Kolumne: Silicon Beach:Gier der Großen

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Illustration: Bernd Schifferdecker (Foto: N/A)

Am Beispiel der Plattform Onlyfans zeigt sich, was passiert, wenn plötzlich Prominente mitmachen - und andere verdrängen, die darüber Geld verdient haben.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Wer wünscht sich das nicht? Musik-Legende Carlos Santana bringt einem bei, wie man Gitarre spielt, Basketball-Gott Steph Curry perfektioniert die Technik beim Drei-Punkte-Wurf, TV-Koch Gordon Ramsey verrät ein geheimes Rezept. Danach schickt der philippinische Boxer Manny Pacquiao einen Geburtstagsgruß per Video, und Gesamtkunstwerk Snoop Dogg empfiehlt einem, das Leben bitteschön nicht ganz so ernst zu nehmen. Am Abend kriegt man noch Hinter-den-Kulissen-Bilder von Künstlerin Bella Thorne. Hach, was für ein Tag!

Ist das nicht schön, quasi direkt mit all den Promis verbunden zu sein und Inhalte zu sehen, die nicht jeder bekommt - als wäre man mit ihnen befreundet? Das ist die Geschäftsidee von Plattformen wie Masterclass (Prominente halten Kurse ab), Cameo (persönliche Grüße zum Geburtstag oder Jahrestagen) und Onlyfans. Letztere sorgt gerade für Aufregung und ist damit ein Lehrstück darüber, wie eine Idee ad absurdum geführt wird, wenn die Gier der Großen unersättlich wird.

Onlyfans gibt es seit 2016. Auf der Seite können Nutzer Abo-Modelle für zahlende Fans erstellen - etwa eine Hobby-Köchin, die pro Woche ein exklusives Rezept veröffentlicht und dafür fünf Euro im Monat von ihren Fans kriegt. Anfang des Jahres sammelte das amerikanische Model Kahlen Ward unter dem Künstlernamen "The Naked Philanthropist" eigenen Angaben zufolge mehr als eine Million Dollar für den Kampf gegen die Waldbrände in Australien ein, indem sie auf der Plattform Nacktfotos verkaufte.

Dank der digitalen Revolution wurde der kreative Prozess derart vereinfacht, dass jeder mit einem Smartphone und einer Internet-Verbindung Inhalte erstellen kann. Erfolgreich ist, wer Sachen veröffentlicht, die möglichst viele Leute sehen wollen. Während der Pandemie bietet das all jenen, die vom direkten Kontakt zum Kunden leben, die Möglichkeit, eine Beziehung trotz Abstandhalten aufzubauen. Stripper und Prostituierte zum Beispiel können so trotz geschlossener Etablissements etwas dazu verdienen. Es geht bei den meisten der mittlerweile knapp 750 000 Produzenten nicht um möglichst ausgefallene Inhalte - ja, es gibt viele Nacktfotos und auch entsprechende Videos -, sondern um Exklusivität und die Illusion von privater Beziehung.

Auch Instagram-Influencer, die keine Reisebilder mehr veröffentlichen konnten, posten hier

Die Plattform behält 20 Prozent der Abo-Gebühren, die Produzenten erhalten 80 Prozent. Sie sagen aber, dass dies nur etwa 40 Prozent der eigenen Einnahmen ausmache. Der Rest komme über Trinkgeld und noch exklusivere Inhalte. Eine von ihnen ist Erica North, die explizite Bilder von sich verkauft. Sie hat nach eigenen Angaben in den vergangenen eineinhalb Jahren mehr als eine viertel Million Dollar verdient. Der Schlüssel zum Erfolg sei die Beziehung zu den Kunden, sagt auch North. Sie sei permanent in Kontakt mit den Abonnenten, kenne die Geburtstage oder auch die Namen derer Kinder. Onlyfans wurde auch zur Anlaufstelle für jene Instagram-Influencer, die zum Beispiel keine Reisebilder mehr veröffentlichen konnten und ihr, nun ja, Bilder-Portfolio ein wenig änderten.

Die Leute kaufen also nicht nur Fotos oder Videos, sondern einen Einblick, den sonst niemand bekommt - so wie in der analogen Zeit ein Foto, das einem jemand überreicht hat, ein exklusives Geschenk war. Klar, so manche Inhalte auf Onlyfans sind krasser als ein hübsches Foto, und es geht hier auch nicht um Freundschaftsgeschenke, sondern um Geld - aber bisher gab es dort nichts, das nicht auch woanders zu finden wäre. Bisher.

Dann kamen die Promis.

Bella Thorne, bereits als Säugling in Werbefilmen zu sehen und als Teenager ein Star auf dem Disney Channel, brach im August ein paar Rekorde, als sie mit der Ankündigung, Nacktfotos zu veröffentlichen, innerhalb von 24 Stunden mehr als 2,1 Millionen Dollar Umsatz generierte. Das führte dazu, dass die Plattform ein paar Beschränkungen einführte, wie zum Beispiel ein Maximal-Trinkgeld von 100 Dollar (davor 200), höchstens 50 Dollar für Pay-Per-View-Angebote (vorher 200) und maximal 100 Dollar für private Nachrichten (zuvor 200), sowie eine Verzögerung der Auszahlung auf 21 Tage von davor einer Woche. Das erzürnte all jene, die Onlyfans nicht als Zusatzeinkommen oder Spielerei betrachteten, sondern von jedem Dollar Trinkgeld leben müssen.

Und das führt zu einem der anderen Aspekte der digitalen Revolution, der während der Corona-Pandemie so richtig spürbar wird: Wenn die Livemusik-Kneipe geschlossen hat, dann hat der Künstler freilich die Möglichkeit, ein Konzert von daheim aus an alle Fans zu schicken - doch wie groß ist die Aussicht auf Erfolg, wenn gleichzeitig Popstar Justin Bieber auftritt? Natürlich hat die Punkband Die Ärzte bei ihrem Auftritt in den "Tagesthemen" um Hilfe für Künstler in der Corona-Zeit geworben - aber eben auch mal schnell das neue Album beworben, das just an diesem Tag erschien.

Onlyfans ist nun keine Nischen-Plattform mehr, die Zahl der Nutzer liegt bei etwa 60 Millionen. Es gibt dort nun nicht mehr nur die Stripperin, die sonst kein Einkommen hat. Nicht mehr nur den Fitness-Guru, der ein bisschen flirtet. Es gibt: Schauspieler Tyler Posey. Sänger Aaron Carter. Rapper Tyga. Und es ist wie so oft im Leben: Eine Sache ist nur so lange cool, bis Mainstream-Promis davon erfahren und sie für ihren Geldspeicher nutzen wollen.

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