Pipers Welt:Schädliche Superstars

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Riesenkonzerne wie Apple könnten bewirken, dass Arbeitseinkommen langsamer wachsen. Eine Erklärung liefert ein alter sozialistischer Ökonom.

Von Nikolaus Piper

Sie sind die Superstars der Weltwirtschaft und heißen jetzt auch so: superstar firms. Das ist inzwischen eine gängige Bezeichnung für Apple, Amazon, Facebook, Microsoft und Alphabet, die Konzernmutter von Google. Und die Sorge wächst, dass der Aufstieg dieser Superstars schwere wirtschaftliche Schäden anrichten könnte. Daher ist es an der Zeit, sich eines Ökonomen zu erinnern, der schon vor 8o Jahren über die Marktmacht großer Unternehmen geschrieben hat. Michał Kalecki, 1899 im polnischen Łódź geboren und heute fast vergessen, war einer der großen Unorthodoxen der Zunft - Sozialist, aber kein Marxist, ein Autodidakt, der sich mit den Problemen der Weltwirtschaftskrise von 1929 bis 1933 befasste, mit ähnlichen Ideen wie John Maynard Keynes, aber unabhängig von diesem.

Kaleckis Leben war durch die Katastrophen des 20. Jahrhunderts geprägt. Die Hochschulausbildung musste er abbrechen, weil das kleine Ladengeschäft seines Vaters bankrott ging. Er verdiente sein Geld als Wirtschaftsjournalist in Warschau und las nebenher ökonomische Bücher. 1936 verließ er das zunehmend autoritär regierte Polen, ging zuerst nach Schweden und dann nach Großbritannien, wo er 1939 am Oxford Institute of Statistics einen Job bekam und seinen Teil zum Management der britischen Kriegswirtschaft beitrug. Nach dem Krieg arbeitete er bei den Vereinten Nationen in New York, dort aber vertrieb ihn die Jagd auf echte und vermeintliche Kommunisten während der McCarthy-Ära. Er kehrte 1955 in das kommunistisch gewordene Polen zurück und arbeitete dort als Universitätsprofessor - bis 1968, als Teile der kommunistischen Partei eine wilde antisemitische Kampagne lostraten. Kalecki, jüdischer Herkunft, wurde Opfer gezielter Angriffe, er ließ sich emeritieren und starb 1970, tief enttäuscht vom Sozialismus.

Der wichtigste Beitrag Kaleckis zur Wirtschaftswissenschaft ist seine 1938 veröffentlichte Verteilungstheorie. Deren Kernaussage lautet vereinfacht: Welchen Anteil die Arbeiter an der gesamten Wirtschaftsleistung bekommen, hängt von der Macht der Unternehmen ab, bei den Preisen hohe Aufschläge auf die Kosten durchzusetzen. Kalecki nennt diese Preissetzungsmacht "Monopolgrad". Je höher dieser ist, desto schlechter für die Arbeiter.

Jahrzehntelang spielte Kaleckis Theorie in der Praxis kaum eine Rolle, zu simpel und von Klassenkampfdenken geprägt erschien sie. ("Die Kapitalisten verdienen, was sie ausgeben, die Arbeiter geben aus, was sie verdienen", schrieb er einmal.) Doch nun gibt es die Superstars. Einer dieser Stars, Apple, hat einen bis vor Kurzem noch unvorstellbaren Börsenwert von einer Billion Dollar. Das ist mehr als das gesamte Bruttosozialprodukt der Vereinigten Staaten zu Kaleckis Zeiten (in heutigen Preisen).

Kaleckis Geist war jedenfalls anwesend, als sich Ende voriger Woche ein Zirkel hochmögender Zentralbanker wie jedes Jahr in dem Ferienort Jackson Hole in den Rocky Mountains traf. Dort legte John Van Reenen, Professor am Massachusetts Institute of Technology, ein bemerkenswertes Papier vor. Die hohen "Markups" (Kaleckis Preisaufschläge), die die Superstars durchsetzen, könnten dazu führen, dass weniger investiert wird, dass die Arbeitsproduktivität langsamer wächst und der Anteil der Arbeitseinkommen am Bruttoinlandsprodukt sinkt. Das bedeutet nicht, dass die Superstars ihre Arbeitnehmer schlecht bezahlen, im Gegenteil. Das Problem sind die Menschen, die bei Apple, Facebook & Co. keinen Job finden, und deren Lohn zurückbleibt. Raghuram Rajan, Professor an der Universität Chicago, warnte in Jackson Hole vor dem "Groll" dieser Ausgeschlossenen. Der Befund bedeutet auch nicht, dass die Superstars notwendigerweise aktiv den Wettbewerb behindern. Aber dank Globalisierung und neuer Technik sei eine Situation des "winner takes most/all"entstanden, in der die Gewinner und deren Mitarbeier dominieren - und in der für die Beschäftigten anderswo weniger abfällt.

Die Superstars operieren auf Märkten, auf denen Größe überproportional belohnt wird. Man nennt das "Netzwerkeffekte": Je mehr Freunde auf Facebook sind, desto attraktiver wird ein Facebook-Account, desto weniger Sinn hat es, zu einem Konkurrenzangebot zu wechseln. Die Verbraucher merken vom Monopolgrad der Internet-Konzerne gar nichts, denn deren Angebot ist für sie oft, etwa bei Facebook oder Google, umsonst. Der Preis, den Kunden entrichten müssen, besteht aus Daten, aber das geschieht im Verborgenen. Wenn die Unternehmen gegen Wettbewerbsregeln verstoßen, dann meistens dadurch, dass sie diese Netzwerkeffekte gezielt zulasten von Konkurrenten einsetzen. So war es bei der jüngsten Kartellstrafe von 4,34 Milliarden Euro, die die EU gegen Google verhängte. Die Kommission warf dem Konzern vor, dass er die Hersteller von Android-Geräten zwingt, seine Suchmaschine vorzuinstallieren und so Konkurrenten keine Chance lässt. Aber es geht nicht nur um Google.

Amazon konnte im vergangenen Jahr 44 Prozent des gesamten Onlinehandels in den USA an sich ziehen. Nach einer Untersuchung der Brookings Institution machte 1954 der Umsatz der 60 größten Unternehmen Amerikas weniger als 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Heute stehen die 20 größten für mehr als 20 Prozent. Ihre schiere Größe, so ein weiteres Argument in Jackson Hole, könnte sogar dazu beitragen, dass die Zinspolitik der Notenbanken an Wirkung verliert. Die Ökonomen haben bisher keinen Weg gefunden, mit den Folgen dieser Marktmacht angemessen umzugehen. Aber sie können das Problem wenigstens exakt beschreiben. Und der alte Sozialist Michał Kalecki hat dabei vielleicht geholfen.

© SZ vom 31.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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