Nahaufnahme:Gut aufgepasst

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Der New Yorker Medienwissenschaftler Tim Wu glaubt, dass die modernen Tech-Firmen manipulative Macht besitzen. Sie machen Menschen zur Ware.

Von Hakan Tanriverdi

Tim Wu hätte gerne mehr Aufmerksamkeit. Die Beachtung des Publikums in der New York Public Library hat er, der Saal ist voll. "Wir leben in einer Welt des Überflusses. Es gibt nur wenige Dinge, die rar sind", sagt er. Aufmerksamkeit zum Beispiel. Wu glaubt, dass seine von Firmen aus dem Silicon Valley in Anspruch genommen wird, die manipulativ und hartnäckiger werden.

Wu gilt als Verfechter des offenen Internets.

Der an der Columbia Law School lehrende Publizist hat bereits 2002 erkannt, dass das Internet sich in einen Raum verwandeln wird, der von wenigen Diensten dominiert wird. Er hat deshalb das Prinzip der Netzneutralität vorgeschlagen: Alle Daten, die über Internetleitungen geschickt werden, müssen gleich behandelt werden, also in derselben Geschwindigkeit und Qualität ihr Ziel erreichen. In den USA ist dieses Prinzip seit Anfang 2015 klar festgelegt.

"Nach einer Schätzung nehmen unsere Sinne elf Millionen Bits an Informationen wahr und leiten sie weiter an das Gehirn. Es ist erstaunlich, dass wir uns langweilen können," schreibt der Medienwissenschaftler in einem neuen Buch über Aufmerksamkeit. Genauer: Er schreibt über Menschen, die mit Aufmerksamkeit handeln.

Es ist eine dicht erzählte Geschichte, die ihren Anfang bei jener Person nimmt, die zum ersten Mal entschieden hat, die Aufmerksamkeit von Menschen als Ware zu begreifen, mit der sich Geld verdienen lässt. "Seit Tausenden Jahren haben Menschen versucht, ihre Produkte zu verkaufen", sagt Wu auf der Bühne. Das änderte sich mit Benjamin Day.

Der Zeitungsmacher unterbot die Konkurrenz 1830 drastisch im Preis, erhöhte dadurch die Auflage und veräußerte im Anschluss die Leserschaft an die Werbeindustrie. Was nun verkauft werde, sei das Versprechen einer großen Masse und deren Augäpfel, wie es Kommunikationsberater heute nennen. Was vor über 180 Jahren neu war, ist heute gesellschaftlicher Konsens: Wenn etwas umsonst ist, warnen Datenschützer, ist der Kunde nicht König, sondern Produkt.

Wu beschreibt sich selbst als Mann mit Mission. Er wolle gegen üble Machenschaften vorgehen, sagte er im Interview mit der New York Times. Die Zeitung empfahl ihn 2014 als stellvertretenden Gouverneur der Stadt New York. Wu verlor die Wahl, arbeitet aber seither für das Büro des Generalbundesanwalts. Eine der ersten Aktionen von Wu war es, Telekommunikationsanbieter der Stadt für deren "miserable" Internetgeschwindigkeit in einem öffentlichen Brief zu rügen.

Menschen sind für Wu zum Produkt geworden. Sowohl für klassische als auch für moderne Medien. Auch im Zeitalter von Facebook und Google und einer auf das Individuum zugeschnittenen Semi-Öffentlichkeit sind Menschen für ihn Verkaufsgegenstände.

Die Firmen sammeln Daten, um zum günstigsten Zeitpunkt Werbung anzuzeigen, zum Beispiel bei der Internetsuche. "Sie nutzen, dass wir uns in einer Phase der Entscheidung befinden." Hinzu komme, dass der Einfluss der Firmen sich in den privaten Raum verlagere, zum Beispiel in die Kommunikation. Die mit dem Internet verbundenen Geräte sorgen dafür, dass menschliches Verhalten um die Dimension der Daten erweitert wird.

Wu traute anfangs dem Internet zu, die Demokratie zu verändern. Nun sehe er vor allem Versuche, in jeden Schritt insgeheim Werbung zu integrieren. Was sei denn, fragt Wu, wenn man mit dem selbstfahrenden Auto in Zukunft tanken müsse: Werden die Fahrer automatisch an Tankstellen geschickt, die eine Kooperation mit dem Auto-Hersteller haben? "Ich habe Angst vor einer Zukunft, bei der ich den Ausgang nur über die Souvenirabteilung erreiche."

© SZ vom 24.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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