Pipers Welt:Schulden streichen

Lesezeit: 3 Min.

An dieser Stelle schreibt jeden zweiten Freitag Nikolaus Piper. Illustration: Bernd Schifferdecker (Foto: N/A)

Einige Ökonomen fordern, die Europäische Zentralbank solle wegen Corona Staatsanleihen in ihren Büchern vernichten. Das wäre ein gefährliches Großexperiment.

Von Nikolaus Piper

Es sind merkwürdige Zeiten und sie bringen merkwürdige Ideen hervor. Corona hat die schwerste Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg ausgelöst, die Regierungen Europas und Amerikas mussten sich deswegen in einem Ausmaß verschulden, wie das früher nur im Krieg vorkam. Italien hat jetzt eine Schuldenberg zu bewältigen, der knapp doppelt so groß ist wie sein gesamtes Bruttoinlandsprodukt (BIP). Aber auch in Deutschland wird die Staatsschuld am Ende dieses Jahres von knapp 60 auf 75 Prozent des BIP gestiegen sein. Ein wesentlicher Teil dieser Schulden liegt bei der Europäischen Zentralbank (EZB), die massiv Anleihen gekauft hat, um Geld in die Wirtschaft zu pumpen. Und jetzt die Idee: Könnte die EZB nicht einfach diese Schulden streichen - und den Staaten so in der Krise helfen?

Die Diskussion wurde und wird vor allem in Frankreich geführt. Eine Gruppe linker Europaabgeordneter und Ökonomen um die Sozialistin Aurore Lalucq forderte im September so einen Schnitt. Unter deutschen Ökonomen spielt das Thema bisher keine Rolle, wohl aber beschäftigt es viele Bürger, die sich Sorgen darüber machen, ob denn ihre Kinder und Enkel irgendwann die ganzen Schulden zurückzahlen müssen.

Soll die EZB also tatsächlich Staatsanleihen Italiens, Griechenlands und vielleicht auch Deutschlands in der Höhe von zig Milliarden Euro verschwinden lassen? Darauf gibt es eine kurze juristische und eine etwas längere ökonomische Antwort.

Gesamtwirtschaftlich gesehen sind die Milliardenschulden in den Büchern der EZB bedeutungslos

Zunächst die juristische. Das Streichen von Schulden durch die EZB ist ausdrücklich verboten. Christine Lagarde, die Präsidentin der EZB, versucht irgendwelche Zweifel in diesem Punkt gar nicht erst aufkommen zu lassen. In einem Interview der Tageszeitung Le Monde sagte sie kürzlich: "Artikel 123 des Vertrages über die Arbeitsweise der EU untersagt es der EZB, die Haushalte der Mitgliedstaaten zu finanzieren, klar und eindeutig. Schuldenstreichung wäre genau dies. Die Europäischen Verträge zu brechen, gehört nicht zu meinem Programm." An der Aussage lässt sich nichts herumdeuteln.

Und jetzt die ökonomische Antwort. Gesamtwirtschaftlich gesehen sind die Milliardenschulden in den Büchern der EZB bedeutungslos. Es handelt sich dabei um Anleihen von Staaten und Unternehmen. Die Notenbank hat sie den Banken in der Euro-Zone abgekauft und dadurch Geld in Umlauf gebracht. Wirtschaftsjournalisten umschreiben den Vorgang meist mit der Formel, die EZB habe "Geld gedruckt", was nur bildlich stimmt. In Wirklichkeit haben die Banken frisch geschöpftes Buchgeld erhalten. Das bedeutet aber auch: Die Regierungen haben das Geld bereits ausgegeben, das sie von den Banken für die Anleihen erhalten haben. Und die Banken sind die Anleihen schon wieder losgeworden. Der Vorgang ist abgeschlossen, die Schulden sind gar keine mehr. Warum sie also nicht streichen?

Das Problem wird klar, wenn man auf die Bilanz der EZB schaut. Die Anleihen sind Teil ihres Vermögens, sie stehen auf der Aktivseite der Bilanz. Werden sie gestrichen, entsteht ein Loch, das unter Umständen größer ist als das Eigenkapital der Notenbank. Sie müsste das Loch füllen und zu dem Zweck Ausgleichsposten einstellen, Fantasie-Buchungen, die einzig dem Ziel dienen, eine ordentliche Bilanz abzuschließen. So etwas ist anderen Notenbanken immer mal wieder passiert. Zum Beispiel musste die Deutsche Bundesbank 1973 ihre Währungsreserven massiv abwerten und brauchte dafür Ausgleichsposten. Wenn solche Buchungen aber zur Normalität werden, wie wird es dann um das Vertrauen in die Währung bestellt sein?

Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg Bank in London, beschreibt den Zusammenhang so: "Jedes Mal, wenn die EZB Ausgleichsposten in ihre Bilanz einstellen muss, werden sich Anleger fragen, ob das Thema Schuldenstreichung sie nicht auch bald erreichen wird." Das sorgt für Unsicherheit, für Risikoscheu und am Ende für höhere Zinsen, das Gegenteil von dem, was die Geldpolitik derzeit erreichen will. Die Überlegung ist keinesfalls rein theoretisch. Während der Eurokrise forderte die Linksfraktion im Bundestag die Streichung aller Schulden, die durch die Rettung von Banken entstanden sind. Die Grenzen zur Willkür sind da fließend.

Nur spekulieren kann man über die langfristigen Folgen für die politische Psychologie eines Landes, wenn das Streichen von Schulden Normalität werden sollte. Wird es die Illusion nähren, für Schulden gäbe es nach oben keine Grenze? Die Vorstellung macht sich ohnehin breit, weil die Finanzminister richtigerweise derzeit alles finanzieren, was dem Kampf gegen die Pandemie dient, auch auf Pump. Aber irgendwann wird diese Phase zu Ende sein, dann ist es höchste Zeit, zur Politik der schwarzen Null und zur Schuldenbremse zurückzukehren. Die Opposition von Grünen und Linkspartei gegen diesen Kurs schon im Vorhinein lässt ahnen, wie schwer er zu realisieren sein wird.

Es sprechen also nicht nur juristische, sondern auch ökonomische Gründe gegen die Streichung der Schulden bei der EZB. Es wäre ein gefährliches Großexperiment ohne erkennbaren Nutzen. Nebenbei: Die Regierungen müssten über Jahre hinaus auf einen EZB-Gewinn verzichten, wären also schlechter gestellt als heute. Am besten lässt man die Anleihen also dort wo sie sind, in den Büchern der EZB. Wenn der Eurozone - derzeit kaum vorstellbar - einmal Überhitzung drohen sollte, dann kann die Notenbank die Wertpapiere verkaufen und so Geld aus dem Verkehr ziehen und für höhere Zinsen sorgen. Bis dahin sorgen sie für Transparenz. Und niemand trägt einen Schaden davon.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: