Netzneutralität in den USA:Zwei-Klassen-Netz mit Fußnoten

Lesezeit: 2 Min.

Gegen ein Zwei-Klassen-Internet: Demonstranten protestieren am 15. Mai in Washington D.C. für Netzneutralität. (Foto: AFP)

Die FCC schlägt vor, die Netzneutralität abzuschaffen - doch das ist noch nicht das letzte Wort. Was der US-Regulierer wirklich vorhat und warum amerikanische Nutzer die Idee sogar gut finden könnten.

Eine Analyse von Johannes Kuhn, San Francisco

Der Weg für ein Zwei-Klassen-Internet ist frei, auch wenn strenge Regeln gelten sollen: In der Nacht zum Freitag deutscher Zeit veröffentlichte die Federal Communications Commission (FCC) ihre Vorschläge für die Neuregelung des Internetverkehrs, die sie Stunden zuvor verabschiedet hatte.

Auf 99 Seiten ( PDF mit Anmerkungen hier) hat die Behörde zusammengestellt, wie sie künftig das Breitbandinternet regulieren und das Zusammenspiel von Providern, Dienste-Anbietern und Kunden orchestrieren möchte.

Im Januar hatte ein Gericht entschieden, dass die Behörde zwar grundsätzlich das Recht habe, den Breitbandverkehr zu regulieren, aber die bisherigen Regeln dafür nicht ausreichen. Die FCC sah sich deshalb unter Zugzwang und betont in dem Dokument, dass man nun unter neuer Rechtsgrundlage diese Regeln schaffe und damit auch mögliche Lücken in der Regulierung schließe, um "das freie und offene Internet" zu sichern.

Überholspur unter Bedingungen

Erstmals erlaubt es die FCC explizit, dass Dienstanbieter und Internetprovider Abmachungen treffen können, bestimmte Datenpakete zu bevorzugen. Vor allem Streaming-Portale oder Telemedizin-Firmen dürften auf die Möglichkeit zurückgreifen, für bessere Geschwindigkeit, für bessere Qualität oder für beides zu bezahlen.

Diese Abmachungen sind aber an Bedingungen geknüpft: Sie müssen den Vorschlägen der FCC zufolge öffentlich gemacht werden und dürfen nicht dazu führen, dass andere Datenpakete blockiert oder herabgestuft werden oder dass der Service eines Providers insgesamt leidet und ein bestimmtes Mindestlevel unterschreitet.

Wie dieser Mindestzugang aussieht, lässt die FCC noch offen. Möglichkeiten gibt es mehrere: Die Behörde könnte eine gewisse Grundgeschwindigkeit festlegen oder definieren, dass bestimmte Dienste immer ohne Probleme verwendbar sein müssen (zum Beispiel Internettelefonie oder Videostreaming).

Die FCC lässt also eine Überholspur auf der Datenautobahn zu, will aber gleichzeitig Staus auf den anderen Spuren verbieten - im Zweifels- und Idealfall müssen die Provider die Strecke ausbauen, was bislang in den USA nur schleppend geschieht.

Wie sieht "wirtschaftliche Vernunft" aus?

Zudem steht die Bevorzugung von Daten unter dem Vorbehalt der "wirtschaftlichen Vernunft" - wenn Comcast also Netflix so stark bevorzugt, dass alle anderen Streaminganbieter plötzlich schlecht aussehen, kann die FCC einschreiten und die Zusammenarbeit verbieten. Allerdings ist unklar, wie die Kriterien für "wirtschaftliche Vernunft" aussehen.

Als weitere Gegenleistung für die Priorisierung will die FCC für mehr Einblick in die echten Leistungen der Provider sorgen: Netzwerkprobleme sollen demnach künftig detailliert mit Ursache, Dauer und Geschwindigkeitsverlust protokolliert werden, insgesamt sollen mehr Daten darüber erhoben werden, ob die Anbieter ihre Versprechen einhalten.

Die Behörde betont, dass es sich noch nicht um einen endgültigen Vorschlag handelt und fordert die Beteiligten - und damit auch die Internetnutzer - zu Kommentaren zu dem Papier und Rückmeldungen zum aktuellen Service der Provider auf. Sogar die Möglichkeit, dass bereits eine Bevorzugung von Datenpaketen gegen das Blockierverbot des Internetverkehrs verstößt, wird explizit zur Diskussion gestellt.

Grundversorgung schlägt Netzneutralität

Der Ansatz der FCC speist sich aus den Entwicklungen am US-Internetmarkt: Vernünftige Breitbandgeschwindigkeit lässt sich eigentlich nur über Kabelanbieter wie Comcast oder Time Warner erreichen, die wiederum sehr große Marktmacht haben.

Gleichzeitig sorgt der Siegeszug des Streamings für größeren Bedarf und - gerade zur abendlichen TV-Zeit - für schlechte Internetverbindungen.

Die FCC kalkuliert nun, dass Provider durch priorisierte Datenübertragung die Stabilität der neuen Dienste garantieren, gleichzeitig aber ihr Netz ausbauen, um den künftig geltenden Mindeststandard halten zu können - zum Beispiel mit dem Geld, dass sie über solche Deals eingenommen haben.

120 Tage für Kommentare

Allerdings hat sich die FCC schon häufiger mit solchen Ideal-Modellen verkalkuliert und ist nun dabei, einen Präzedenzfall zu schaffen, der das Prinzip der Netzneutralität aushebelt.

In den kommenden 120 Tagen können alle Beteiligten ihre Kommentare und Vorschläge zu dem FCC-Papier vorlegen. Internetanbieter hatten vor der Veröffentlichung bereits heftige Kritik an den Ideen geübt, Aktivisten hatten mobilgemacht.

Nun müssen sie entscheiden, ob sie die Netzneutralität für einen noch nicht näher definierten Grundzugang zum Internet aufgeben wollen.

© Süddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: