Oslo:Zu neuen Ufern

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Nah am Wasser: In Oslo sind in den vergangenen Jahren neue Quartiere entstanden. Unter anderem prägen spektakuläre Gebäude wie die Neue Oper die Viertel. (Foto: oh)

Die Hauptstadt Norwegens entwickelt neue Quartiere am Wasser. Damit soll auch ein modernes Mobilitätskonzept umgesetzt werden: Priorität haben Fußgänger und Radfahrer.

Von Lars Klaaßen

Mehr als 120 Meter lang ist die Pontonbrücke, auf der jeden Tag Fußgänger fast auf Wasserhöhe zwischen der Oper und dem Stadtteil Sørenga pendeln. Die Konstruktion wirkt provisorisch, ist aber eine wichtige Verbindung zu dem neuen Quartier. Wo sich früher ein Teil des Osloer Hafens befand, entsteht seit 2009 ein Viertel mit 750 Wohnungen samt Kindergärten und Restaurants. Weil Oslo schnell wächst, entwickelt die Stadt zahlreiche neue Quartiere - allerdings nicht draußen am Rand, sondern zentral und am Wasser.

Auf einem lang gezogenen Pier bilden nahe der Oper die unterschiedlich gestalteten Neubaublöcke zwei Reihen, beidseitig direkt am Wasser gelegen. Am Ende des Piers eröffnete 2015 Sørenga Sjøbad, eine schwimmende Anlage, 190 Meter lang. Neben einem Strand mit gereinigtem Meerwasser befinden sich dort ein 50-Meter-Becken und verschiedene Erholungszonen. Dahinter liegt ein kleiner Park als Übergangszone ins Wohnquartier. Von dort zieht sich ein Grünstreifen samt Straße längs durch das Viertel. Der Zugang für Autos über den Landweg ist aber begrenzt und wird wenig genutzt. Denn wer von hier ins Zentrum möchte, muss einen Bogen machen. Fußgänger und Radfahrer können ja die Abkürzung quer über das Wasser nutzen.

Sørenga ist eines von mehreren Quartieren, die in Oslo komplett neu entstehen oder völlig neu gestaltet werden. Die dynamische Stadtentwicklung ist eine Antwort auf das Bevölkerungswachstum. Oslo hat etwa 670 000 Einwohner, im Großraum leben etwa 1,5 Millionen Menschen, fast ein Drittel der norwegischen Bevölkerung. Die Stadt war über Jahre hinweg eine der am schnellsten wachsenden Großstädte Europas, mit einem Zuwachs von teils mehr als 10 000 Menschen pro Jahr. Trotzdem hat die kommunale Politik den lang anhaltenden Trend, die Metropole räumlich auszudehnen, durchbrochen. Seit Mitte der Achtzigerjahre verfolgt die Stadt eine klare Politik: Die vorhandenen Flächen sollen besser genutzt werden. Im Gebiet von Groß-Oslo stieg die Bevölkerungsdichte zwischen 2000 und 2009 von 28,7 auf 30,7 Personen pro Hektar, innerhalb der Stadtgrenzen von 37,9 Personen auf 42,3 Personen, also um mehr als elf Prozent.

Die Aufgabe lautet: Trotz Verdichtung die urbane Lebensqualität wahren, also auch ökologische Aspekte im Fokus behalten. Mit dem Programm "Fjordstadt" beschloss die Kommune 2008 die Erneuerung ihrer Ufer. Wo Werften, Häfen und Schnellstraßen über viele Jahrzehnte die Stadt vom Meer trennten, entstehen nun Museen, andere kulturelle Veranstaltungsorte, Büroflächen, Wohnungen und öffentliche Parks. Die Pläne umfassen einen zehn Kilometer langen Uferstreifen. In den neuen Stadtvierteln spielen Autos nur noch eine untergeordnete Rolle. Der Fuß- und Fahrradverkehr soll das Leben auf den Straßen prägen. Die einzelnen im Programm "Fjordstadt" neu entstehenden Quartiere werden durch eine sich über neun Kilometer erstreckende Hafenpromenade entlang des Ufers miteinander verbunden. Orientierung geben orangefarbige Türme. Texttafeln und Bilder daran informieren über nahe gelegene Attraktionen, historische Fakten und darüber, was hier gebaut wurde oder noch geplant ist.

Die gravierendsten Veränderungen und aufregendsten architektonischen Ergänzungen findet man im Stadtviertel Bjørvika. Die schwimmende Fußgängerbrücke führt von Sørenga auf direktem Weg dorthin, wo ein neues kulturelles Zentrum entsteht. Das künftige Munch-Museum, ein zwölfgeschossiges Gebäude auf einer dreigeschossigen Basis, ist in seiner Grundform bereits zu erkennen. Auch eine öffentliche Bibliothek wird hier gebaut. Dazwischen steht die Oper, bereits 2008 eröffnet. Sie scheint sich mit ihren kantigen, weißen Fassaden wie ein Eisberg aus dem Wasser des ehemaligen Hafenbeckens zu erheben. Über schräge Ebenen können Flaneure bis auf das Dach des Gebäudes laufen, wo der Blick über den Fjord und die Osloer Innenstadt geht.

Direkt hinter der Oper sieht man "Barcode", einen Teil von Bjørvika, der die neue Skyline Oslos bildet: zwölf Hochhäuser unterschiedlicher Breite und Höhe. Zwischen den Gebäuden gibt es unbebaute Flächenstreifen, sodass die Skyline von Weitem einem Barcode ähnelt. In den Gebäuden sind Büroräume, Wohnungen, Kulturangebote sowie Restaurants und Geschäfte untergebracht. Über eine Fußgängerbrücke, die die Gleise des benachbarten Hauptbahnhofs kreuzt, kommt man aus der Innenstadt in das neue Quartier - und hat einen beeindruckenden Blick auf die aneinandergereihten Türme. Sie stechen nicht nur durch ihre Höhe, sondern auch ästhetisch deutlich im Stadtbild Oslos hervor, weshalb ihr Bau kontrovers diskutiert wurde.

Ausgezeichnet: Im kommenden Jahr ist Oslo "grüne Hauptstadt Europas"

Die Verbindung von Alt und Neu war dagegen westlich des Rathauses in Aker Brygge das Leitmotiv. Für mehr als 100 Jahre war die Aker Mechanische Werkstatt dort in Betrieb. Seit 1986 wurden die alten Werftgebäude um moderne Architektur ergänzt. Für den Stadtraum gilt auch hier: Wo früher Autos fuhren, haben nun Fußgänger und Radfahrer Platz. Das Gebiet mit Geschäften und Restaurants ist gut besucht. Dort, wo sich Osloer und Stadtbesucher tummeln, schließt sich unmittelbar Tjuvholmen an. Bis 2012 bauten hier mehr als 20 Architekten ein neues Viertel mit 1200 Wohnungen, weitgehend autofrei.

Am Fjordufer, dem südwestlichen Ende Tjuvholmens, steht das von Renzo Piano entworfene Astrup-Fearnley-Museum. Direkt daneben befindet sich ein weiterer öffentlich zugänglicher Badebereich, wenn auch kleiner als das Sørenga Sjøbad. Der autofreie Stadtraum ist von Wasserwegen durchzogen, deren künstliche Unterwasserriffe Lebensräume für Fische und Schalentiere schaffen. Die beiden Quartiere mit ihren großzügigen Wegen und kleinen Brücken erinnern an Venedig mit modernem Antlitz.

Oslos Stadtplanung beschränkt sich nicht nur auf das ehemalige Hafengelände am Fjordufer. Auch weiter landeinwärts, etwa auf dem ehemaligen Vulkan-Fabrikgelände am Ufer des Flusses Akerselva, ist in den vergangenen Jahren ein neues Quartier entstanden. Energieeffizienz steht hier im Fokus. Zu den nachhaltigen Besonderheiten zählt ein lokales Energiezentrum mit 300 Meter tiefen Geothermalquellen. Zwei Hotels gewinnen Energie aus Kühlräumen und Aufzügen zurück. Architektonischer Hingucker ist ein Bürogebäude, dessen Fassade durch ein aufwendiges Solar-Wasserheizsystem geprägt wird.

Auch wegen solcher Projekte hat die EU-Kommission Oslo zur "Grünen Hauptstadt Europas" des Jahres 2019 ernannt. Diesen Titel erhalten Großstädte, die in der EU Vorreiter bei umweltfreundlichen Konzepten sind. Oslo habe mit seinem ganzheitlichen Ansatz beeindruckt, so die EU-Kommission. Er umfasse Themen wie Artenvielfalt, öffentlicher Nahverkehr, soziale Integration und Gesundheit. Die Juroren lobten unter anderem die Wiedereröffnung und Renaturierung zahlreicher natürlicher Wasserwege in der Stadt. Die schwimmende Fußgängerbrücke bei Sørenga ist damit nicht einmal gemeint.

© SZ vom 26.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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