brachte er sogar eigene Investitionen in Berlin ins Spiel: "Wenn ein wirtschaftlich tragfähiges Modell aufgesetzt werden würde, würden wir darüber nachdenken", erklärte er umständlich. Ein Fall von rheinischem Kapitalismus?

Als weiterer Interessent für den Tagesspiegel gilt noch der Bauer-Verlag, der sich schon für die Berliner Zeitung interessierte, dort aber nicht zum richtigen Verkaufsgespräch geladen worden war.

Die neue Lage hat die Chefs der Axel Springer AG, die mit Bild, Welt und Berliner Morgenpost das Anzeigengeschäft in der Hauptstadt dominiert, alarmiert.

Zwar begrüße man, dass Clement nun Holtzbrincks Sicht anzweifele, dass es für den Tagesspiegel keine andere Lösung als die Fusion gebe - anderseits jedoch warnt eine Sprecherin vor ministeriellen "Schein-Auflagen".

Aber noch hat Oppenheim ein paar Wochen Zeit.

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