Neuerungen beim sozialen Netzwerk:Warum die Facebook-Monokultur scheitern muss

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Brauchen wir bald das offene Web nicht mehr? Wenn es nach Mark Zuckerberg geht, soll Facebook zum Zentrum des digitalen wie des echten Lebens werden, zum mächtigen Parallel-Internet, das wir niemals verlassen müssen. Sollte diese Vision Realität werden, nimmt unser gesamtes digitales Ökosystem Schaden.

Johannes Kuhn

Mögen Sie Pferderennen? Wir Beobachter der Technologie-Branche lieben es, nur heißen unsere Pferdchen Apple, Google, Facebook oder Microsoft. Wer hat die Nase vorn, wer gewinnt mehr Kunden, wer hat die besseren Features? Auch die Neuerungen, die Facebook-Chef Mark Zuckerberg auf der Entwicklerkonferenz vorgestellt hat, können schnell in den Kategorien des Gewinner-und-Verlierer-Journalismus analysiert werden.

Facebook-Chef Mark Zuckerberg bei seiner F8-Keynote: Das Facebook-Internet nimmt Gestalt an. (Foto: AFP)

Facebooks neue Funktionen vergrößern den Vorsprung gegenüber Google Plus, sagt die eine Seite, die andere sieht das Zuckerberg-Portal längst jenseits des Scheitelpunkts und prophezeit, dass in wenigen Jahren Google Plus die Nase vorn haben wird.

Für beide Prognosen (wie lieben wir Prognosen!) gibt es Argumente, doch die Konzentration auf den Wettlauf der Großkonzerne verstellt den Blick auf das Wesentliche: Mit der Facebook-Generalüberholung taucht die Zukunftsvision Mark Zuckerbergs so klar wie nie zuvor vor unseren Augen auf.

Facebook wurde durch die Einbindung des "Gefällt-mir"-Knopfs zum Netz hinter dem Internet, nun soll das Portal so umgekrempelt werden, dass der Facebook-Nutzer den Rest des Netzes eigentlich nicht mehr braucht.

Keine Frage der Moral

Musik- und Filmkonsum? Soll bald in der Facebook-Oberfläche möglich sein, gemeinsam mit Freunden noch dazu. Nachrichtenseiten? Können wir bald besuchen, ohne Facebook überhaupt verlassen zu müssen.

Dazu kommt noch die akribische Chronologisierung der digitalen Biographie in der Timeline und die Übersetzung von Echtleben-Tätigkeiten in Facebook-Apps. Als Beispiel nannte Zuckerberg die Nike-Applikation, die per Smartphone-GPS den Joggingweg protokolliert und die Route wunderbar als Karte anzeigt.

Klammern wir einmal die Frage nach der Privatsphäre aus und gehen vom Ideal aus, dass jeder Nutzer sich bewusst ist, was das Speichern solcher Informationen auf Facebook-Servern bedeutet (und hoffen wir, dass datenverwaltende Großkonzerne bald zu mehr Transparenz bezüglich dieser Informationen verpflichtet werden). Klammern wir einmal moralische Kategorien aus: Facebook und Google sind nichts anderes als Werbeagenturen, die Informationen vermarkten wollen, ja müssen, um den Wert ihres Unternehmens zu steigern.

Die Welt als Facebook-Schnittstelle

Beschäftigen wir uns einfach mit den Folgen, die eine Facebook- oder Google-Welt für das Internet haben würde. Ein befreundeter Web-Entwickler drückte es jüngst mir gegenüber so aus: "Ich habe keine Lust, irgendwann einmal nur noch auf Google- oder Facebook-APIs programmieren zu können." APIs sind die Programmierschnittstellen, über die Entwickler Software für Internetdienste basteln können.

Je mächtiger die großen Monokulturen werden, desto größer die Sogwirkung. Im Bereich des Social Web ist das evident: Kaum ein Unternehmen, Künstler, Internet-Nutzer, der sich nicht bei Facebook präsentiert; kaum eine Plattform, die auf die Einbindung des "Gefällt-mir"-Knopfes verzichtet.

Man mag Mark Zuckerberg Chuzpe unterstellen, wenn er von einem Facebook-Universum träumt, das niemand mehr verlassen muss, weil er dort alles findet, was im echten Leben geschieht und zudem sein eigenes kleines Internet hat.

In Wahrheit ist es eine Wette auf die Marktmacht des eigenen Unternehmens: Wenn die Nutzer sich fast ausschließlich auf Facebook aufhalten, müssen sich alle Branchen, die mit dem Internet Geld verdienen wollen, dorthin begeben. Nicht nur mit Fanseiten und "Gefällt-mir"-Knöpfen, sondern mit eigenen Programmen, Facebook-Klonen des eigenen Web-Angebots. Und Facebook kann die Bedingungen diktieren, unter denen sie es tun.

Der gesunde Menschenverstand sagt, dass solch universellen Ambitionen meist scheitern müssen. Brauche ich wirklich eine komplette Online-Chronik meines Lebens auf den Facebook-Servern? Möchte ich wirklich meine Joggingstrecke automatisch aufzeichnen und veröffentlichen? Wird wirklich alles, was wir tun "sozial", wie Mark Zuckerberg es vorschwebt? Eigentlich wollten wir doch nur mit unseren Freunden in Kontakt bleiben, ein paar lustige Sprüche klopfen und Bilder hochladen.

Facebook wettet auf zwei Dinge: Auf der einen Seite soll unser digitales Nutzungsverhalten nun komplett auf das Spielfeld des Netzwerks verlegt werden. Auf der anderen Seite rechnet die Firma damit, dass wir unsere Alltagsaktivitäten freudig über diverse Facebook-Apps protokollieren und auf der Plattform speichern. Dies ist eine Wette auf eine fundamentale Veränderung des Nutzerverhaltens - wie einst Google darauf setzte, dass die Suche unser Ankerpunkt bei der Navigation im Netz wird.

Sollte der Konzern richtig liegen, wird es nicht nur für den Einzelnen schwieriger, auszusteigen und seine digitale Facebook-Identität hinter sich zu lassen: Das offene, dezentrale Web wird an Bedeutung verlieren - und damit auch die Wahlmöglichkeiten. Auch ein "Sieg" von Google Plus würde zu einem solchen Szenario führen, lagern wir doch schon unsere Suchanfragen, Kontakte, E-Mails, Kalender, Dokumente auf den Servern des Suchgiganten.

Wir haben die Wahl

Das Schöne ist: Wir, die Internetnutzer, haben die Wahl. Auf der einen Seite liegt der bequeme Weg über die Identitätsmonopolisten, der unser digitales Ökosystem nachhaltig schädigen könnte. Der andere Weg ist nicht ganz so komfortabel: Bei ihm verteilen wir unsere Daten auf verschiedene Dienste oder speichern und verwalten sie sogar selber über unseren eigenen Server in der heimischen Wohnung.

Wenn wir wollen, dass das Internet so offen und vielfältig wie bisher bleibt, sollten wir uns für die beschwerlichere Route entscheiden.

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