In keiner anderen Industrie klaffen Schein und Sein stärker auseinander als in der Mode, weil sie mehr als andere Industrien vom schönen Schein lebt. Das Sein ist härter. Seit Monaten kämpft das fränkische Label René Lezard, Anbieter von Damen und Herrenmode, ums Überleben. Vergeblich. Am Dienstagabend musste die französisch klingende Marke aus der deutschen Provinz Insolvenz anmelden. Die Liste gefallener Unternehmen ist um eine Zeile länger. Auf ihr stehen früher klangvolle Namen wir Laurèl, Strenesse oder Rena Lange. Ihnen allen ist gemein: Für ihre kühnen Pläne - eigene Läden, teure Kampagnen, große Laufstege - emittierten die Mode-Mittelständler hochverzinsliche Anleihen, die sie am Ende nicht bedienen konnten. Die Geschichten ähneln sich mal mehr, mal weniger.
7,5 Prozent versprach die René Lezard Mode GmbH 2012 den Zeichnern ihrer Anleihe im Volumen von 15 Millionen Euro, die Laufzeit endet im kommenden November. Schon von Anfang an war die Hälfte der Einnahmen dafür vorgesehen, alte Schulden abzulösen. Für das Geschäftsjahr per Ende März 2015 wies der Konzern Erlöse in Höhe von 47 Millionen Euro aus, schon vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen machte René Lezard 800 000 Euro Verlust. Es war der letzte testierte Abschluss. Nach vorläufigen Angaben für das Jahr 2015/16 sanken die Erlöse weiter auf knapp 45 Millionen Euro, statt eines Verlusts gab es einen operativen Gewinn vor Abschreibungen von 400 000 Euro.
Im November kündigte der Konzern dann eine "Neuordnung der gesamten Finanzverbindlichkeiten an". Die Anleihegläubiger sollten auf 40 Prozent ihrer Forderungen und Zinsen verzichten, die Banken einen Sanierungsbeitrag leisten und ein Finanzinvestor die besicherten Bankverbindlichkeiten kaufen. Man befinde sich in "fortgeschrittenen Verhandlungen mit dem Investor", hieß es im November. Daraus ist nun wohl nichts geworden. Der Kurs der Anleihe stürzte am Mittwoch weiter auf 8,75 Prozent ab. Richtig gut lief das Papier, das bei der Platzierung in dem für Mittelstandsanleihen fulminanten Jahr 2012 sogar überzeichnet war, noch nie.
Um Gründe für ihre Schieflage sind die Unternehmen nie verlegen: Mal ist es der Winter, der zu mild ist, mal der Sommer, der zu kalt ist. Dann sind es die Kunden, die wegbleiben, weil ihnen das Geld fehlt oder sie nicht in Konsumlaune sind. Einkaufsfreudige Touristen aus Russland oder China bleiben fern, mal wegen der Krise im eigenen Land, mal weil ihnen die Angst vor Terroranschlägen die Reiselust vermiest. Klassische Einzelhändler gibt es immer weniger. Dass die Hersteller selbst ein Stück dazu beigetragen haben, in dem sie mit eigenen Läden den alteingesessenen Händlern Konkurrenz machten, Mindestmengen verordneten oder ihren Abnehmern am liebsten vorschreiben würden, was der sich in seinen Laden hängt, wird dabei gerne verschwiegen. Und es gibt neue mächtige Konkurrenten - Online-Konzerne wie Amazon oder Zalando. Selbst große Händler und Hersteller wie Gerry Weber kämpfen.
Der durch die Digitalisierung ausgelöste Strukturwandel im Geschäft mit Mode wirkt so gewaltig wie jener in den 60er-Jahren, als die deutsche Textilindustrie begann, wegen der hohen Personalkosten Produktion ins Ausland zu verlagern. Produziert wird in Deutschland kaum noch. Zu den wenigen Ausnahmen gehört Trigema, dessen Eigentümer Wolfgang Grupp nie müde wird, darüber zu reden. Ein anderes Beispiel liefert Marc Cain, die Firma wurde 1973 von Helmut Schlotterer gegründet. Er lässt zumindest einen Teil der Kollektion am Firmensitz in Bodelshausen fertigen. Das Unternehmen setzt rund 260 Millionen Euro um, der Jahresüberschuss nach Steuern liegt bei 18 Millionen Euro. "Bedarf ist keiner da, die Kleiderschränke sind voll", sagt Schlotterer auf der Internetseite der Firma. "Es geht also darum, Begehrlichkeiten zu wecken." Das heißt auch nichts anderes, als einen schönen Schein zu kreieren.
Der Strukturwandel ist so gewaltig wie in den Sechzigerjahren
Zu den Einflüssen von außen kommen hausgemachte Probleme, für Mittelständler kann schon eine Kollektion, die nicht läuft, zum Problem werden. René Lezard kam der Großaktionär abhanden. 2010 erklärte ein Gericht die Holding des italienischen Modekonzerns Mariella Burani, zu dem neben René Lezard auch Marken wie Coccinelle und Mandarina Duck gehörten, für insolvent. Den 50-prozentigen Anteil der Italiener an René Lezard übernahmen zwei Jahre später Heinz Hackl, Sprecher der Geschäftsführung, und Thomas Schäfer, der René Lezard 1978 gegründet hatte und dessen Beteiligung am Kapital damit auf 75 Prozent stieg. René Lezard will sich über ein Schutzschirmverfahren selbst sanieren. Einen Sachwalter hatte das Gericht bis zum Mittwochabend noch nicht bestellt.