Raumfahrt:Abstand im Reinraum

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Seit rund zehn Jahren stellt das Bremer Raumfahrtunternehmen OHB die Galileo-Satelliten her. 22 sind bereits im Weltall, zwölf weitere stehen noch aus. (Foto: OHB/oh)

Der Vizepräsident des BDLI, Marco Fuchs, erwartet Verzögerungen in der Raumfahrt, sieht aber auch Chancen nach der Krise.

Von Dieter Sürig, München

Wer in die Produktionshalle der Navigationssatelliten Galileo bei OHB in Bremen geht, muss sich erst einmal richtig ankleiden: Schutzkittel, Plastiküberzieher für die Schuhe und eine Haube auf den Kopf. Zur Corona-Vorsorge fehlt allerdings die Gesichtsmaske. Selbst in Reinräumen gibt es also Abstandsbeschränkungen, mehr als drei Personen dürfen nicht an einem Satelliten schrauben - das führt zu Verzögerungen.

Die gibt es für OHB-Chef Marco Fuchs auch anderswo: Die Esa-Testanlagen im niederländischen Nordwijk sind dicht, der europäische Startplatz Kourou in Französisch-Guyana ebenfalls, und in einigen Wochen könnten Teile ausbleiben. "Wir haben spanische, italienische und französische Lieferanten - die sind ja in hohem Maße von der Pandemie betroffen", sagt er.

Fuchs ist beinahe alleine in der Verwaltung in Bremen, fast alle Mitarbeiter hat er in das Home-Office geschickt. Er rechnet damit, dass es auch bei der Auftragsvergabe zu Verzögerungen kommen könnte. In Bremen ist die Situation noch nicht akut, bei der Tochter in Mailand gibt es Kurzarbeit. Um Engpässe zu umschiffen, hat der konzerneigene Hersteller von Komponenten für die Trägerrakete Ariane, MT Aerospace in Augsburg, über Ostern zwei Wochen Betriebsferien verordnet.

Trotzdem ist Fuchs guter Dinge. Der Vorstandschef, der auch als Vizepräsident des Bundesverbandes der Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI) fungiert, ist froh, in der Space-Branche zu arbeiten. "In der Raumfahrtindustrie haben wir es überwiegend mit langfristigen Aufträgen zu tun", sagt er. Trotz der Krise gebe es eine langfristige Auslastung - wie bei Galileo. Er glaubt auch nicht, dass die Raumfahrt-Budgets angesichts der Corona-Kosten gekürzt werden könnten. Im Gegenteil: Um eine Produktionslücke nach der Krise zu vermeiden, würde er es begrüßen, wenn Auftraggeber beschlossene Projekte beschleunigen würden.

Der BDLI-Vize findet, dass die Branche gerade gestärkt wird. "Die Notwendigkeit der Raumfahrt wird durch die Krise sichtbarer", sagt Fuchs. Videokonferenzen, in Corona-Zeiten zum Alltag geworden, seien ohne Kommunikationssatelliten undenkbar. Auch die diskutierte Corona-Handy-App funktioniere nur mit Navigationssignal. "Beim Galileo-System bekommt nun auch die Grundidee einen ganz anderen Stellenwert, unabhängig vom amerikanischen GPS zu werden", sagt er. Er würde den Ausbau der Galileo-Konstellation gerne forcieren. "Beispielsweise könnte die Europäische Kommission zügig mit Mitteln aus dem aktuellen Finanzrahmen zusätzliche Galileo-Satelliten bestellen, um die Genauigkeit und Schnelligkeit des Systems zu erhöhen."

Fuchs ist auch davon überzeugt, dass die Gesellschaft künftig anders mit Risiken umgehen wird, ob es nun um Umweltkatastrophen, Vulkanausbrüche oder auch Asteroiden geht. "Der Stellenwert der Wissenschaft ist dabei deutlich gestiegen." Er hofft, dass die anwendungsorientierte Raumfahrt künftig stärker nachgefragt wird, insbesondere die Klima- und Umweltüberwachung. "Im Rahmen des Programms Copernicus, das wichtige neue Daten zum Klimawandel liefern wird, könnten die vorgesehenen sechs Missionen nun initiiert werden", sagt er.

Um sicher zu stellen, dass Start-ups der Branche die Krise überstehen, fordert er von der Politik "kurzfristig Förderungen und Liquiditätshilfen" für die kleinen Firmen. Fuchs fürchtet, dass die Bedingungen für Gründer nach der Insolvenz der Internet-Satellitenkonstellation Oneweb sowieso schwieriger werden.

Was globale Raumfahrtprojekte angeht, so ist sich der BDLI-Vize sicher, dass diese nach Corona wichtiger werden. "Ich glaube, dass die internationale Zusammenarbeit bei Raumfahrtprojekten schon aus finanziellen Gründen zunehmen wird". Die US-Raumfahrtbehörde Nasa setze ja auch deswegen auf internationale Kooperationen, weil ihr Budget jedes Jahr neu bewertet und verhandelt wird. "So reduziert die Nasa die Gefahr, dass Missionen gestrichen werden."

Die Frage ist nur, inwieweit die US-Regierung angesichts der exorbitanten Kosten der Corona-Pandemie noch dazu bereit ist, Milliarden Dollar in die geplante Mondmission Artemis zu stecken, bei der 2024 wieder Astronauten auf dem Mond landen sollten. Fuchs meint dazu, dass es Verzögerungen geben könnte, "als Explorationsziel wird der Mond aber unumstritten bleiben".

© SZ vom 09.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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