Smartphone-Kultur:Wie Push-Mitteilungen uns verändern

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Oft wissen wir nicht, welche bunten Inhalts-Pakete uns gleich wieder um die Ohren fliegen werden und ob sich ein genauerer Blick lohnt. (Foto: Clique Images / Unsplash)

Seit zehn Jahren schicken Apps Mitteilungen aufs Handy. Die kleinen Schubser sind mittlerweile trickreich und subtil.

Von Johannes Kuhn, Austin

"Ablenkungen sind überall", warnt die Meditations-App, indem sie dich per Push-Mitteilung von der Arbeit ablenkt. "Du hast heute schon 8000 Schritte gemacht", lobt die Schrittzähler-App, wenn du dich nach Hause schleppst. "Denkst du gerade an Pizza?", fragt der digitale Pizzalieferant zum Feierabend. Die freundliche Botschaft eines Wissenschaftsmagazins: "Wir hoffen, dass du einen guten Tag hast. Hier steht, wie die Klima-Apokalypse aussehen könnte."

Unsere Apps funken uns an und ihre Signaltöne lösen eine Reaktion zwischen Vorfreude, routinierter Ignoranz und Stress aus. Wir erinnern uns dunkel: SMS wurde massentauglich, weil Freunde untereinander Botschaften verschicken konnten. Durch Push-Mitteilungen spricht die Software mit uns. Und wie so viele Smartphone-Entwicklungen erscheint das nicht nur logisch - wir können uns kaum noch vorstellen, wie es vorher war.

Vorher ist gar nicht so lange her. Vor zehn Jahren, also im Frühjahr 2009, stellte Apple den App-Entwicklern seinen Push-Dienst vor.

Wie so oft hatte der Konzern eine bereits vorhandene Idee verändert: Blackberry hatte schon erfolgreich E-Mails nach dem SMS-Prinzip verschickt. Geschäftsleute mussten nicht mehr hektisch ihr Postfach öffnen, um von wichtigen Mails zu erfahren.

Moment des Unerwarteten

Natürlich zogen Android und später auch die Browser-Standards nach. Die Postfach-Zeitersparnis von einst hat sich mittlerweile ins Gegenteil verkehrt: Oft wissen wir nicht, welche bunten Inhalts-Pakete uns schon wieder um die Ohren fliegen werden und ob sich ein genauerer Blick lohnt.

Der Philosoph Robert Rosenberger vom Georgia Institute of Technology beschreibt den Zusammenhang zwischen solchen Mitteilungen und der Nähe zu unseren Geräten: "Smartphones sind inzwischen fast eine Verlängerung unseres Körpers. Und wir haben uns daran gewöhnt, dass sie sich erwartbar verhalten. Ich glaube, Push-Nachrichten können genau deshalb so effektiv sein, weil sie diese Erwartungen durchbrechen. Sie injizieren einen Moment des Unerwarteten in die normale Benutzung."

Nutzer reagieren auf so viel Nähe inzwischen oft kühl. Und die Smartphone-Betriebssysteme helfen ihnen dabei, die Funktion abzustellen oder nur zu bestimmten Zeiten Botschaften zu empfangen.

Und selbst Wahrnehmung bedeutet noch kein Interesse: Die erfolgreichsten Push-Meldungen haben nur eine Öffnungsrate von 8,8 Prozent. Die Menschen ignorieren auch standortbasierte Nachrichten oft - zum Beispiel ein Coupon in der Nähe des Stammcafés. Einer Analyse der Marketingfirma CleverTap zufolge gehören Wirtschafts- und Finanznachrichten sowie Unterhaltung und Events zu den erfolgreichsten Sparten. Doch selbst sie bewegen nur jeden zwanzigsten Nutzer, den Sperrbildschirm zu verlassen. Laut Online-Marktforschung finden Smartphone-Besitzer in nervigen Push-Nachrichten den häufigsten Anlass, eine App zu löschen.

Doch die Penetranz der Software folgt letztlich wirtschaftlichen Entwicklungen: Es gibt einfach zu viele Apps. 2009 waren gerade einmal 100 000 iOS-Apps verfügbar, Ende 2018 waren es auf den beiden großen Plattformen mehr als zwei Millionen.

Was heruntergeladen wurde, verstaubt in drei Viertel der Fälle spätestens nach 90 Tagen. Push-Mitteilungen gehören zu den wenigen Gelegenheiten, den Programm-Friedhof unserer Smartphone-Bildschirme wieder zum Leben zu erwecken.

Deshalb hat sich auch die Methodik verändert: Das Spiel mit der Sorge, etwas zu verpassen, gehört immer noch dazu. Doch längst sprechen die Meldungen subtilere Emotionen an.

Da wäre der Wunsch nach Kontrolle und Messbarkeit: Immer häufiger spucken Push-Meldungen Zahlen und Ziele aus. Die abendliche Gesundheitsbilanz zum Beispiel, die Smartphone-Nutzungszeit oder die Erinnerung, diese Woche erst drei Mal meditiert zu haben. Software als Hilfsmittel, um Verhalten zu kontrollieren oder es neu anzutrainieren.

Auch Nostalgie gehört inzwischen zu den gepushten Gefühlen: Facebook bedient es mit Freundschaftsjubiläen und Erinnerungsalben, Spotify mit den Songs des vergangenen Sommers, die es bündelt und verschickt. Selbst die Smartphone-Betriebssysteme pushen inzwischen Foto-Erinnerungsalben, die sie anhand des Datums oder des Ortes zusammengestellt haben.

Diese Automatisierungen sind aus Nutzersicht durchaus komfortabel. Vor allem aber sind sie persönlich: "Nostalgie und Selbstoptimierung bedienen sehr tiefe menschliche Wünsche", sagt Adam Alter. Er forscht über die Psychologie des mobilen Marketings an der Stern School of Business der New York University. "Eine Push-Mitteilung, die eines dieser emotionalen Stadien auslöst, kann zumindest für eine kurze Zeit deine Aufmerksamkeit erhalten."

App-Mensch-Symbiose

Im Kontext der digitalen Verhaltenspsychologie handelt es sich letztlich also um ausgefeiltere Anreize, das Smartphone in die Hand zu nehmen. Die Push lässt sich so auch als dezentes Schubsen verstehen, neue Datenpunkte zu produzieren. Um das menschliche Verhalten innerhalb der App besser optimieren zu können. Und nicht selten auch, um es in Form vermarktbarer Persönlichkeitsprofile zu verwerten.

Die Professorin Shoshana Zuboff hat in ihrem Buch zum "Überwachungskapitalismus" die App-Mensch-Symbiose beschrieben als "Daten-Zulieferkette, die eine höchst genaue Verhaltensvorhersage ermöglicht". Anders als 2009 fliegen uns nicht nur zufällige Meldungen um die Ohren, sondern auch das, was die Software aus unserem Verhalten gelernt hat: Wir konsumieren sozusagen das Destillat unserer eigenen Datenspuren, um weitere Datenspuren zu hinterlassen.

Facebook, Google & Co.
:"Überwachungskapitalisten wissen alles über uns"

Die großen Datenkonzerne beuten ihre Nutzer aus, sagt die emeritierte Harvard-Professorin Shoshana Zuboff. Sie erklärt, warum es so schwer ist, sich dem Überwachungskapitalismus zu entziehen.

Von Mirjam Hauck

Die New-Yorker-Autorin Sophie Haigney erkennt darin ein neues, geschlossenen System. Statt Nostalgie über kulturelle Symbole herzustellen, also mit Hilfe von Produkten oder Popkultur-Überbleibseln aus der Vergangenheit, verwenden die Plattformen "dich selbst und das, was sie über dich wissen".

Eine neue Sprache zwischen Mensch und Maschine

Die Idee, das Smartphone als Teil des Körpers zu verstehen, geht deshalb nicht weit genug. Es ist kaum unterscheidbar, ob Apps unser Verhalten spiegeln oder unser Verhalten sich den Metriken der Software anpasst. "Du hast heute schon 10 000 Schritte gemacht." Aber wer ist dafür verantwortlich?

"Maschinen spielen uns geschliffene und reglementierte Versionen unserer Leben und Interaktionen vor", schreibt der ehemalige Google-Programmierer David Auerbach in seinem Buch "Bitwise - A Life in Code". "Es ist die Sprache von Labels und Klassifikationen, eine Verkehrssprache für Computer wie für Menschen." Für Unschärfen und Uninterpretierbares gibt es keinen Platz.

Vielleicht ist die Push-Mitteilung und unsere Reaktion darauf die intimste Form, um in dieser neuen Verkehrssprache zu kommunizieren. Womöglich wird uns einiges davon bald wie ein Selbstgespräch vorkommen.

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