Ray Tomlinson:Als Mister @ die E-Mail erfand

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Ray Tomlinson, der die E-Mail erfand und das @-Zeichen dafür benutzte. Für die SZ malte er vor 20 Jahren den Klammeraffen - der erste Versuch (oben) misslang. (Foto: dpa)

Ray Tomlinson hat die erste E-Mail der Geschichte geschrieben. Seinen berühmten "Klammeraffen" zeichnete er einst für die SZ - im zweiten Anlauf.

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Der Mann, der @ erfand, verfügte selbstverständlich über eine normale Postadresse und einen Anrufbeantworter. Aus seinem Briefkasten entnahm er gerne handgeschriebene Briefe und auch die Zeitungsartikel, die über ihn verfasst wurden - jedenfalls in jenen Zeiten, als sich noch kein Scan an eine E-Mail anhängen ließ und elektronische Post ausschließlich aus Buchstaben bestand. Auf seinem Anrufbeantworter fand er in der Regel die Nachricht der Tochter vor, die ihn zu Hause in Neuengland erreichen wollte und lieber sprach als schrieb.

Überhaupt, der Anrufbeantworter: Er stand Pate bei dieser Erfindung, die Ray Tomlinson der Welt schenkte und die unter anderem den Anrufbeantworter überflüssig machte. Tomlinson war es leid, Programme und Nachrichten auszudrucken und in die Postfächer der Kollegen zu legen. Also wollte er so etwas wie einen Anrufbeantworter für Computer schaffen und schrieb die erste E-Mail, und zwar auf die Weise, wie sie die Welt heute kennt: XX@YY.ZZ.

Der Inhalt der Mail ist nicht überliefert, "qwertyiop oder so was", wie er immer sagte. Wichtig war: Die Buchstaben wanderten per Telefonleitung von einem Computer auf einen zweiten, der im selben Raum stand. Tomlinson hatte die erste elektronische Post verschickt. Vor allem aber benutzte er dafür ein Symbol, das heute ein ikonografischer Superstar ist und in einer Ausstellung im Museum of Modern Art verehrt wurde: das @-Zeichen. Warum gerade @? Weil dieses antiquierte Summensymbol nutzlos auf der Tastatur herumlag und die Präposition ("at" bedeutet "zu") auch den Zweck der Übung erläuterte. Eine Nachricht sollte zu jemandem gelangen.

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Wer mit Ray Tomlinson über dessen Erfindung sprach, bekam die immer gleiche Reaktion: Dem Mann war die Sache unangenehm, er mochte sich und seinen kleinen Hack nicht zu wichtig nehmen. In der Tat sagte man im Computer-Steinzeitalter noch Hack, wenn eine gute Programmierung gelungen war. Erst später wurde daraus die Bezeichnung für den feindseligen Angriff auf einen anderen Rechner.

Ray Tomlinson, geboren im Bundesstaat New York, war eigentlich ein Akustiker. Er bastelte gerne an Transistoren, fing Kurzwellensender ein oder versorgte die Nachbarschaft mit Musik. Selbst als altgedienter Programmierer liebte er die Arbeit an seinem Synthesizer. In den 1960er-Jahren verschlug es ihn in die Akustik-Abteilung des renommierten Massachusetts Institute of Technology und direkt weiter an die kleine, aber feine Technologiefirma Bolt, Beranek and Newman (BBN) die sich vor allem im Akustikbau, etwa am Hauptquartier der Vereinten Nationen, einen Namen gemacht hatte.

Dann gewann BBN 1969 eine Ausschreibung, bei der es um ein neuartiges Rechnernetz gehen sollte. In Kalifornien waren bereits 1969 zwei Rechner miteinander verbunden worden, die Techniker konnten sich sogar Datenpakete hin- und herschicken. Aber keine Nachrichten. Zwei Jahre später war es Ray Tomlinson, der mit einem kleinen Nebenprodukt die Arbeit erleichterte. Denn mehr war die E-Mail nicht: ein unbedeutender Hack, eine kleine Arbeitserleichterung.

Für die SZ malte Ray Tomlinson vor 20 Jahren den Klammeraffen - der erste Versuch (oben) misslang. (Foto: Stefan Kornelius)

Später, als er dann doch entgegen seinem Willen ein wenig berühmt geworden war, musste Ray Tomlinson häufig die Frage beantworten, ob er sich der Tragweite seiner Arbeit bewusst gewesen sei. Natürlich habe er gewusst, was er da tue, antwortete Tomlinson dann. Aber er habe nicht gewusst, was die Welt daraus machen würde.

Vor wenigen Jahren wurde Tomlinson gefragt, wie viele Mails er denn so bekomme. Die Antwort war beruhigend: Keine 200 am Tag. Die Hälfte wandere in den Müll, 14 würden beantwortet. Offenbar ziemlicher Durchschnitt.

Tomlinson, der für seine Kollegialität geschätzt wurde, stieg nicht zum Superstar auf wie andere aus der Erfindergeneration des Netzes und wurde auch nicht reich mit seinem @-Zeichen. Er wahrte lieber eine kritische Distanz: Das Netz habe die Menschen nicht intelligenter gemacht, sagte er einmal, es gebe ihnen nur mehr Zugriff auf Informationen. Eine intelligente Suchmaschine würde ihm aber nicht Hunderttausende Fundsachen unterjubeln.

Am Samstag starb Ray Tomlinson, 74 Jahre alt, wie seine Firma mitteilte. Er arbeitete immer noch für BBN, die inzwischen Raytheon heißt. Sein Büro lag nur wenige Stockwerke über der Baracke, in der er einst die erste Mail versandte.

© SZ vom 08.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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