Online-Reputation:Was der Mensch im Netz wert ist

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Neue Internetdienste ermitteln den Wert der Online-Persönlichkeit, damit Unternehmen einflussreiche Persönlichkeiten im Netz umwerben können. Wer Glück hat, erhält eine Urlaubsreise, der 0815-Netzbewohner nur ein Wurstbrötchen.

Andrian Kreye

Es ist vorbei mit den egalitären Zeiten, als die Gleichheit vor dem Netz noch ungeschriebenes Grundrecht war. Ab sofort wird der Selbstwert der digitalen Persönlichkeit von Ratingagenturen ermittelt, die Klout heissen, Tweet Grader oder PeerIndex.

Einfluss ist auch nur eine Zahl:Die Klout-Auswertung des Twitter-Kanals des Digitalressorts von sueddeutsche.de. (Foto: Screenshot)

Man muss sich nicht einmal anmelden. Wer auf Twitter, Facebook oder LinkedIn ein Konto unterhält, wird automatisch erfasst. Die Algorithmen der Agenturen ermitteln den Wert zwischen 1 und 100 automatisch. Das schafft Klarheit über den digitalen Selbstwert.

Bewertet wird das Sozialverhalten im Web und die Reaktion der Netzgemeinde, im Jargon der Firmen: der digitale "Einfluss". Wer viel twittert und zitiert wird, bekommt viele Punkte. 100 hat bisher nur Justin Bieber. Selbst Lady Gaga schafft nur 93, Barack Obama 89.

Ein Selbstversuch ergibt - Klout hat den Persönlichkeitswert auf 47 und einen Status als "Experte" festgelegt. Gar nicht so schlecht. Der Durchschnittswert liegt um die 20. Selbst Bestsellerautor Malcolm Gladwell hat mit 49 Punkten nicht viel Vorsprung, allerdings den Status "Thought Leader".

Der Harvard-Intellektuelle Steven Pinker kommt auf 45, Bill Clintons intellektueller Berater Amitai Etzioni gar nur auf 18. Was wahrscheinlich nur bedeutet, dass die Herren anderes zu tun haben, als sich um ihre Twitter- und Facebookkonten zu kümmern. Nur die Fachgebiete, die Klout den eigenen 47 Expertenpunkten zugeordnet hat, irritieren etwas - Algorithmen, Saudi-Arabien und Steuern. Saudi-Arabien?

Deostift statt Konzertkarten

Nun könnte man die digitale Persönlichkeit als Tamagochi des 21. Jahrhunderts verwerfen. Wer will das Ding schon dauernd füttern. Die Gruppenzwänge der sozialen Netze sind sowieso schon so lästig und anstrengend wie die Regeln und Rituale auf einem hormonüberlasteten Oberschulhof. Wären da nicht die ganz realen Auswirkungen der Ratingagenturen auf das wirkliche Leben.

Die drei eingangs genannten Agenturen sind derzeit damit beschäftigt, das gesamte soziale Netz zu erfassen. Mehr als 2500 Firmen nutzen inzwischen den Datensatz von Klout. Wer weit oben rangiert, bekommt Urlaubsreisen und Konzertkarten geschenkt. Mit 47 Punkten sind derzeit ein Schweinebrötchen, ein Deostift und Vitaminsaft aus der Tüte im Angebot.

Nein, das Internet hat nie versprochen, dass es online mit dem Selbstwertgefühl besser sein wird als im wirklichen Leben.

© SZ vom 03.08.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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