Pipers Welt:Gute Kitas

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Nikolaus Piper schreibt an dieser Stelle jeden zweiten Freitag. Zeichnung: Bernd Schifferdecker (Foto: N/A)

Gebühren für Kindertagesstätten zu streichen, gilt als gerecht. Stimmt nicht. Denn sind Dienstleistungen gratis, führt das zu Verschwendung.

Von Nikolaus Piper

Gelegentlich ist es gut, daran erinnert zu werden, wie sehr sich die deutsche Gesellschaft über die Jahrzehnte verändert hat. Im Godesberger Programm der SPD von 1959 zum Beispiel lautete eine wichtige Forderung: "Mütter von vorschulpflichtigen und schulpflichtigen Kindern dürfen nicht genötigt sein, aus wirtschaftlichen Gründen einem Erwerb nachzugehen." Gewerkschaften, CDU und CSU sahen das damals vermutlich ganz ähnlich.

Heute wird das, was die SPD seinerzeit verhindern wollte - dass junge Mütter in ihrem Beruf arbeiten -, von der Gesellschaft nicht nur akzeptiert, sondern angestrebt, zuvörderst von der SPD. Viele Gesetze dienen diesem Zweck, zuletzt das neue "Gute-Kita-Gesetz", das die Große Koalition vorige Woche beschlossen hat. Der Bund verteilt 5,5 Milliarden Euro unter die Länder, damit diese die Qualität ihrer Kindertagesstätten verbessern können. So etwas hätte sich in den 60er-Jahren niemand vorstellen können, auch nicht, dass Gesetze einmal so lustige Namen tragen würden wie "Gute Kita". Heute weiß man: Kitas sind nicht nur gut für berufstätige Frauen, sondern auch für die Kinder, die Wirtschaft und die Integration ausländischer Familien.

Ziemlich altertümlich ist dagegen der Streit, der um einen Teilaspekt des Gesetzes entbrannt ist. Familienministerin Franziska Giffey will es den Ländern überlassen, wie sie das Geld aus der Bundeskasse verwenden, für längere Öffnungszeiten der Kitas, für die Weiterqualifizierung der Erzieher und Erzieherinnen - und auch für die komplette Abschaffung der Kita-Gebühren. Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig zum Beispiel plant genau dies. Das ist ungerecht, sagen die Kritiker. Und sie haben recht: Beitragsfreie Kitas sind unsozial. Das knappe Geld des Staates, das Steuerzahler aller Schichten aufbringen müssen, wird gleichmäßig an Bedürftige und nicht Bedürftige verteilt. In den Genuss der Subvention kommen viele Familien, die sie gar nicht nötig hätten. Das Geld fehlt dann bei der Bezahlung die Erzieherinnen, der Ausstattung der Kitas und anderem.

Der Zusammenhang ist so offensichtlich, dass man sich fragt, warum trotzdem so viele Menschen für kostenfreie Kitas kämpfen, besonders solche, denen die soziale Gerechtigkeit am Herzen liegt. Dahinter steckt ein grundlegendes Problem, das in der Ökonomie unter dem Begriff "Realtransfer" diskutiert wird. Wenn der Staat nicht Geld an die Bedürftigen verteilt, sondern reale Güter und Dienstleistungen (subventionierte Lebensmittel etwa oder eben Kita-Plätze), dann passieren zwei Dinge: erstens Verschwendung. Es wird mehr nachgefragt als nötig, wie man gut an dem subventionierten Brot und den Gratis-Kitas der DDR beobachten konnte. Und zweitens kommt ein großer Teil der Leistungen eben bei den falschen Leuten an.

Der Kampf gegen Studiengebühren und für den Nulltarif - ein Missverständnis

Trotzdem sind Realtransfers heute beliebter denn je, und dies aus einem einfachen Grund: Sie sind sinnlich wahrnehmbar. Daher ist eine Lobby für Gratis-Kitas viel leichter zu organisieren als für einen Steuerfreibetrag oder einen Aufschlag bei Hartz IV. So kommt es, dass seit August in Berlin die meisten Kitas kostenfrei sind. In Bayern wollen die Freien Wähler dies ebenso erreichen wie die SPD.

Bei anderen Realtransfers sieht es ähnlich aus. Zum Beispiel an den Hochschulen. Heute stellt der deutsche Staat jedem Abiturienten, der gewisse Voraussetzungen erfüllt, einen Studienplatz zur Verfügung. Das ist eine riesige Subvention für junge Menschen, die in ihrem späteren Berufsleben mehrheitlich gut bis sehr gut verdienen werden - unter dem Aspekt der Gerechtigkeit also eine große Fehllenkung. Nun gibt es viele gute Gründe, trotzdem die Universitäten kostenfrei zu machen: Die ganze Gesellschaft hat etwas davon, wenn ihre Mitglieder hervorragend ausgebildet sind (Bildung ist ein "meritorisches Gut", wie einst der Finanzwissenschaftler Richard Musgrave sagte). Aber wäre es nicht trotzdem sinnvoll, wenn die angehenden Ärzte, Lehrer, Manager und Anwälte einen bescheidenen Beitrag zu ihrem Studium leisteten? Das Geld könnte dann den notorisch klammen Universitäten zugutekommen. Das war die Idee hinter den Studiengebühren, die in einigen Bundesländern eine Zeitlang galten. Inzwischen sind sie wieder abgeschafft, nach massiven Protesten der Studenten, die sich im Namen der sozialen Gerechtigkeit für die Subventionierung der künftigen Gutverdiener engagierten - sich selbst also.

Schließlich gibt es ein drittes, sehr zeitgemäßes Beispiel für die Problematik des Realtransfers: der Nulltarif im öffentlichen Nahverkehr. Im Februar veröffentlichte die Bundesregierung einen Plan, in fünf deutschen Großstädten Busse und Bahnen probeweise umsonst fahren zu lassen. Die Jusos sind sowieso für den Nulltarif, die Linke ist es ebenfalls. Auch hier gibt es hehre Ziele für die Forderung: Die Menschen sollen dazu bewegt werden, vom Auto auf die Öffentlichen umzusteigen, damit die Luft in den Städten besser wird und vor allem, dass Deutschland seine Klimaziele schneller erfüllt. Die Motive für den Nulltarif sind sehr ehrenwert, aber das löst das Problem der Fehlleitung und Verschwendung von Staatsgeld nicht. Wer täglich gezwungen ist, die überfüllte und störanfällige Münchner S-Bahn zu benutzen, der weiß, dass das Problem dort ganz sicher nicht darin liegt, dass zu wenig Leute den öffentlichen Nahverkehr benutzen, sondern dass im Gegenteil die Kapazitäten für die vielen Fahrgäste nicht mehr reichen. Die Subventionen sollten also in deren Ausbau fließen und nicht darin, die Überfüllung noch zu vergrößern.

Es gibt sehr viel zu tun für den Staat in Deutschland. Da verbietet es sich eigentlich, mutwillig das Geld der Steuerzahler zu verschwenden.

© SZ vom 21.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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