Nahaufnahme:In den Tod gemobbt

Lesezeit: 2 min

Didier Lombard: "Ich werde die Rauswürfe durchziehen. Auf die eine oder die andere Art, sei es durchs Fenster oder durch die Türe." (Foto: Francois Guillot/AFP)

Didier Lombard, der frühere Chef der France Télécom, muss sich wegen einer Suizidserie vor Gericht verantworten. Die Schuld an den Vorfällen sieht der Manager jedoch nicht bei sich, sondern auf der mittleren Führungsebene. Schaden wollte er niemandem.

Von Leo Klimm

Er wirkt so behäbig. So harmlos. Das war schon so, als Didier Lombard an die Spitze von France Télécom rückte. Bis sich der damalige Chef des Pariser Telekomkonzerns als rücksichtsloser Reorganisator entpuppte. "Ich werde die Rauswürfe durchziehen", kündigte er einst vor Führungskräften an. "Auf die eine oder die andere Art, sei es durchs Fenster oder durch die Tür."

Das war 2006. Das interne Protokoll, in dem die brisanten Worte festgehalten sind, zählt zu den Beweismitteln in einem spektakulären Musterprozess, der am Montag in Paris begonnen hat. Es geht um 19 Fälle von Selbsttötungen von France-Télécom-Mitarbeitern, zwölf Suizidversuche und acht weitere mutmaßliche Mobbingopfer zwischen 2008 und 2010. Nach langen Ermittlungen muss sich zum ersten Mal ein großes französisches Unternehmen als solches wegen des Vorwurfs systematischen Mobbings vor Gericht verantworten. Und der frühere Chef Lombard, heute 77, soll laut Anklage "der Hauptverantwortliche für das Unterdrucksetzen des Unternehmens" sein. Neben ihm und dem Konzern, der inzwischen Orange heißt, sind sechs weitere Ex-Manager angeklagt.

Es ist ein Prozess, der Frankreich auch ein Jahrzehnt nach der vermeintlichen Selbstmordwelle noch aufwühlt. Denn das Übel, für das Lombard steht, eine tief empfundene Malaise am Arbeitsplatz, wird heute wieder hitzig diskutiert - angesichts von 28 Suiziden, die es seit Jahresanfang allein bei Frankreichs Polizei gegeben hat.

Ja, man konnte sich leicht täuschen in Didier Lombard, der anfangs nur durch Socken und Krawatten in der Firmenfarbe Orange auffiel. Als er 2005 Konzernchef wurde, hatte der gelernte Ingenieur schon eine lange Karriere hinter sich. Von der "Abteilung für radioelektrische Transmission", die er in den Siebzigern leitete, bis zum Technologievorstand. Thierry Breton, sein Vorgänger als Konzernboss, warnte jedoch: "Das ist ein fetter Kater, aber mit seinen Krallen kann er zulangen."

Tatsächlich sah es Lombard als seine Mission, aus der früheren Fernmeldebehörde einen agilen Multimediaanbieter zu formen. Der Rückzug des Staats aus dem Kapital, die neue private Konkurrenz und die technologischen Umwälzungen verlangten, so meinte er, binnen drei Jahren ein Fünftel der 102 000 Stellen abzubauen. Wer bleiben durfte, musste mit häufigen Versetzungen und mit Degradierungen rechnen. In der Anklageschrift zum Prozess ist von einem Firmenklima die Rede, das "auf die Destabilisierung der Beschäftigten" abzielte. Manche seien mit Arbeit überfrachtet, andere zu Langeweile verdammt worden. Drohungen und Erniedrigungen seien gang und gäbe gewesen.

Als Beschäftigte in Abschiedsbriefen reihenweise die Arbeitsbedingungen dafür verantwortlich machten, dass sie sich umbrachten, sagte Lombard, es müsse bitte Schluss sein "mit der Mode von Selbsttötungen". So war das oft: Der Opernliebhaber traf nicht den richtigen Ton. Erst später setzte er den Jobabbau aus - und zog sich unter öffentlichem Druck 2010 schließlich aus der Konzernführung zurück.

Lombard bestreitet heute, dass er Mitarbeitern schaden wollte. Verantwortung für das "Terror-Management", wie es Frankreichs Gewerkschaften nennen, sieht er auf der mittleren Führungsebene. Zu seiner Verteidigung könnte er auch die Statistik anführen. Daraus geht hervor, dass die Suizidrate bei France Télécom unter ihm nicht höher war als im gesamtfranzösischen Durchschnitt. Dennoch hat der Telekomkonzern Lehren gezogen, seit Lombard weg ist. Etwa, indem Beratungshotlines für Mitarbeiter eingerichtet wurden.

France Télécom droht eine Strafe von 75 000 Euro. Lombard muss im Fall einer Verurteilung mit einem Jahr Haft und 15 000 Euro Strafe rechnen.

© SZ vom 07.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: