Pipers Welt:Das Herz der Ökonomen

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An dieser Stelle schreibt jeden zweiten Freitag Nikolaus Piper. Illustration: Bernd Schifferdecker (Foto: N/A)

Ohne das Bestreben, die Welt zu verbessern, kann man als Volkswirt nicht glücklich werden. Der Nobelpreisträger Jean Tirole sieht sogar eine Pflicht der Wissenschaft.

Von Nikolaus Piper

Warum studiert jemand eigent- lich Volkswirtschaftslehre? Für manch einen liegt die Antwort nahe: Der oder die Betreffende will in die Wirtschaft gehen und dann klotzig Geld verdienen. Aber das ist nicht sehr plausibel. Unter den bestbezahlten Managern Deutschlands tummeln sich jede Menge Ingenieure, Juristen, Betriebswirte und Musikwissenschaftler, kaum jedoch Volkswirte. Und in der Politik sieht es nicht viel besser aus. Im letzten Kabinett Merkel zum Beispiel waren die beiden für Wirtschaft zuständigen Mitglieder - der Bundesfinanzminister und die Bundeswirtschaftsministerin - Juristen; in Bayern ist der Finanzminister ebenfalls Jurist, die Wirtschaftsministerin Elektrotechnikerin.

Ökonomie ist also als Studienfach keinesfalls erste Wahl, wenn man es zu Geld und/oder Einfluss bringen will. Was macht aber dann den Reiz dieses oft sehr spröden und wenig coolen Faches aus? Die Mainzer Wirtschaftsprofessorin Beatrice Weder di Mauro beantwortete die Frage einmal so: "Die meisten von uns haben doch Volkswirtschaft studiert, weil sie ein weiches Herz haben und die Welt verändern wollen." Ökonomen mit weichem Herz? Das klingt ziemlich überraschend in einer Zeit, in der Abscheu vor dem Kapitalismus, der Neoklassik und dem Neoliberalismus zum guten Ton gehört, und in der es viele wieder mit Karl Marx halten, der die Ökonomen seiner Zeit als "Vulgärökonomen" beschimpfte, weil sie "die kapitalistische Ordnung statt als geschichtlich vorübergehende Entwicklungsstufe, umgekehrt als absolute und letzte Gestalt der gesellschaftlichen Produktion" auffassen.

Es wäre an der Zeit, die Sache mit dem weichen Herzen ein wenig ernster zu nehmen. Man wird als Ökonom nicht glücklich, wenn man nicht auch die Welt verbessern will. Das liegt an der DNA der Nationalökonomie: Adam Smith, der Gründervater, war Moralphilosoph, John Maynard Keynes, der Reformer, wollte den Zusammenbruch der Zivilisation verhindern, und auch der Gegenrevolutionär Milton Friedman wollte die Welt krisenfester machen. Und nun gibt es einen Ökonomen, der das Streben nach einer besseren Welt zur Doktrin erheben will.

Jean Tirole, 64, Professor an der Universität Toulouse I und Träger des Wirtschaftsnobelpreises 2014, hat ein ganzes Buch darüber geschrieben, wie Ökonomen die Welt beeinflussen können und sollen. "Ökonomie für das Gemeinwohl" ist im vergangenen Jahr auf französisch erschienen. Nächste Woche kommt die englische Übersetzung (Jean Tirole: "Economics for the Common Good"; Princeton University Press 2017) auf den Markt, und wenn man die Erfahrung mit dem "Kapital" des Franzosen Thomas Piketty als Maßstab nimmt, dann steht dem "Gemeinwohl" jetzt ein weltweiter Erfolg bevor.

Wirtschaftswissenschaftler sollten die Deutungshoheit von Populisten zurückholen

Tirole, den das Nobelkomitee für seine Forschungen zur Regulierung von Industrien ausgezeichnet hatte, glaubt, dass es einen impliziten Vertrag zwischen Bürgern/Steuerzahlern und Forschern gibt. Dieser Vertrag werde mehr und mehr in Frage gestellt. Die breite Öffentlichkeit misstraue Forschungsergebnissen, in der Medizin, der Klimatologie, und eben auch der Ökonomie. Wissenschaftler könnten es sich daher nicht mehr leisten, die Öffentlichkeit zu ignorieren, sie müssten für ihre Arbeit werben bei denen, die sie bezahlen, den Steuerzahlern also. "Wissenschaftler müssen kollektiv versuchen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, also dürfen sie sich auch aus Prinzip nicht dagegen wehren, ein gewisses Interesse an öffentlichen Belangen zu zeigen." Ökonomen sollten sich etwa um die Regulierung der Wirtschaft kümmern, um die Zukunft Europas und die Armut in der Dritten Welt, um das Gesundheits- und das Schulwesen.

In diesem Zusammenhang ist auch von der Finanzkrise zu reden. Für das Ansehen der Ökonomen war sie der GAU. Mit dem Schaden kämpfen sie bis heute: Wenn ihr diese Krise nicht voraussagen könnt, was ist eure Wissenschaft dann wert?, fragen Kritiker. Und hier liegt Tiroles Problem. Tatsächlich hatten viele Ökonomen vor den Risiken gewarnt, die dann die Krise auslösen sollten. Nur konnte sie niemand hören, geschweige denn verstehen. Ein schönes Beispiel sind die berüchtigten verbrieften Kreditversicherungen ("Credit Default Swaps"), die als "finanzielle Massenvernichtungswaffen" (Warren Buffett) fast das Weltfinanzsystem gesprengt hätten. Die Volkswirte der Deutschen Bundesbank hatten schon im Dezember 2004 die Problematik der CDS im Detail beschrieben, nur eben so, dass auch Insider die Brisanz nicht erkennen konnten (Die Überschrift ging langweiliger nicht: "Credit Default Swaps - Funktionen, Bedeutung und Informationsgehalt").

Tirole nennt vier Gründe, warum Ökonomen in der Finanzkrise scheinbar versagten. Erstens können sie keine exakten Voraussagen machen, sondern nur Risiken benennen. Das wird sich kaum ändern lassen. Ein Arzt kann seinen Patienten ja auch nur davor warnen, dass ihm ein Herzinfarkt droht, wenn er so weitermacht, er kann den Infarkt nicht ankündigen. Zweitens wird ökonomisches Wissen zu langsam verbreitet. Das liegt an den Forschern, die sich nicht um Publizität kümmern, es liegt aber auch an Politikern, die sich für Warnungen nicht interessieren, solange die Zeiten gut sind. Drittens sind viele Ökonomen zu weit von der praktischen Wirtschaftspolitik entfernt. Und viertens haben sie kollektiv unterschätzt, wie wichtig die Regulierung der Finanzmärkte ist.

Tiroles Buch liest sich wie ein Weckruf für verzagte Volkswirte, eine Aufforderung zu Selbstbewusstsein und unabhängigem Denken. Vielleicht gelingt es ja der Zunft doch noch, die Deutungshoheit über Fragen der Löhne, der Zinsen und des Welthandels von Rechts- und Linkspopulisten zurückzuholen.

© SZ vom 03.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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