Österreich-Kolumne:Sehnsucht nach der Diva

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Die Aussicht auf den Winter wird in Österreich von vielen Dingen getrübt - in Zeiten des Verzichts hilft aber immerhin der Instagram-Account von Dagmar Koller.

Von Angelika Slavik

Eines der tollsten Dinge an Österreich ist ja, dass es Dagmar Koller gibt. Die Koller - Musicalstar, Bürgermeistersgattin und für alle Zeiten die berühmteste Anwohnerin der Wiener Naglergasse - ist seit jeher ein unerschöpflicher Quell an österreichischer Lebensweisheit. Es gibt praktisch kein Thema, zu dem sie nicht Erlebnisse, Erkenntnisse oder Tipps beisteuern kann - und das auch freigiebig tut.

Das gilt für die Liebe im Allgemeinen ("Jede Liebe fängt ja überhaupt erst über den Sex an. Alles andere ist doch lächerlich."), das gilt für die Liebe in der zweiten Lebenshälfte ("Der verlassene Mann ist ein Glücksfall, nach dem sich fast alle Frauen in der Altersklasse fünfzig plus sehnen.") Das gilt aber auch für modische Dilemmata ("Wenn man nicht weiß, was man zu einer Gesellschaft anziehen soll, kommt man am besten als Erste. Dann haben die anderen das Gefühl, falsch angezogen zu sein.") und würdevolles Altern ("Sorgen sollten Sie sich machen, wenn Sie aufhören, sich die Zehennägel zu lackieren.").

Eine unverzichtbare Dosis Koller bekommt man in normalen Zeiten natürlich in den "Seitenblicken" oder beim Opernball. Traditionell erzählt die Diva - für wen sonst wurde dieses Wort erfunden! - dann Geschichten vom seligen Zilk, manchmal auch von Falco, Lady Di und Prince Charles. Das ist immer super, selbst wenn man die Geschichte, wie ihr mal unglücklicherweise ein Panscherl mit Prince Charles angedichtet wurde, schon gefühlt vierhundert Mal gehört hat.

Jetzt ist der Opernball abgesagt ( wie mein Kollege Martin Zips hier berichtet) und die "Seitenblicke" darben nach der Corona-Pause so vor sich hin. Man hat ein bisschen Sehnsucht nach der Prinzen-Panscherl-Geschichte, man überlegt sogar schon, ob sich Zehennägellackieren überhaupt noch auszahlt. Jetzt kommt auch noch der Herbst, oder wie man heute sagt: die zweite Welle, es gäbe also eine Menge Grund für klassische Wiener Grantelstimmung - bis man entdeckt, dass die Koller jetzt eine eigene Instagramseite hat.

Da kann man sehen, wie sie daheim in der Naglergasse Klavier spielt, mit Schlapfen und gemusterten Socken, oder wie sie, mittlerweile 81, jetzt mit dem Boxtraining anfängt. ("Das Virus soll nur kommen! Dem streue ich Pfeffer in den Arsch!"). Am schönsten ist aber das Video, in dem sie erzählt, wie sie im Lockdown "viele gute neue Gedanken" hat, um dann noch ein "Bussi an euch alle" zu schicken.Da kann man dann gar nicht anders, man holt den Nagellack, wirft sich in unangemessene Garderobe und denkt: Die Koller ist ein noch größerer Glücksfall als ein verlassener Mann über 50.

Diese Kolumne ist zuerst am 25. September 2020 im Österreich-Newsletter erschienen.

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