Ökonomie:Quer gedacht

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Denk doch, wie du willst: Überraschende Einblicke von Deutschlands wichtigsten Ökonomen. Das Buch zur SZ-Serie ist am 18. Juni 2016 erschienen. Jetzt für 14,90 € zu bestellen unter sz-shop.de oder Tel.: 089/21831810. (Foto: sz)

Es gibt viel Kritik an der herrschenden Ökonomie. Doch sie ist bunter und vielfältiger, als viele glauben.

Von Catherine Hoffmann und Jan Willmroth, München

Am Anfang war Adam Smith. Geboren 1723 im schottischen Kirkcaldy, Autor des Buches "Der Wohlstand der Nationen", gestorben 1790 in Edinburgh. Mit seinem Werk begründete der Moralphilosoph die Volkswirtschaftslehre als eigenständige Wissenschaftsdisziplin. Darin erklärt er, wie die "unsichtbare Hand des Marktes" den Egoismus des Einzelnen in wachsenden Wohlstand für die Gesellschaft verwandelt. Smith hat damit dem eigenwilligen und stets rationalen Homo oeconomicus schon früh den Boden bereitet.

Doch spätestens seit in der jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise der Wohlstand für die Allgemeinheit schrumpfte, steht derlei orthodoxe Lesart des Smithschen Klassikers unter Rechtfertigungsdruck. Nicht nur linke Ökonomen warnen davor, dass eigennütziges Verhalten und kurzfristige Gewinnmaximierung, wie sie vor der Finanzkrise im Extrem zu beobachten waren, selbstzerstörerische Kräfte entfalten.

In der Öffentlichkeit - und auch in der Wissenschaft selbst - wird nun intensiv über die Ökonomie als Wissenschaft diskutiert. Wohin steuert das Fach? Was können Ökonomen dazu beitragen, dass die Welt ein besserer Ort wird? Und was sind die richtigen Methoden? Das sind die Fragen, die sich stellen. Gerade unter Studenten und jungen Ökonomen regt sich zunehmend Widerstand gegen eine allzu einseitige Ausrichtung der Volkswirtschaftslehre und mangelnden Pluralismus.

Der Unmut über das Fach mag verständlich sein. Doch die Kritiker übersehen, dass viele Wirtschaftswissenschaftler längst an alten Dogmen rütteln, zum Beispiel dem vom Homo oeconomicus. Sie erforschen in Experimenten, wie wir Bürger wirklich ticken, und arbeiten eng mit Historikern und Psychologen zusammen. Ökonomen nutzen heute Methoden, die spätestens seit dem Aufkommen von experimenteller Wirtschaftsforschung, Verhaltensökonomik und Neuroökonomie vielfältiger sind denn je.

Auch inhaltlich befassen sich Wirtschaftswissenschaftler längst nicht mehr allein mit ökonomischen Fragen nach Konjunktur und Wachstum, Inflation und Zinsen, Arbeitsmarkt und Wettbewerb. Vielmehr beschäftigen sich Ökonomen mit fast allen Fragen, die sich im Alltag so stellen: Wie kann es zum Beispiel sein, dass die eine Flasche Wein 1,50 Euro kostet, eine andere aber 200 Euro? Eine einfache Frage, die ganz schön kompliziert wird, wenn man länger darüber nachdenkt, wie es Jens Beckert vom Kölner Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung getan hat.

Oder Georg Weizsäcker. Der Berliner Forscher beschäftigt sich viel mit der Frage, wie Menschen ihre Finanzen regeln. Weiß jemand, der eine Lebensversicherung abschließt, wie viel Geld er später herausbekommt? Wie hoch die Gebühren sind, wenn er seine Police storniert? Nach Lehrbuch versteht der Kunde, was ihn erwartet. In Experimenten zeigt sich dagegen die ganze Irrationalität gewöhnlicher Finanzgeschäfte. Der Homo sapiens hat nämlich massive Schwierigkeiten, sich Erträge vorzustellen, die weit in der Zukunft liegen und in jeder Periode Zufälligkeiten unterworfen sind. Zwischen Theorie und Wirklichkeit liegen Welten. Und Politiker, die ihren Bürgern die Verantwortung für ihre Altersvorsorge überantworten, müssen sich fragen, wie sie mit dieser Erkenntnis umgehen.

Auch vor moralischen Fragen schrecken moderne Ökonomen nicht zurück. Armin Falk etwa wollte wissen: Wie viel Geld ist Menschen ein Mäuseleben wert? Die Antwort: 6,40 Euro. Das zeigt eine einfache Versuchsanordnung. Aber sie zeigt noch viel mehr: Der Markt verleitet Menschen, unmoralisch zu handeln. Nun mag sich so mancher fragen, was das, bitte schön, mit Ökonomie zu tun hat. Falk, Direktor des Bonner Center for Economics and Neuroscience und vielfach ausgezeichneter Forscher, wischt solche Fragen einfach vom Tisch. "Die Frage ist irrelevant. Das einzige Kriterium für mich ist: interessant oder nicht?"

Heute schreiben Soziologen gemeinsam mit Ökonomen, Psychologen und Naturwissenschaftlern Papiere; Ökonomen wie der Kölner Professor Axel Ockenfels lassen sich von den Erkenntnissen verwandter Wissenschaften inspirieren. Die jahrzehntelang feststehenden Schranken zwischen den Fächern der Gesellschaftswissenschaften stehen offen. Wissenschaftler wie Till van Treeck von der Universität Duisburg-Essen bezeichnen sich als Sozialökonomen, andere als Wirtschaftssoziologen oder Wirtschaftshistoriker. Sie hoffen, mit ihrem breit gefächerten Wissen mitunter bessere Antworten auf ökonomische Fragen geben zu können als die Ökonomen selbst.

Die Süddeutsche Zeitung hat in einer Serie 36 herausragende Forscher vorgestellt, die nun in dem Buch "Denk doch, wie du willst" vereint sind. Mancher von ihnen ist erst Anfang 30, andere um die 40, keiner älter als 50. Diese neue Generation von Wirtschaftswissenschaftlern, die nun in den Fokus rückt, ist in vieler Hinsicht pragmatischer und weniger orthodox als ihre Vorgänger. Sie ist offener für neue Ideen und Sichtweisen. Und sie steht für eine Rückbesinnung auf Schnittmengen zwischen den Wissenschaften, die es zu Smiths Zeiten schon gegeben hat. Aus heutiger Perspektive wird ja oft vergessen, dass Smith zuvorderst Moralphilosoph war. Als solcher interessierte er sich für die Beweggründe, aus denen Menschen handeln, für ihre Gefühle und Wertvorstellungen - kurz: für die Psychologie. Der Vater der Ökonomie war kein Prediger eines ungezähmten Marktes, er suchte nach Werten, ohne die Smith zufolge eine Marktwirtschaft auf Dauer nicht bestehen könne.

Bereits 1759 beschäftigte sich Smith in seiner "Theorie der ethischen Gefühle" mit dem Wesen des Menschen und der Frage, wie Mitgefühl entsteht. Ihm war bewusst, dass Menschen Sympathie und Antipathie in ihre Entscheidungen mit einbeziehen. Er konstruierte einen fiktiven "unparteiischen Beobachter", mit dem er die Entstehung moralischer Regeln erklärte: Das Tun eines Menschen wird danach beurteilt, ob es auf anständigen Motiven gründet - Eigennutz als Motiv reicht nicht aus.

Wenn man also nach dem Begründer der modernen Verhaltensökonomik sucht, dann, so könnte man sagen, hat der Klassiker Adam Smith auch dafür schon vor langer Zeit die Grundlage geschaffen. Heute, also rund 250 Jahre später, sind Psychologie und Moral mitten in der Volkswirtschaftslehre angekommen. Zumindest in der Mikroökonomie, die sich mit dem Handeln von Haushalten und Unternehmen befasst, haben sich die meisten Forscher vom stets rationalen, nutzenmaximierenden Individuum verabschiedet.

© SZ vom 26.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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