Wie er Sport treibt, das erzählte Thomas Rabe, 55, schon öfter. Er rudert auf einer Maschine, fährt Rad oder joggt nach einem Punktesystem. In der Regel gibt er sich selbst für jeden Trainingskilometer einen Punkt. Sein Ziel seien 100 Punkte pro Woche. Auch Kasper Rorsted, 58, pflegt ein besonderes Punktesystem, allerdings bei der Erziehung seiner Kinder. Deren Taschengeld bemisst sich nach Punkten für das Erledigen unbeliebter Tätigkeiten wie Hausaufgaben oder Hausarbeit. Wenn ein Kind kein Engagement zeige, verriet Rorsted, gebe es Minuspunkte und müsse schlimmstenfalls Taschengeld zurückzahlen.
Da scheinen sich zwei gefunden zu haben. Thomas Rabe und Kasper Rorsted. Zwei Fitnessfreaks mit dem Hang zu Askese und Zahlen. Rorsted ist seit 2016 Vorstandschef des Sportartikelherstellers Adidas, Rabe amtiert als solcher seit 2012 beim Medienkonzern Bertelsmann. Seit 2019 sitzt er auch im Adidas-Aufsichtsrat, dessen Vorsitz er am Dienstag von Igor Landau, 76, übernahm. Von sofort an soll also Thomas Rabe seinen Bruder im Geiste Kasper Rorsted kontrollieren.
Der Wechsel beendet zugleich eine lange Zeit, in welcher der Adidas-Aufsichtsrat von alten Herren regiert wurde; auch Landaus Vorgänger Hans Friderichs und Henri Filho waren weit in den Siebzigern, als sie aufhörten. Was für ein auf sportliche Jugendlichkeit getrimmtes Markenunternehmen schon verwunderlich war. In den vergangenen Jahren wurde der Aufsichtsrat jünger, weiblicher und internationaler. Die Berufung des 20 Jahre jüngeren Rabe zum neuen Vorsitzenden passt so gesehen, stößt aber dennoch in Teilen auf Skepsis.
Allein wegen seiner vielen anderen Jobs. Ist Bertelsmann-Chef alleine schon eine Lebensaufgabe, amtiert der in Luxemburg geborene Sohn eines EU-Beamten seit April 2019 obendrein als Vorstandschef der Bertelsmann-Tochter RTL Group. Und er ist Aufsichtsrat beim Aromenhersteller Symrise. Ob er überhaupt genug Zeit habe für Adidas, wollten Aktionärsvertreter bei der virtuellen Hauptversammlung wissen. Ganz bestimmt, versprach Rabe, es gebe "keinerlei Anlass zur Sorge".
Zweifler wie Ingo Speich, Leiter Nachhaltigkeit und Corporate Governance bei Deka Investment, überzeugen solch lässig dahingesprochenen Bekenntnisse nicht. Rabes Wahl sei mit Blick auf seine "Ämterhäufung, zeitliche Belastung und vor dem Hintergrund der aktuellen Kompetenzverteilung kritisch zu sehen", sagt Speich.
Ihm missfällt auch, dass mit Rabe, Nassef Sawiris (Düngemittelhersteller OCI), Jan Gallienne von der Beteiligungsfirma Groupe Bruselles Lambert und dem anstelle Landaus ins Gremium gewählten SAP-Chef Christian Klein gleich vier Vorstandschefs großer Firmen im Adidas-Aufsichtsrat sitzen. Alles Leute mit viel Arbeit und wenig Zeit. Hinzu kommt Bodo Uebber, der auch bei Bertelsmann im Aufsichtsrat sitzt, "wodurch Interessenkonflikte entstehen können", warnt Speich.
Auch mit Rorsted verbindet Rabe mehr als nur den Hang zu Pünktchenvergaben, Askese und zu Ausdauersport. Bis Rabe in den Adidas-Aufsichtsrat einzog, saß umgekehrt Rorsted sieben Jahre lang im Kontrollgremium bei Bertelsmann. Wie du mir, so ich dir, lautet nun also die Devise.
Dabei braucht Adidas gerade viel Zuwendung. Zwar haben der anfängliche Corona-Mietenstopp und die Rassismus-Affäre, die Personalvorständin Karen Parin den Job kostete, Image und Geschäft weniger geschadet als erwartet. Doch Adidas arbeitet daran, sich neu auszurichten; im November wird ein neuer Fünf-Jahres-Plan verkündet. Ein Minijob, den man nebenbei erledigen kann, ist der Aufsichtsratsvorsitz also sicher nicht. Ganz abgesehen davon ist er ordentlich bezahlt. Landau strich zuletzt 334 000 Euro ein.