Als der Raketenhersteller Space-X mit seiner Falcon 9 zum ersten Mal Astronauten zur Raumstation ISS transportiert hat, war auch Stéphane Israël begeistert. "Ich träume von dem Tag, an dem...Esa-Astronauten mit der Ariane 6 ins All fliegen können", twitterte der Chef von Arianespace vor einer Woche. Das Unternehmen vermarktet die Raketen Ariane und Vega, die die Konzernmutter Ariane-Group baut. Ambitionen, selbst Astronauten ins All befördern zu können, gibt es bei Ariane und der Raumfahrtagentur Esa schon lange. Bislang müssen auch deutsche Astronauten wie Alexander Gerst mit den Amerikanern fliegen - zuletzt mit der russischen Sojus-Kapsel von Baikonur aus. Ob sich dies ändert, sei letztlich eine "politische Entscheidung", wie der Deutschlandchef der Ariane-Group, Pierre Godart, sagt.
Der Raketenbauer hat jedoch erst einmal ganz andere Probleme. Ende des Jahres sollte die neue Trägerrakete Ariane 6 zum ersten Mal abheben: Mit Satelliten der Internetkonstellation Oneweb, gebaut von Airbus. Oneweb musste jedoch Gläubigerschutz nach "Chapter 11" beantragen, wie es weiter geht, ist unklar. Und der Premierenflug wird sich nach Angaben von Esa-Chef Jan Wörner auf Anfang 2021 verschieben. "Den Termin muss die Esa festlegen", sagt Godart. Grund sind ausstehende Tests auch am Startplatz in Kourou/Französisch-Guayana, die sich wegen Corona verzögern. "Nun rutschen die Tests nach hinten, sodass auch der Erstflug erst 2021 stattfinden kann."
Während der Hersteller also noch auf die Premiere der Ariane 6 wartet, die etwa 45 Prozent günstiger und flexibler als das Vorgängermodell mit bislang 106 erfolgreichen Starts sein soll, entwickeln Ingenieure bereits das Nachfolgemodell. Es soll wiederverwendbare Elemente bekommen, leichter, effizienter und günstiger werden, eben konkurrenzfähiger zur Falcon 9. Es kommt allerdings - frühestens 2030.
In den USA entscheidet ein Milliardär, in Europa sind es mehr als 20 Esa-Mitgliedsländer
Wer den Standort der Ariane-Group im Süden Münchens besucht, der findet dort neben der Produktion von Triebwerken auch eine kleine Ausstellung: Da ist zum Beispiel das Triebwerk HM-7B zu sehen, das schon 1979 eine Stufe der Ariane 1 angefeuert hat. Mehr als 40 Jahre später hat das Unternehmen nebenan beim Dienstleister IABG gerade sein neues Vulcain 2.1-Triebwerk getestet, das mit flüssigem Sauer- und Wasserstoff die Hauptstufe der Ariane 6 antreiben soll. Auch das Vinci-Triebwerk ist hier getestet worden: Es soll künftig die Oberstufe der Ariane befeuern und - Besonderheit - mehrfach zünden können. Das hat den Vorteil, dass die Ariane Nutzlasten ohne Eigenantrieb in unterschiedlichen Umlaufbahnen aussetzen kann.
Kritiker werfen der Ariane-Group, die zu gleichen Teilen Airbus und Safran gehört, allerdings vor, dass auch die Ariane 6 nicht das erfüllen kann, was technisch möglich und bei Elon Musks Raketenfirma Space-X längst Routine ist. Booster der Falcon 9, die auch für Flüge zur ISS eingesetzt wird, können zum Beispiel mehrfach wieder verwendet werden. Die Ariane-Group verweist hier auf das Prometheus-Konzept, das die Ingenieure seit fünf Jahren entwickeln. Dass die Esa für dieses neue Triebwerk, das auch Methan nutzt, erst auf ihrer Ministerratskonferenz im vorigen Dezember 82 Millionen Euro bewilligt hat, mag erklären, warum die Europäer (mal wieder) im Rückstand zu den Amerikanern sind: In den USA entscheidet ein Milliardär über solch eine Entwicklung, in Europa sind es mehr als 20 Esa-Mitgliedsländer.
Dabei hat Prometheus das Zeug, dass Ariane zur Falcon 9 aufschließen kann: Es könnte nach Angaben der Entwickler mindestens fünf Mal wiederverwendet werden; die Ariane-Group will ihren Preis für ein Triebwerk auch mit 3D-Druck im Vergleich zu Vulcain um 90 Prozent senken - auch mittels höherer Stückzahl. "Ein Prometheus-Triebwerk würde dann lediglich eine Million Euro kosten", sagt Gerald Hagemann, Vice President der Ariane-Group. Allerdings müsste die Auslastung stimmen. Doch was in zehn Jahren ist - dann soll es erst zum Einsatz kommen -, kann niemand voraussagen. Deswegen will Ariane erst einmal sicherstellen, dass es diese Option überhaupt gibt. "Der erste Test soll Ende des Jahres in Lampoldshausen stattfinden", sagt Hagemann. Derzeit ist geplant, das neue Triebwerk bei der Ariane next einzusetzen - in den Dreißigerjahren.
Um Prometheus wiederverwenden zu können, gibt es das Projekt Themis. "Wir prüfen langfristig das vertikale Landen", sagt Hagemann. Das funktioniert so: Die erste Stufe wird mit Prometheus gestartet und kann dann vertikal per Raketenschub landen. Ähnlich wie es Space-X vormacht, soll die Raketenstufe auf einer Plattform im Meer aufsetzen. Dies hätte einen Vorteil: "Beim Rückführen zum Startplatz auf dem Land bräuchte ich mehr Treibstoff, was zu Lasten der Nutzlast geht", sagt er. Der erste Test ist für 2021 geplant.
Wesentlich konkreter für den Routineeinsatz ist da die sogenannte Kickstage, die das Unternehmen gerade entwickelt. Es soll bereits die neue Ariane 6 aufwerten. Dabei handelt es sich um einen Adapter mit Antriebsmodul, der es erlaubt, Nutzlasten eigenständig in eine andere Umlaufbahn zu heben oder auch Konstellationen zu platzieren. Die Kickstage könnte zum Beispiel eine Mondsonde auf eine Bahn in Richtung Erdtrabanten einschießen. "Die Kickstage erschließt zusätzliches Marktpotenzial für die Ariane 6", sagt Hagemann.
Mit der Ariane next sollen die Startkosten im Vergleich zur Ariane 6 noch einmal halbiert werden, so die Vision der französischen Raumfahrtagentur CNES - auch weil mehr Platz für die Nutzlast vorhanden ist. Dazu soll neben einer neuen Oberstufe aus leichterem Carbon-Material auch beitragen, dass statt der jetzt verschiedenen Triebwerkstypen nur noch der preisgünstigere Prometheus-Motor in verschiedenen Bündelungen eingesetzt werden soll. Außerdem sollen Komponenten der nächsten Ariane wiederverwendbar sein, 3D-Drucktechnologien können die Produktion günstiger machen. "Das langfristige Ziel ist die Verwendung von Prometheus-Triebwerken in einem potenziell wiederverwendbaren Transportsystem, wodurch die Kosten erneut erheblich gesenkt werden könnten", sagt Hagemann.
Und was eine Kapsel für Astronauten betrifft, so könnte dies Thema bei der nächsten Esa-Ministerratskonferenz 2022 werden. "Europa hat die Fähigkeiten dazu - Geld, Know-how und die Rakete", sagt Godart. "Wir müssten die Ariane 6 nur adaptieren und eine Astronautenkapsel entwickeln, die Industrie in Europa ist dazu bereit." Dies hat auch Esa-Chef Wörner bereits signalisiert: Immerhin baue Airbus in Bremen das Servicemodul für die Orion-Kapsel des Nasa-Mondprogramms Artemis. "Damit ist Europa erstmals für Astronautentransport mit verantwortlich."