Nahaufnahme:Später Ruhm

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Ilaria Capua: "Ich bin eine Wissenschaftlerin, beiße mir nicht auf die Zunge, habe Erfolg und bin keine Labormaus." (Foto: oh)

Die Virologin Ilaria Capua galt einst als Vorreiterin im italienischen Wissenschafts­betrieb. Doch dann endete ihre Karriere abrupt. Heute ist ihr Rat mehr gefragt denn je.

Von Ulrike Sauer

Und wenn die Frauen als erste wieder in die Büros und Fabriken zurückkehren dürften? Wenn sie als erste aus dem Hausarrest befreit würden, um den Wiederaufbau der Wirtschaft in die Hand zu nehmen? Ilaria Capua beschäftigt diese Vorstellung. Die italienische Virologin ist wie viele ihrer Kollegen überrascht, dass Frauen tendenziell besser gegen das Coronavirus gewappnet zu sein scheinen. Jedenfalls weisen erste Zahlen darauf hin, dass Männer wesentlich häufiger einen schweren Krankheitsverlauf durchstehen müssen. Die Politiker sollten darüber nachdenken, wenn sie die Lockerung des Shutdowns vorbereiten, regt die preisgekrönte Forscherin an. "Frauen könnten die Motoren des Neustarts werden", sagt sie.

Capua, 53, ist weit weg. Italien verließ die Ausnahme-Wissenschaftlerin vor vier Jahren, weil sie in ihrer Heimat keine Zukunft sah. Nun schaltet das italienische Fernsehen sie aus den Vereinigten Staaten zu, wo sie an der Universität Florida das One Health Center of Excellence leitet. Denn über das Coronavirus spricht sie ganz anders als ihre italienischen Kollegen. Die Römerin redet von Sars-CoV-2 so einfühlsam wie über einen Menschen, dessen Absichten sie genau kennt. Sie tut es auf ihre Art, mit ausdrucksvoller Mimik und bitterer Ironie. Das Virus schrecke vor niemandem zurück, warnt sie. Bei Frauen gelinge ihm das jedoch weniger gut als bei Männern. 82 Prozent der Covid-19-Patienten auf den Intensivstationen der am schlimmsten heimgesuchten Region Lombardei sind Männer. Drei von zehn Todesopfern in Italien sind Frauen. Sie sind zudem noch älter als die Männer. Da läge es nahe, zu untersuchen, ob sich Frauen als das starke Geschlecht in der Pandemie nicht als "rote Ampel" einsetzen lassen.

Überall in Europa, aber vor allem in Italien, wird verzweifelt nach einer Exit-Strategie aus der Quarantäne gesucht. 60 Millionen Italiener leben seit fünf Wochen unter einer strikten Ausgangssperre. Auf die Straße darf nur, wer lebensnotwendige Besorgungen machen muss oder einen systemrelevanten Beruf ausübt. Die Industrie steht still. Viele fürchten, dass der gesundheitlichen Katastrophe ein wirtschaftlicher Kollaps folgen wird, von dem sich das Land nie wiederaufrichten wird. "Wir müssen als erstes die gefährdeten Menschen schützen und dann herausfinden, wer sich schon in die neue Normalität rauswagen kann", sagt Capua.

Weltruf erlangte die Italienerin durch ihre Vorreiterrolle im internationalen Wissenschaftsbetrieb. 2006 gelang es ihrem Team, das afrikanischen Vogelgrippevirus H5N1 zu entschlüsseln. Capua machte die Entdeckung in einer Gendatenbank allen zugänglich. Sie forderte damit die Weltgesundheitsorganisation heraus und stieß eine Debatte über die Transparenz von Forschungsergebnissen an. "Das ist das Wichtigste, was ich in meinem Leben als Wissenschaftlerin getan habe", sagte sie. Die US-Fachzeitschrift Seed kürte sie zum "revolutionary mind". Weitere internationale Auszeichnungen folgten. Heute bildet ihre Entdeckung die Grundlage für die weltweite Suche nach einem Corona-Impfstoff.

Im April 2014 endete die Karriere der geachteten Forscherin jedoch. Sie landete in Italien als "Virenhändlerin" auf dem Titel eines Magazins. Ein Staatsanwalt beschuldigte sie des Schwarzhandels mit Viren, der Bildung einer kriminellen Vereinigung und der Verursachung einer Epidemie. Ihr drohte lebenslange Haft. 2016 wurde das Verfahren gegen sie eingestellt, schlicht und einfach "weil die Tat nicht vorliegt". Capua packte 400 Kisten und ging mit Mann und Tochter in die USA. Wie konnte das passieren? "Ich bin eine Wissenschaftlerin, beiße mir nicht auf die Zunge, habe Erfolg und bin keine Labormaus", sagte sie einmal.

© SZ vom 15.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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