Report:Here we go

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Die Amerikaner wollen ihre großen Spritschlucker. General Motors, Ford und Fiat Chrysler dominieren mit ihren Pickup-Trucks. Die Deutschen dieseln in der Nische.

Von Thomas Fromm und Claus Hulverscheidt, Detroit

Die Dame steht vor dem amerikanischen Boliden auf der kleinen, runden Bühne. Sie trägt ein sehr kurzes sehr enges Kleid und schwarze, hochhackige Stiefel bis zu den Knien. Wenn sich kleine Männergruppen ihrer Bühne nähern, ruft sie ihnen schon von Weitem zu: "Hey you guys, do you enjoy the show?"

Ob ihnen die Show gefällt? Welche Show? Die Autoshow? Ihre Show?

Die Männer gehen dann meistens kurz zu ihr rüber und schauen sich den Sportwagen an. Oder zumindest tun sie so, als ob sie sich das Auto anschauen, und irgendwie sind die Grenzen dann fließend: Ist das noch Auto-Show? Oder schon Table-Dance-Bar mit Animation und Auto?

Ein paar Meter weiter lädt eine weitere Dame (sie sieht ein bisschen aus wie die Lady von der runden Drehbühne) zum "Dodge Viper Challenge" ein: PS-Starker Bolide in gelbem Schlangenhaut-Design steht vor einer Videowand - ein Animationsspiel für Erwachsene und unverbesserliche Benzinköpfe. So geht es zu bei der North American International Auto Show in Detroit, die bis zum 24. Januar läuft.

Here we go, da ist sie wieder, die alte, amerikanische Autowelt.

Volkswagen steht wegen der Dieselaffäre mit dem Rücken zur Wand, alle reden über die Wichtigkeit sauberer Motoren und dass es eigentlich wichtig wäre, so schnell wie möglich auf umweltfreundliche Antriebe wie Elektromotoren umzusatteln - und hier in Detroit wollen sie einfach nur spielen. Während die Deutschen auf der alljährlichen Auto-Schau in Detroit viel über Hybridautos, Elektroantriebe und Vernetzung reden, tun die Amerikaner vor allem das, was sie am besten können: Autos verkaufen. Und zwar auf ihre Art.

Streng genommen dürfte es einen wie ihn zum Beispiel gar nicht mehr geben, so vierschrötig, bullig und breitschultrig, wie er da steht in der Halle A des Detroiter Messezentrums. Der Kühlergrill - so groß wie ein Flachbildfernseher. Der Stadtverbrauch - mindestens 15 Liter pro 100 Kilometer. Der kleinste Motor - immerhin noch ein 2,7-Liter-Ungetüm mit 325 PS.

"Wir können den Diesel jetzt nicht einfach aufgeben."

Alles an ihm wirkt wie aus einem fernen Zeitalter. Doch wen interessiert das schon: Der F-150 ist in den USA das meistverkaufte Auto des Jahres 2015. Dass Audi hier mit einem Wasserstoff h-tron quattro concept versucht, die Brennstoffzellen-Technologie der Zukunft schon mal heute als umweltfreundliche Zukunfts-Alternative in einen großen SUV zu packen und gegen den großen Flachbildfernseher Made in USA zu positionieren - es ist sehr gut gemeint. Denn diese Fahrzeugstudie, die es auf 600 Kilometer Reichweite bringt, soll ja das Unmögliche schaffen: In Zukunft so fahren wie heute und das ganz ohne schlechtes Gewissen - im Grunde eine großartige Auflösung des Dilemmas.

Nur interessiert das in Amerika überhaupt jemanden beim niedrigen Ölpreis?

Von wegen schmutziger Diesel, Stickoxide und Umwelt: Es ist nicht so, als ob sich die amerikanische Autowelt in den vergangenen Monaten groß verändert hätte. Die Amerikaner wollen ihre großen Spritschlucker, und die stehen hier: echte SUVs und authentisch monströse Pick-up-Trucks, Blech-Ungetüme. Denn so verkauft man hier gerade Autos: Um eine Million Pkw ist der Pkw-Absatz in den USA im vergangenen Jahr gestiegen, insgesamt rollten knapp 17,5 Millionen Wagen vom Hof, so viele wie noch nie. Hauptprofiteure sind die "Großen Drei" aus Detroit - General Motors, Ford und Fiat Chrysler -, allesamt Konzerne, die noch vor Jahren als von gestern, ja, als mausetot galten. Nun dominieren sie mit ihren "Pickup-Trucks" einmal mehr die Verkaufscharts, allein der F-150 und seine Geschwistermodelle wurden im vergangenen Jahr mehr als 780 000-mal verkauft. Die Autos der Stunde heißen F-150, Chevrolet Silverado und RAM 1500.

Einen Blockbuster aus Wolfsburg, Ingolstadt, München oder Stuttgart sucht man unter den 15 meistverkauften Autos der USA vergeblich. Der US-Markt wächst, alle profitieren - nur die Deutschen treten auf der Stelle. Sie haben ihren Absatz auf dem US-Markt im vergangenen Jahr gesteigert, aber nur um zwei Prozent. Und das hat nicht nur, aber auch mit der "Diesel-Thematik" zu tun, wie der Volkswagen-Konzern und der Branchenverband VDA den Skandal um gefälschte Diesel-Abgaswerte immer noch beschönigend nennen.

Vierschrötig, bullig und breitschultrig. Der F 150 von Ford ist und bleibt das seit Jahren meistverkaufte Auto in den USA. (Foto: Andrew Harrer/Bloomberg)

Es gibt Automanager, die laufen in diesen Tagen über die Messe von Detroit und sagen hinter vorgehaltener Hand: Der Diesel ist nicht nur diskreditiert in den USA; eigentlich ist er erledigt. Schon seit jeher war er eher die Ausnahme, jetzt ist ganz Schluss. Wäre da nicht dieses eine Problem: Die Deutschen haben beim Diesel in den USA einen Marktanteil von 95 Prozent - eine Dominanz in der Nische. In Zahlen ist das zu wenig, um sich darüber wirklich zu freuen. Aber es ist auch zu viel, um sich - mal einfach so - davon verabschieden zu können. Und deshalb will offiziell niemand den Diesel beerdigen. Im Gegenteil.

Daimler-Chef Dieter Zetsche hat sich sein Jackett abgestreift, sitzt in einem kleinen, weißen Konferenzzimmer und spricht über die Technologien der Zukunft. Er sagt aber auch: "Wir können den Diesel jetzt nicht einfach aufgeben." Zehn Hybrid-Modelle, also Autos mit klassischem Benzin- und Elektromotor, wollen die Stuttgarter bis 2017 auf den Markt bringen. Doch die sind teurer als die klassischen Verbrenner, und warum soll man in Zeiten, in denen der Ölpreis weltweit so niedrig ist, ein teures Hybrid-Auto kaufen? Ein paar Meter weiter sitzt der Rivale aus München und er hat die gleichen Probleme. BMW-Vertriebschef Ian Robertson arbeitet für einen Konzern, der in den vergangenen Jahren verstärkt seine Elektroautos in die Vitrine gerückt hat. Aber das große Geld verdient er mit Groß-Limousinen und Geländewagen. Und, klar, das meiste davon ist Diesel. Er sagt, dass sich "Diesel und Benzin mengenmäßig irgendwann annähern" würden. Also: Dass der Anteil von Diesel in den nächsten Jahren zurückgehen wird. Aber bitte nicht jetzt und nicht sofort. "Wir schaffen die CO₂-Grenzen ohne den Diesel nicht." Die deutschen Autokonzerne und der Diesel, das ist eine Beziehung, die vor allem in den vergangenen 20 Jahren in Europa immer enger wurde. Zwei von drei Neuwagen der Premiumbauer haben einen Dieselmotor. Das prägt.

Einer, der in Detroit schon arbeitet, wenn die anderen noch duschen oder frühstücken, ist Matthias Wissmann, Präsident des Automobilverbandes VDA und oberster Branchenlobbyist. Er tritt hier in jedem Jahr um kurz vor sieben Uhr in der Früh auf, und was er um diese Zeit sagt, wird dann den Tag über besprochen. Jahrelang also stand er hier morgens um sieben und pries den deutschen, sauberen Diesel an. Die deutsche Diesel-Offensive, das war sein Thema. Dann kam ihm die Sache mit VW dazwischen. Es liegt auf der Hand, was gerade passiert: Wegen des Diesel-Skandals bei VW sei die Diesel-Strategie der deutschen Automobilindustrie in den USA "erheblich beschädigt" worden, sagt der VDA-Chef. Aber: "Trotz des Gegenwinds, den wir natürlich gerade hier in den USA erleben, wird sich die deutsche Automobilindustrie nicht von der Diesel-Strategie verabschieden." Wie auch. An diesem Montag aber verschieben sich die Schwerpunkte des Lobbyisten, zum ersten Mal vielleicht. Was sonst soll es bedeuten, wenn jemand sagt, der Diesel sei "nicht das Ende des automobilen Alphabets"?

Die neuen Autos in den USA verbrauchen seit 2014 wieder mehr Kraftstoff

Inzwischen liegt der Marktanteil der Elektrowagen aus Deutschland in den USA bei 20 Prozent, immerhin kam er von neun Prozent. In absoluten Zahlen aber klingt das so: "Mit mehr als 23 000 Neuwagen konnten die deutschen Hersteller 2015 ihren Absatz von E-Autos hier in den Vereinigten Staaten um über 100 Prozent erhöhen."

Da kann man natürlich sagen: Was sind schon 23 000 Neuwagen angesichts der 17 Millionen Fahrzeuge, die hier im Jahr verkauft werden?

Die Deutschen haben sich im Laufe der Jahre festgelegt mit ihrer Diesel-Strategie, und jetzt müssen sie zusehen, wie sie weiterkommen auf diesem Markt, der zwar kräftig wächst, aber gerade deshalb auch schwer umkämpft ist. Der Marktanteil der Big Three aus Detroit ist von rund 66 Prozent Anfang des Jahrtausends auf etwa 45 Prozent gesunken. Hauptprofiteure: Die Asiaten. Und: In den vergangenen 15 Jahren sind traditionsreiche Marken vom US-Markt verschwunden, darunter Pontiac, Oldsmobile, Mercury, Plymouth.

Auch die Amerikaner müssen schwer kämpfen, und die Dieselaffäre ist ja nur ein Teil der Geschichte.

Der Erfolg der spritsaufenden Panzergefährte "made in USA" hat weitere Gründe: Der Liter Benzin kostet mit umgerechnet gut 50 Euro-Cents nur noch halb so viel wie vor wenigen Jahren, die Kreditzinsen sind unverändert niedrig, und vor allem: So hoch der Benzin-Verbrauch der Pickup-Kolosse für europäische Verhältnisse auch sein mag, so sehr ist er aus Sicht der US-Kunden gesunken. Noch vor ein paar Jahren schluckten die Wagen auf 100 Kilometer gerne mehr als 20 Liter Sprit. Ein Verbrauch von 10 bis 15 Litern erscheint vor diesem Hintergrund vergleichsweise gering. Aber auch nur fast.

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(Foto: Paul Sancya/AP)

Was für Autos mag der Amerikaner? Drei Männer, die es wissen wollen: Dieter Zetsche von Daimler,...

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(Foto: Rebecca Cook/Reuters)

...Sergio Marchionne von Fiat Chrysler...

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(Foto: Soeren Stache/dpa)

...und Matthias Wissmann, als Präsident des Verbandes der Automobilindustrie VDA der oberste Diesel-Erklärer.

Und doch wissen auch die Hersteller solcher Autos, dass es nicht ewig so weitergehen wird. Der Ölpreis ist niedrig - aber wie lange wird es dauern, bis er wieder steigt? Um die Autos des Jahres 2025 zu planen, muss man heute schon damit anfangen - egal wie hoch oder niedrig der Ölpreis zurzeit ist. Dazu kommen die immer strengeren Abgasvorschriften, die die Hersteller einhalten müssen, wollen sie hohe Strafen vermeiden. Deshalb kommen auch die Amerikaner nicht darum herum, an einer Senkung des Spritverbrauchs und an alternativen Antrieben zu arbeiten.

Beispiel: Der Chevrolet Bolt EV aus dem Hause der Opel-Mutter General Motors. Die Idee der Amerikaner ist simpel: Der Bolt soll nicht irgendein kompliziertes teures Elektroauto werden, sondern so etwas wie ein Alltagsauto - nur eben mit großer Lithium-Ionen-Batterie.

Ein amerikanisches Elektroauto in Golf-Klassen-Größe, das 300 Kilometer weit kommt und eben nicht so viel Geld kostet wie ein Tesla oder BMW - geht doch! Der Wagen dürfte an die 30 000 Dollar kosten und damit weit weniger als ein Tesla oder ein elektrischer BMW. Wenn sich Elektroautos verbreiten sollen wie einst die Benziner, dann muss man es wohl so machen: Den Stromer herausholen aus der Nische der ökologisch Korrekten, die sich ihren Tesla als Zweitwagen zum großen Ferrari leisten - und ihn für jedermann anbieten.

"Es ist wie im Supermarkt: Was sich nicht verkauft, fliegt raus."

Aber selbst wenn man es wollte: Man täte sich schwer, den Menschen in diesem Land und in diesen Zeiten kleinere Autos und Elektromobile in großem Stil zu verkaufen. Wenn aber die Nachfrage nach kleineren Autos im Vergleich zu den großen Kisten zurückgeht, dann hat das Folgen. Das "Transportation Research Institute" an der Universität von Michigan fand heraus, dass sich die Kraftstoffbilanz der US-Neuwagenflotte seit August 2014 erstmals seit Jahren wieder verschlechtert hat.

Die Renaissance großer und mittelgroßer Pkw ist für die deutschen Hersteller gleich in doppelter Hinsicht ein Problem.

Beispiel VW: Dem Konzern fehlt nicht nur ein mittelgroßer Sport-Geländewagen im Portfolio, ihm drohen vielmehr auch Probleme mit seinen Händlern. Anders als in Deutschland nämlich sind die Besitzer amerikanischer Autohäuser meist nicht an eine einzige Marke gebunden, sie betreiben vielmehr hier eine Verkaufsstelle für VW, dort eine für Fiat Chrysler und eine dritte für Toyota. Wer da keinen Umsatz bringt, hat schnell ein Problem, wie Michael Horn, der Chef der Volkswagen Group of America, in Detroit erstaunlich offen eingeräumt hat. "Es ist wie im Supermarkt", sagt Horn. "Was sich nicht verkauft, fliegt raus."

Es geht um jeden Quadratmeter, das Geschäft ist schnelllebig. Und wird in Zukunft wohl noch an Tempo zunehmen. Gilt heute der Grundsatz, dass der Lebenszyklus eines Autos sieben Jahre dauert, so wird diese Faustregel schon bald komplett neu formuliert werden: In Zeiten, in denen aus Autos rollende Rechenzentren werden, in denen Autos autonom fahren, in denen die Software alles bestimmt und Konzerne wie Apple und Google zu den wichtigsten Autozulieferern aufsteigen, in solchen Zeiten wird alles noch schneller und hektischer im Autogeschäft.

Es gibt Menschen in den USA, die schauen sich das alles eher aus der Entfernung an. Und manchmal auch mit großem Genuss. Dazu gehört der Fiat-Chrysler-Chef Sergio Marchionne. Seit Jahren liegt er im Clinch mit den VW-Oberen, die ihm, dem Kleineren und Schwächeren, so gerne seine Edelmarke Alfa Romeo abgekauft hätten. Marchionne, der seit der Übernahme von Chrysler vor ein paar Jahren nicht nur italienischer, sondern eben auch amerikanischer Autoboss ist, sitzt in einem großen Konferenzraum, trägt wie immer einen dunklen Pullover und sagt: "Der Diesel wurde zerhämmert." Und eigentlich gebe es ja "kein Problem mit dem Diesel an sich, sondern nur mit denen, die die Regeln nicht einhalten".

Sergio Marchionne macht dabei ein ernstes Gesicht. Aber so ganz unglücklich sieht er eigentlich gar nicht aus.

© SZ vom 16.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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