Nahaufnahme:Schaffe, schaffe

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Der Grieche Ioannidis hat sich in Schwaben seinen "German Dream" erfüllt. Doch die Leistungsorientierung der Gegend ist selbst dem fleißigen Kapitalisten ein bisschen viel.

Von Max Hägler

Wie es so geht nach drei Jahren Deutschland? Vasileios Ioannidis lächelt unter seinem Vollbart, zeigt auf die Auslagen links und rechts. "Mein 'German Dream' ist ja in Erfüllung gegangen!" Er steht zwischen Sportschuhen, dem angesagten, modischen Zeug. Ein Sneaker-Paradies im Einkaufszentrum in Böblingen. Und Ioannidis, der Griechenland-Auswanderer, ist hier: "Filialleiter!" Nicht überheblich klingt das bei dem 30-Jährigen, eher ein bisschen verwundert. Erst seit kurzer Zeit ist er in dem Land und schon solch ein Posten.

Ioannidis ist ein Rückkehrer. Er wurde in Schwaben geboren, als er 13 Jahre alt war, nahmen ihn seine Eltern nach Griechenland mit, in deren Heimat, die auch seine wurde. In Thessaloniki ging er zur Schule, studierte, wollte Lehrer werden. Doch Stellen gab es keine in der Krisenzeit. "Irgendwas machen für 600 Euro bei Zwölfstunden-Schichten, da war ich mir zu schade." Zumal da drohte, was viele Griechen erleben: Mama, Papa, könnt ihr mir was leihen? Also machte er sich an einem Herbsttag im Jahr 2013 auf den Weg dorthin, wo er einst groß wurde. Und ist einer von vielen.

Knapp 4000 Griechen sind seit Januar 2012 aus Griechenland nach Stuttgart gezogen, 14 000 sind nun in der Südwest-Metropole gemeldet, eine "Hochburg der Griechen" sei man, schreibt die Stadt - und da sind die mehreren Tausend Eingebürgerten noch gar nicht mitgezählt. Es gibt Viertel, in denen jeder zehnte Bewohner aus Griechenland stammt, Cannstatt oder Untertürkheim etwa: Hier ist der Daimler nah, und große Autozulieferer haben hier ihre Werke. "Das ist der große Traum von so vielen Griechen", sagt Ioannidis, "beim Daimler am Band arbeiten. Und danach ein griechisches Restaurant aufmachen." Er schüttelt den Kopf, für ihn ist das alles nichts.

Nachdem er angekommen war, schickte er Bewerbungen an alle möglichen Sportfirmen: "Ich bin selbst ein kleiner Turnschuh-Verrückter, hab' 30 Paar in meiner Wohnung." Heute trägt er zur kurzen Hose und schwarzem Firmen-T-Shirt: Adidas, klassisch, weiß. Während er auf die Erfüllung des "German Dream" wartete, jobbte er im Callcenter einer Dampfstrahlerfirma. Nach einigen Monaten: Endlich eine Antwort eines Modeladens. Er wurde zum Bewerbungsverfahren eingeladen, bekam ein Training, wurde gleich stellvertretender Filialleiter in der Stuttgarter Fußgängerzone.

Ein Jahr später bekam er hier in Böblingen den Laden zugeteilt. "Wenn du es kannst, bekommst du hier Chancen", sagt Ioannidis. Wieso ist das nicht möglich in Griechenland, fragt er. Wieso ist da so viel Vetternwirtschaft? Wieso ändert auch Alexis Tsipras nichts, treibt keine Steuern von den Reichen ein? Das treibt ihn weiter um, wenn er abends per Facebook mit der anderen Heimat Kontakt hält. "Regierungschef Tsipras war unsere letzte Hoffnung", sagt Ioannidis, "selbst von eher kapitalistischen Leuten wie mir."

In Schwaben stehen sie auf Leistung, das wusste er schon noch aus Schulzeiten. "Schaffe, schaffe, Häusle bauen, das ist mir hängen geblieben." Also, alles gut? Na ja: "Du hasch' Ups and Downs." Er spricht mittlerweile wieder ein wenig dieses knödelige Stuttgarter Schwäbisch. "Ich seh' nicht wie mein kleiner Neffe groß wird, ich seh' nur einmal am Tag die Mama per Skype." Und die Leistungsorientierung in diesem Landstrich ist selbst diesem fleißigen Kapitalisten ein bisschen viel: Immer nur würden die Menschen hier übers Geldverdienen reden, über die Arbeit. Abends gehen alle heim, machen die Tür zu. Und schreiben die ganze Zeit auf ihren Handys herum, anstatt sich einfach zu treffen. Ihm fehlt das Leben. Ioannidis zuckt mit den Schultern - etwas hilflos - und sagt: Man muss sich eben anpassen.

© SZ vom 28.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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