Pipers Welt:Digitale Tulpen

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Der Hype um Bitcoin ähnelt immer mehr den großen Spekulationsblasen der Geschichte. Inzwischen hat eine kritische Phase begonnen.

Von Nikolaus Piper

Geschichte wiederholt sich nie, aber sie reimt sich", soll Mark Twain gesagt haben. Von wem auch immer dieser Satz in Wirklichkeit stammt, er könnte zutreffender nicht sein, besonders in diesen Tagen, da die Leute verrückt nach Bitcoin und all den anderen Kryptowährungen sind. Man könnte meinen, ein Gnom hätte die Drehbücher historischer Spekulationsblasen genommen und für das digitale Zeitalter umgeschrieben: das der holländischen Tulpenzwiebel-Manie aus dem 17. Jahrhundert etwa, das des Südseeschwindels von 1720 oder das der Eisenbahn-Kräche des 19. Jahrhunderts.

Das typische Schema einer Spekulationsblase hat der amerikanische Ökonom Charles Kindleberger 1978 in seiner legendären Geschichte der Finanzkrisen ("Maniacs, Panics, and Crashes") analysiert. Kindleberger unterscheidet fünf Phasen der Spekulation: Alles beginnt mit der Einführung ("Deployment") einer Neuerung, auf deren Erfolg man wetten kann, indem man eine Aktie kauft, eine Währung oder irgend etwas anderes. Tritt der Erfolg ein, zieht das neue Spekulanten an, die Preise steigen, und die zweite Phase, der "Boom", beginnt. Jetzt gibt es die ersten Geschichten von Leuten, die durch Spekulation sagenhaft reich geworden sind. Das zieht neue Anleger an, die Nachfrage nährt die Nachfrage, womit die dritte Phase, die der "Euphorie", beginnt. Irgendwann kommen dann die ersten schlechten Nachrichten, zum Beispiel, dass ein Investor seinen Spekulationsgewinn realisieren will, deshalb verkauft und so einen Kurssturz auslöst. Damit beginnt dann die vierte Phase, die der Notlagen ("Financial Distress"). Die Spekulation endet schließlich mit Phase fünf, in der Panik ausbricht und alle alles verschleudern ("Revulsion").

Bei der Tulpenzwiebelmanie etwa begann die erste Phase an der Wende zum 17. Jahrhundert, als die ursprünglich aus dem Osmanischen Reich stammende Tulpe in den Niederlanden eingeführt wurde. Die Blume erwies sich als robust genug, um das kühle holländische Wetter zu überstehen. Die Zwiebeln waren ein echtes Luxusprodukt. Wer Tulpen im Vorgarten hatte, der konnte zeigen, dass er es zu etwas gebracht hatte und einen bürgerlichen Lebensstil pflegte. Die Neuerung, die in London ein Jahrhundert später den Südseeschwindel auslöste, war die abenteuerliche Idee, eine Monopolgesellschaft für den Handel mit Südamerika zu gründen und dieser die Schulden aufzubürden, die der englische König für den Spanischen Erbfolgekrieg aufgenommen hatte.

Bitcoins erste Phase schließlich begann 2009, als - wer auch immer - die dazu gehörige Software veröffentlichte. Die neue Technik hat ja auch, wenn man spekulativ denkt, viele Vorzüge. Sie verspricht staatsfreies Geld, was verlockend ist für Links- und Rechtspopulisten ebenso wie Nerds, die dem Staat im Allgemeinen und Notenbanken wie der EZB im Besonderen misstrauen. Die Blockchain-Technik, die hinter Bitcoin steht, so ein weiteres Argument, hat sowieso Zukunft. Das sagen Leute, die es wissen müssen, auch wenn man sich als Laie fragt, was an einer Technik dran sein soll, die, um ein bisschen Geld zu produzieren, so viel Strom braucht wie die Republik Irland in einem ganzen Jahr.

Jedenfalls weckt Bitcoin Fantasien, so wie einst die Blumenzwiebeln. Haben die Preise einmal zu steigen begonnen, gibt es für diese Fantasie im Prinzip keine Grenzen mehr, der Boom geht über in die Euphorie, in der die Menschen fast jeden Preis zahlen, um an das Produkt zu kommen. Für eine Zwiebel der Sorte "Vizekönig" zahlte angeblich 1637 jemand zwei Wagenladungen Roggen, vier Mastochsen, vier Mastschweine, zwölf Schafe, vier Fässer Bier, zwei Fässer Wein, 1000 Pfund Käse und einigen Hausrat .

Mit Bitcoin kann man eigentlich nichts tun, außer spekulieren

Die Bitcoin-Euphorie hatte kurz vor Weihnachten ihren vorläufigen Höhepunkt, als der Kurs die Marke von 20 000 Dollar übersprang. Zuvor hatte die Börse Chicago den Handel mit Futures auf Bitcoin zugelassen. Konkurrenz-Produkte wie Ethereum oder Litecoin wurden mitgezogen. Alles schien nur nach oben zu gehen. Früher, als es noch keine inklusive Sprache gab, nannte man so etwas eine "Milchmädchen-Hausse", weil die Euphorie von Menschen getrieben wurden, die keine Ahnung hatten, "Milchmädchen" eben.

Nun, Ende Januar, befindet sich die Bitcoin-Welt am Rande der Distress-Phase, wie der Economist schrieb. Die Trendwende kam, als die einen Experten unangenehme Fragen nach der IT-Sicherheit stellten, die anderen nach der staatlichen Regulierung des Marktes, und als sich außerdem der eine oder andere überlegte, dass man mit der teuren "Währung" eigentlich gar nichts tun kann außer spekulieren, noch nicht einmal ohne Umstände ein Bier bestellen. So ähnlich muss es auch vor 400 Jaren in Holland gewesen sein: Irgendwann dämmerte es dort jemandem, dass eine Tulpe auch nur eine Blume ist.

Inzwischen kostet ein Bitcoin nicht mehr 20 000, sondern nur noch 11 170 Dollar (Donnerstag, gegen 20 Uhr). Da ist allerdings immer noch viel Luft nach unten. Wird also jetzt die Torschlusspanik kommen, in der alle um fast jeden Preis ihre Bitcoin loswerden wollen, so wie einst die Holländer ihre Tulpen? Wäre es gar klug, in Chicago gegen Bitcoin zu wetten? Da ist Vorsicht geboten. Die Geschichte früherer Blasen lehrt auch, dass man sich nicht darauf verlassen kann, dass Kindlebergers Phasen schnell aufeinanderfolgen. Für Investoren, die ihr Geld in ein Spekulationsobjekt gesteckt haben, gibt es starke Anreize, solange es geht, an ihrer Wertillusion festzuhalten. "Der Markt kann länger verrückt spielen, als du zahlungsfähig bist", soll John Maynard Keynes einmal gesagt haben. Es gibt auch eine Art Rationalität in der Irrationalität. Die finale Phase der Bitcoin-Blase wird man wohl erst dann erkennen, wenn sie da ist.

An dieser Stelle schreiben jeden Freitag Franziska Augstein und Nikolaus Piper im Wechsel.

© SZ vom 26.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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