Ölpreis:Sturz im Gleichgewicht

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SZ-Grafik; Quelle: Bloomberg (Foto: SZ_Infografik Hanna Eiden)

Die Krise in Griechenland, ein mögliches Abkommen mit dem Iran und große Sorgen um Chinas Finanzmärkte lassen die Ölpreise heftig fallen - aber nur kurz.

Von Jan Willmroth, München

Beinahe zwei Monate lang war Ruhe. In den 30 Handelstagen seit Mitte Mai blieb der Ölpreis weitgehend stabil. Kurzfristige Kontrakte für die weltweit wichtigste Ölsorte Brent bewegten sich mal um bis zu 4,50 Dollar nach oben, mal nach unten - verglichen mit den vergangenen zehn Jahren extrem geringe Schwankungen ( siehe Grafik). Analysten sprachen schon von einem "neuen Gleichgewicht": Nach dem Preissturz um zeitweise mehr als 60 Prozent seit Mitte vergangenen Jahres, hatte der Ölpreis wieder ein Niveau erreicht, das Nachfrage und Angebot in eine Balance bringen würde.

Und dann: Brechen die Preise zu Wochenbeginn innerhalb eines Tages um 6,3 (Brent) und 7,7 Prozent (US-Sorte WTI) ein, der größte Tagesverlust seit Februar. Die Griechenland-Krise war Kommentatoren schnell zur Hand, um den rasanten Verfall zu erklären. Doch so unbedeutend Griechenland für die Weltwirtschaft, so unzureichend ist diese Begründung allein. Sorgen um die Zukunft der Euro-Zone mögen wichtig für die Rohstoffmärkte sein - die wahren Preistreiber aber sind andere. Nachdem Öl über mehrere Jahre hinweg mehr als 100 Dollar pro Barrel gekostet hatte, trafen im vergangenen Jahr zwei Entwicklungen aufeinander, die den deutlichsten Preisverfall seit Ausbruch der Finanzkrise auslösten. Die Nachfrage stieg über das Gesamtjahr hinweg um lediglich ein Prozent, wie aus aktuellen Statistiken des Ölkonzerns BP hervorgeht. In den Industrieländern stagniert die Nachfrage seit Jahren. Zugleich entfaltete der Fracking-Boom in den USA seine volle Wirkung und sorgte gemeinsam mit anhaltend hoher Förderung aus den Staaten der Opec sowie der Rückkehr Libyens an den Weltmarkt für ein enormes Überangebot.

Nun könnte sich dieser Überhang durch das Ende einer 35 Jahre andauernden Ära der Sanktionen noch ausweiten: In der Nacht zum Mittwoch endete die verlängerte Frist in den Verhandlungen über das iranische Atomprogramm. Sollte eine Einigung erzielt werden, so hatte der iranische Vize-Ölminister Mansour Moazami angekündigt, wolle das Land seine Ölexporte innerhalb von sechs Monaten verdoppeln. "Wir sind zum Abflug bereit wie ein Pilot auf der Startbahn. So geht es gerade dem ganzen Land", sagte Moazami dem Wall Street Journal. Man wolle die Ölexporte von derzeit etwa 1,2 Millionen Barrel pro Tag auf 2,3 ausdehnen.

Iran könnte nach Ende der Sanktionen zum zweitgrößten Ölproduzenten der Opec werden

Unter iranischem Boden lagern die viertgrößten Ölreserven der Welt. Schon jetzt führt die iranische Regierung Gespräche mit ehemaligen Abnehmern in Europa und aktuellen Kunden in Asien, um die zusätzlichen Exporte loszuwerden. Europäische Ölkonzerne wie Shell, Total und Eni haben diese Verhandlungen bestätigt.

Der aktuelle Preisrutsch spiegelt somit Spekulationen auf eine Rückkehr Irans an die Weltmärkte wider - auch, wenn Analysten skeptisch sind, ob Iran so schnell wieder mehr Öl fördern könnte. Das Land wäre mit einer maximalen Fördermenge von schätzungsweise vier Millionen Barrel der zweitgrößte Ölproduzent in der Opec. Derweil sind die Mengen innerhalb der Opec so hoch wie seit 2012 nicht mehr. Im Juni haben die Mitgliedsländer des Öl-Kartells ihre Produktion sogar noch erhöht.

Hinzu kommt ein weiteres überraschendes Rekordniveau. Ölproduzenten in den USA hatten Ende vergangener Woche angekündigt, wieder mehr Öl aus dem Boden zu holen. Aktuellen Förderdaten der US-Energiebehörde zufolge, ist die Anzahl aktiver Bohrtürme, der sogenannte rig count, zum ersten Mal seit Dezember wieder gestiegen. Zudem sind die Lager in den Vereinigten Staaten weiterhin voll. Die Vermutung, dass die monatelang zurückgehende Förderung in den USA mittelfristig zu weiter steigenden Preisen führen würde, erweist sich zumindest bislang als Trugschluss.

Für zusätzliche Ungewissheit sorgt die Situation in China, wo die Regierung am Wochenende Aktienkäufe veranlasste, um die fallenden Börsenkurse zu stützen. An den Rohstoffmärkten wachsen die Zweifel, ob es der Regierung gelingen wird, die Unruhe an den Kapitalmärkten zu begrenzen. China ist der zweitgrößte Ölverbraucher der Welt. Sollte das Wachstum weiter schwächeln, würde das den Druck auf die Ölpreise erhöhen.

Trotz der kurzfristigen Schwankungen dürfte die Geschichte vom neuen Gleichgewicht gar nicht so falsch sein. Unterschreitet der Preis für Rohöl die 50-Dollar-Marke, lohnt sich in vielen großen Förderstätten die Produktion nicht mehr und die Nachfrage steigt. Übersteigt er 75 Dollar pro Barrel, würden sehr wahrscheinlich viele derzeit inaktive Fracking-Förderstätten schnell wieder eingerichtet. Es ist also unwahrscheinlich, dass es so schnell noch einmal große Preisbewegungen wie im vergangenen Jahr geben wird - auch nicht nach oben.

© SZ vom 08.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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