Neue Diskussion:Chirac will Stabilitätspakt aufweichen

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Frankreichs Präsident Jacques Chirac will die Defizitregeln für den Euro vorübergehend lockern. Deutschland, das wie Frankreich derzeit klamm dasteht, stellt das Drei-Prozent-Ziel dagegen nicht in Frage.

Alexander Hagelüken und Ulrich Schäfer

(SZ vom 15.07.03) - Die Bundesregierung signalisiert überraschend Unterstützung für den Vorschlag Italiens, Europas Konjunktur durch ein Milliardenprogramm anzukurbeln.

Chirac forderte, die Defizitregeln müssten angesichts der schlappen Konjunktur vorübergehend außer Kraft gesetzt werden. "Es geht nicht darum, den Stabilitätspakt zu verändern.

Es geht vielmehr darum, die Vertreter der Länder der Euro-Zone dazu zu bringen, gemeinsam die Bedingungen für eine temporäre Lockerung der Regeln zu prüfen", sagte Chirac in seinem traditionellen Fernsehinterview zum französischen Nationalfeiertag.

Stabilität, ja aber

Die Finanzminister sollten eine Lösung finden, die Stabilität herstelle, aber das Wirtschaftswachstum nicht behindere.

Die Bundesregierung sieht dagegen keinen Anlass, etwa die Regel zu lockern, die ein Defizit von höchstens drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts erlaubt.

"Deutschland steht zum Drei-Prozent-Ziel", sagte der Sprecher von Finanzminister Hans Eichel, Jörg Müller. Er sehe in Chiracs Aussagen aber keine neue Qualität.

Strafverfahren

Hintergrund des Vorstoßes: Gegen Deutschland und Frankreich laufen bereits Strafverfahren wegen zweimaliger Überschreitung des Defizitlimits. Beide Staaten haben große Schwierigkeiten, die Regeln 2004 einzuhalten.

Die Bundesregierung ist unterdessen überraschend bereit, den Milliarden-Plan Italiens für ein europäisches Infrastruktur- und Forschungsprogramm zu unterstützen. Wirtschaftsminister Wolfgang Clement bezeichnete den Vorschlag als "vernünftig".

Die italienische Regierung will in ihrer EU-Ratspräsidentschaft ein gewaltiges Programm zum Ausbau europäischer Verkehrsnetze und zur Förderung der Forschung anschieben.

60 bis 70 Milliarden Euro

Ministerpräsident Silvio Berlusconi will 60 bis 70 Milliarden Euro in diesen Bereich zu pumpen - und das ganze über Kredite der Europäischen Investitionsbank oder Darlehen mit staatlicher Garantie finanzieren.

Clement hatte bereits vor kurzem gefordert, die Wirtschaft in Europa brauche einen Wachstumsimpuls wie in den USA. "Wir sind in einem gewaltigen, weltweiten Wettbewerb, und wenn wir nicht darauf acht geben, werden wir den nicht gewinnen."

Zukunftsbranchen

Es sei deshalb gefährlich, wichtige Zukunftsbranchen zu vernachlässigen, während gleichzeitig Milliardensubventionen in den Agrarsektor flössen: "Wenn ich das nebeneinander stelle, kann ich mich doch gleich erschießen", sagte der SPD-Politiker.

Clements Position wird nun von hochrangigen Regierungskreisen unterstützt: Italiens Pläne "sind richtig, was das Prinzip betrifft", hieß es am Montag in Berlin: "Wir müssen mehr tun, um die transeuropäischen Netze auszubauen und in Forschung und Entwicklung investieren. Das ist auch eine europäische Aufgabe."

Schuldenwirtschaft

Allerdings dürfe ein solches Milliardenprogramm nicht über staatliche Kredite finanziert werden: "Die EU darf nicht mit der Schuldenwirtschaft anfangen, die uns in Deutschland so riesige Probleme eingebracht hat. Europa soll keine Kredite aufnehmen, das war bisher die Linie, und dabei muss es auch bleiben", heißt es im Finanzministerium.

Die EU-Finanzminister beraten an diesem Dienstag erstmals über das Programm. Diplomaten in Brüssel zeigten sich skeptisch. "Es gibt wenige Länder, die das vorbehaltlos unterstützen", sagte ein Regierungsvertreter.

Lange Fristen

Belgien wies darauf hin, dass Infrastrukturprogramme meist nicht kurzfristig die Konjunktur belebten, sondern nur langfristig wirkten. Angesichts der langen Fristen könnte das Programm sogar erst wieder im nächsten Aufschwung wirken, also antizyklisch.

Ein anderer Diplomat sagte, auch eine Finanzierung über Kredite der Europäischen Investitionsbank belaste die nationalen Haushalte und bringe damit Probleme mit dem Stabilitätspakt, da die Bank bei so hohen Summen ihr Eigenkapital erhöhen müsse, was die Mitgliedsstaaten finanzieren.

Auch private Kredite mit staatlichen Garantien verursachten Kosten. "Im Augenblick haben wir noch viele Fragen."

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