Öffentlicher Nahverkehr:Der Staat zahlt - die Milliarden versickern

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Mit viel Geld fördert der Bund jährlich den Regionalverkehr. Nun zeigt sich: Nicht jedes Land geht mit den Mitteln effizient um.

Daniela Kuhr, Berlin

Bei der Förderung des Nahverkehrs verschwendet die öffentliche Hand Milliarden an Euro. Das ergab eine Analyse des Bundesverbands der Verbraucherzentralen, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Vor allem in ostdeutschen Bundesländern, aber auch im Saarland, wird demnach "mit einem überdurchschnittlichen Aufwand ein unterdurchschnittliches Ergebnis erzielt".

Etwa sieben Milliarden Euro stellt der Bund den Ländern jährlich zur Verfügung, um damit ihren Schienenpersonennahverkehr zu bestellen. Wie sie die Mittel verwenden, bleibt ihnen überlassen. (Foto: Foto: dpa)

Seit der Bahnreform 1994 ist es Aufgabe der 16 Bundesländer, den Schienenpersonennahverkehr selbst zu bestellen. Oft beauftragen sie die Deutsche Bahn damit, zunehmend jedoch auch deren Konkurrenten. Um den Verkehr finanzieren zu können, erhalten die Bundesländer jährlich insgesamt etwa sieben Milliarden Euro an sogenannten Regionalisierungsmitteln aus dem Bundeshaushalt.

Wie die Länder die Mittel verwenden, bleibt ihnen überlassen. Eine Kontrolle durch den Bund findet nicht statt. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen hat nun erstmals auf Basis von Daten des Statistischen Bundesamts ausgewertet, wie wirtschaftlich die Länder mit dem Geld umgehen.

Mehr Fahrgäste bei gleichem Aufwand

Das Ergebnis ist ernüchternd: Bei gleichem Aufwand könnten bundesweit "20 Prozent mehr Fahrgäste im Schienenpersonennahverkehr befördert werden, wenn in den Bundesländern die Regionalisierungsmittel effektiv verwendet würden", schreibt der Verfasser, Holger Krawinkel.

Besonders schlecht schneiden das Saarland, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen ab. Diese Länder bezahlen für Verkehrsleistungen deutlich mehr als andere. "Schon beim Aufwand für die eingekauften Zugkilometer liegt zwischen den effizientesten und den ineffizientesten Bundesländern eine Differenz von 50 Prozent", heißt es in der Studie.

Wenn man dann noch berücksichtige, wie viele Personen mit dem Geld transportiert würden, seien die Unterschiede noch größer. So kostet es in Bayern im Schnitt elf Cent, eine Person einen Kilometer im Zug zu transportieren, in Sachsen dagegen 35 Cent. "Und das, obwohl die Siedlungsdichte in Sachsen höher als in Bayern ist", sagt Krawinkel zur SZ.

Gelder angemessen verteilen

Allein mit der unterschiedlichen Bevölkerungsdichte seien die Differenzen also nicht zu erklären. Die Analyse kommt zu dem Ergebnis, dass die Regionalisierungsmittel anders zwischen den Ländern verteilt werden sollten. 1994 erfolgte die Verteilung nach einem Schlüssel, der nahezu unverändert bis heute gilt (siehe Grafik).

Er richtete sich vorrangig nach dem damaligen Fahrplanangebot in den jeweiligen Ländern. Dieses sollte finanzierbar bleiben. Doch seit damals haben sich Nachfrage und Angebot deutlich verändert. Die Verteilung der Mittel entspreche "nicht mehr der tatsächlichen Verkehrsleistung in den jeweiligen Bundesländern", so die Studie.

Im Schnitt fahren die Deutschen 573 Kilometer pro Jahr mit Regionalzügen (siehe Grafik). Die Sachsen aber legen nur 326 Kilometer zurück, die Saarländer sogar nur 250 Kilometer, während die Bayern und die Brandenburger jeweils mehr als 700 Kilometer fahren. Auffallend schlecht schneidet Nordrhein-Westfalen ab. Obwohl das Land dicht besiedelt ist, fahren die Bürger dort im Jahr nur 465 Kilometer mit Regionalzügen.

Zu viele Direktvergaben

Krawinkel ist überzeugt, dass im Regionalverkehr Milliarden an Euro verschwendet werden. Es müsse dringend analysiert werden, woran die Effizienz-Unterschiede lägen. Das vorhandene Zahlenmaterial reiche dafür nicht aus. Die Studie legt vor allem zwei Erklärungen nahe.

Zum einen würden die Länder Aufträge zu selten ausschreiben, sondern direkt vergeben - häufig an die Bahn. "In diesem Fall nutzen die Verkehrsanbieter womöglich aus, dass das Land dank der Regionalisierungsmittel eine erhöhte Zahlungsbereitschaft aufweist", vermutet Krawinkel.

Mit anderen Worten: Die Anbieter wissen, dass Geld da ist, und verlangen daher mehr für ihre Leistung. Und die Länder sind bereit zu zahlen. Denn im derzeitigen System hätten ineffizient arbeitende Länder keine Sanktionen zu befürchten, heißt es in der Studie. "Im Gegenteil müssen besonders effizient arbeitende Länder befürchten, nicht verwendete Mittel an den Bund zurückzahlen zu müssen."

Überhöhte Preise für die Schienennutzung

Eine zweite Erklärung für die Effizienz-Unterschiede wäre, dass die Deutsche Bahn als Betreiberin des Netzes in bestimmten Regionen von den Bahnunternehmen höhere Preise für die Schienennutzung verlangt, sodass diese ihre Leistung teurer anbieten müssen. Auch hier könnte dahinter das Motiv stecken, die Regionalisierungsmittel abzuschöpfen.

Laut Studie deutet vieles auf solche "überhöhte Trassen-Entgelte" hin. Der Autor schlägt eine grundlegende Reform vor. Statt den Ländern pauschal Millionenbeträge zur Verfügung zu stellen, sollte der Bund ihnen künftig nur noch ein Grundangebot im Nahverkehr über eine feste Zusage finanzieren und alle zusätzlichen Mittel gezielt dahin leiten, "wo die Verkehrsnachfrage am größten und die Mittelverwendung am effizientesten ist".

So lasse sich der größte Nutzen für Fahrgäste, Steuerzahler sowie die Klimabilanz ziehen. Voraussetzung sei, dass die Länder nachvollziehbar über die Verwendung der Mittel Auskunft geben müssen. "Es ist erstaunlich, wie lange es schon an Transparenz und Anreizen fehlt, um diese offenkundige Fehlsteuerung beim Einsatz öffentlicher Mittel abzustellen", schreibt Krawinkel.

© SZ vom 12.05.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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