Neu-Vorstand Brigitte Ederer:Die rote "Gitti" steigt bei Siemens auf

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Die österreichische Sozialdemokratin Brigitte Ederer steigt in den Vorstand auf: Ein Beleg für die veränderte Firmenkultur des Siemens-Konzerns.

M. Frank und M. Hesse

In Österreich sind Dinge möglich, um die es deutsche Politiker und Manager zu recht und innig beneiden. Da ist es zum Beispiel möglich, direkt von einer Berufspolitikerkarriere in die Leitung von nennenswerten Unternehmen zu wechseln, sich dort mit eiserner Hand an die Spitze zu boxen und doch den Nimbus eines volksnahen, sozialverpflichteten Zeitgenossen zu wahren.

Die 54-jährige Brigitte Ederer, die nichts dagegen hat, "Gitti" genannt zu werden, hatte in ihrer Heimat Österreich in der Politik Karriere gemacht. Nun wird die studierte Volkswirtin die zweite Frau im Konzernvorstand, den ihr Landsmann Peter Löscher weiblicher und internationaler machen will. (Foto: Foto: Reuters)

So jemand ist Brigitte Ederer, die Generaldirektorin von Siemens Österreich, die nun als Personal- und Europachefin in die absoluten Höhen des Weltkonzerns aufrückt. Allein die Tatsache, dass selbst in bodennäheren Gesellschaftsschichten gerne die Rede von der "Gitti" Ederer ist, sagt genug: Der Hang zum Diminutiv, zur Verharmlosung, ist eines der großen Tarnmanöver österreichischer Persönlichkeiten.

So betont Ederer immer, "Gitti" benannt zu werden, schmeichle ihr eher, als dass es sie störe - auch wenn man weiß, dass Österreicher mit dem Gebrauch des Necknamens gern persönliche, geradezu geheimnisvolle Nähe zu solch wichtigen Gestalten insinuieren wollen. Brigitte Ederer war und ist Sozialdemokratin und war einst eine populäre politische Gestalt.

Ederer glänzt mit besonderem Adel

Verbindlich in der Form, volkstümlich im Ausdruck, nicht allzu emanzipiert auftretend, verkörperte sie lange ein erfolgreiches, aber nicht zu fortschrittliches Frauenbild. Der nicht sonderlich futuristisch gestimmten Klientel der SPÖ hat das immer gefallen.

Zumal Ederer einen ganz besonderen Adel aufwies: Sie entstammt einer traditionell "roten" Familie aus Floridsdorf, also aus "Transdanubien", den proletarischen Gefilden jenseits der Donau, die das hochnäsige Bürgertum nicht einmal als echtes Wien akzeptiert, was bei der Arbeiterschaft aber immer eigene Nobilität bedeutete.

Alois Mock gab ihr einen Bussi

Die 54-jährige Volkswirtin engagierte sich in der Arbeiterkammer, einer in Österreich hochbedeutenden Mischung aus Arbeitnehmervertretung und Verbraucherschutzorganisation. Sie brachte es politisch bis zur Staatsekretärin für Europafragen im Bundeskanzleramt zu Wien, wo sie vehement den Beitritt des Landes zur EU betrieb.

Sie ist mit dem SPÖ-Europaabgeordneten Hannes Swoboda verheiratet. Legendär die Szenen, als bei den endgültigen Aufnahmezeremonien zum EU-Beitritt 1994 Ederer, Wiens Außenminister und der Bundespräsident um die Plätze am Verhandlungstisch rangelten - und am Ende der pechschwarze Außenamtschef Alois Mock, ein ausgesprochener Sozi-Fresser, der "roten Gitti" einen herzhaften Kuss auf die Wange drückte.

Im Jahr 2000 ging Ederer in den Vorstand von Siemens Österreich, 2005 wurde sie dort der Boss. Sie hatte großen Anteil an der Übernahme und Integration der VA Tech, des bis zu der Übernahme durch Siemens im Jahr 2004 größten österreichischen Technologiekonzerns. So hat sie sich beim Management in München Respekt erworben.

Das dürfte ein Grund sein, weshalb Ederer nun als zweite Frau neben Barbara Kux in den Konzernvorstand einzieht. Scherzte man noch vor einigen Jahren, um Siemens-Vorstand zu werden müsse man bayerisch sprechen, männlich sein und ein CSU-Parteibuch haben, ist die Berufung Ederers auch ein Beleg dafür, dass sich die Unternehmenskultur am Wittelsbacher Platz allmählich ändert.

Eine Sozialdemokratin aus Österreich passt gut in das Bild eines Konzerns mit Geschlechter- und Nationalitätenvielfalt im Management, das Siemens sich gerne geben möchte. Allerdings spielt man bei Siemens die Tatsache, dass eine weitere Frau in den Vorstand rückt, herunter und verweist lieber darauf, dass sie ein politisches und wirtschaftliches Schwergewicht in Österreich sei. "Sie kann knallhart sein, wer hier einen soften Frauenfaktor erwartet, könnte sich täuschen", heißt es.

Korruptions-Affäre schadete Ederer nicht

Auf Arbeitnehmerseite sieht man den Werdegang und den politischen Hintergrund Ederers allerdings mit Wohlwollen. Dort verweist man auf ihre Erfahrung bei Mitbestimmungsthemen. Schließlich begann Ederer ihre Karriere in der wirtschaftswissenschaftlichen Abteilung der Arbeiterkammer Wien.

"Sie könnte vielleicht schaffen, was viele Arbeitsdirektoren vor ihr nicht geschafft haben, und dafür sorgen, dass Arbeitnehmerinteressen auch im Vorstand mehr Gehör finden", sagt ein Arbeitnehmervertreter. Die nächste Herausforderung für Ederer dürfte sein, den geplanten Stellenabbau in der IT-Sparte SIS umzusetzen. 4200 Jobs sollen dort wegfallen. Das Problem dürfte kaum gelöst sein, bis sie ihr Amt im Juli antritt.

Chuzpe ist ihr nicht abzusprechen: Selbst die Korruptions-Affäre des Konzerns überstand Ederer unbeschädigt. Erst tat sie so, als sei Siemens Österreich nicht betroffen, später suggerierte sie den Landsleuten, dass - wie so oft in der Geschichte - an den Sünden im eigenen Hause doch nur die Deutschen Schuld trügen. Selbst Kündigungswellen und die harte Hand ihres Landsmannes Peter Löscher an der Konzernspitze tun dem nicht wirklich Abbruch.

Sie wusste stets den Nimbus zu wahren

Auch künftig wird man ihr viel verzeihen, denn Österreicher kompensieren heute ihren Verdruss über die anschwellende Zuwanderung Deutscher gerne mit dem großen Stolz, dass austriakische Landsleute in Deutschland beheimatete Dickschiffe vom Kaliber eines Siemens-Konzerns oder der Lufthansa kommandieren.

Wiewohl in der Öffentlichkeit zuletzt kaum präsent, ist Ederer in Österreich jedenfalls noch immer populär: Erst vor eineinhalb Jahren, nach dem unglückseligen Ende der Regierung Alfred Gusenbauer in Wien, wurde sie kurzeitig sogar als neue Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei gehandelt.

Zumindest für ihre Heimat wusste sie stets den Nimbus zu wahren, eigentlich ein harmloses, nettes Mädel zu sein, dem nichts mehr am Herzen liege als das Wohlergehen der einfachen Leute.

© SZ vom 05.05.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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