Ratingpatzer von Standard & Poor's:Die gefährlichen Wächter

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Wenn mit Frankreich der zweitgrößten Volkswirtschaft Europas erst die höchste Kreditwürdigkeit entzogen und dies dann wieder korrigiert wird, ist das keine peinliche Panne, sondern ein kapitaler Fehler mit nicht abschätzbaren Folgen. Es ist ein Fehler, der zeigt, dass die Branche eben nicht solide arbeitet. Europa muss den Ratingagenturen Grenzen setzen, weil deren Fehler Staaten in den Abgrund ziehen.

Cerstin Gammelin, Brüssel

Die Ratingagenturen haben ein überzeugendes Meisterstück im Fach Selbstdemontage abgeliefert. Seit Wochen trommeln ihre Abgesandten gegen die von der EU-Kommission geplanten schärferen Kontrollen; ja, sie insistieren geradezu, dass ihre Prüfer das Geschäft heute schon - selbstverständlich - solide betreiben. Und dann beweist ausgerechnet der Marktführer persönlich, dass dem mitnichten so ist. Schneller und nachhaltiger kann eine Branche ihre Glaubwürdigkeit nicht verlieren.

Verlieren Frankreich oder Deutschland ihre drei A, büßt auch der EFSF diese Note ein. Mit der fatalen Folge, dass der Rettungsfonds kaum noch Investoren locken würde - und mithin nicht mehr arbeitsfähig wäre. (Foto: REUTERS)

Da kündigen die Prüfer der Ratingagentur Standard & Poor's an, dass sie Frankreich die höchste Kreditwürdigkeit entziehen - um kurz danach öffentlich einzugestehen, dass diese Ankündigung ein Versehen war. Wenn der zweitgrößten Volkswirtschaft Europas erst die höchste Kreditwürdigkeit entzogen und dies dann wieder korrigiert wird, ist das aber keine peinliche Panne, sondern ein kapitaler Fehler mit nicht abschätzbaren Folgen. Ein Fehler, der zeigt, dass die Branche eben nicht solide arbeitet.

Immer wieder fehlerhaft

Fehlerhaft waren die Bewertungen der Bonitätswächter auch früher immer wieder. Bis zur Krise 2008 bescheinigten sie vielen überaus komplizierten Finanzpapieren, vollkommen risikolos zu sein, was leider falsch war und gutgläubige Anleger eine Menge Erspartes kostete. Aber auch Konzerne wie der Energieriese Enron bekamen praktisch bis zum Tage ihrer Pleite beste Kreditwürdigkeit bescheinigt. Und auch bei Enron landeten die Verluste bei den Anlegern, und nicht etwa bei den Ratingagenturen. Diejenigen, die mit ihrer Bewertung überhaupt erst dafür sorgen, dass Anleger bestimmte Papiere kaufen, hafteten damals nicht für ihre Aussagen - und verhindern bis heute erfolgreich, dass sich an diesem für sie überaus komfortablen Zustand etwas ändert. Die Nebenwirkungen falscher Bewertungen spüren noch immer nur die anderen.

Das ist verheerend, weil die Fehler der Bonitätswächter noch nie solche Auswirkungen hatten wie heute. Bekamen Finanzpapiere oder Unternehmen falsche Noten, waren die Folgen auch früher bitter, aber überschaubar. Inzwischen haben sich die Dimensionen geändert. Irren sich die Bonitätswächter, wenn sie die Kreditwürdigkeit von Staaten bewerten, und zwar im negativen Sinne, können sie diese Länder in die Pleite treiben.

Noch dramatischer wird es, wenn sie sich ausgerechnet jetzt, mitten in der Schuldenkrise, bei Euro-Ländern irren. Und noch dazu bei jenen, an deren Note auch das Schicksal des Euro-Klubs hängt. Deutschland und Frankreich und vier kleinere Euro-Länder garantieren mit ihren Bestnoten Triple A, dass der Euro-Rettungsfonds EFSF überhaupt seine Aufgabe erledigen kann, nämlich klammen Ländern notfalls helfen. Eins ist klar: Verlieren Frankreich oder Deutschland ihre drei A, büßt auch der EFSF diese Note ein. Mit der fatalen Folge, dass der Rettungsfonds kaum noch Investoren locken würde - und mithin nicht mehr arbeitsfähig wäre. Fällt der EFSF aber aus, bliebe nur noch die Europäische Zentralbank, um Euro-Länder - und den Klub insgesamt zu retten.

Die Europäer wollen dem Treiben nun ein Ende setzen. Am kommenden Dienstag will die Europäische Kommission Instrumente vorstellen, um die Bonitätswächter zum soliden Bewerten zu zwingen. Sie wollen durchsetzen, dass Länder, die Finanzhilfen erhalten, vorübergehend nicht benotet werden. Brüssel will zudem den Wettbewerb fördern und Interessenkonflikte ausschließen. Beispielsweise bewerten die angeblich unabhängigen Prüfer bis heute ihre eigenen Gesellschafter.

Die Reformpläne sind gut, aber nicht der Dramatik der Krise angemessen. Nötig ist vor allem eins: Die Ratingagenturen sollten ab sofort für ihre Noten verbindlich haften. Wer sich irrt, muss die Konsequenzen tragen - und zwar alle. Niemand hindert die Europäer daran, dies per Eilverordnung umzusetzen.

© SZ vom 12.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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