Nahaufnahme:Gottvater von Ehingen

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Der ehemalige Schlecker-Prokurist Reinhold Freudenreich bestätigt im Zeugenstand indirekt den Verdacht der Staatsanwaltschaft Stuttgart.

Reinhold Freudenreich als die rechte Hand Anton Schleckers zu bezeichnen, wäre grenzenlos untertrieben. Als die Kinder des Drogerie-Unternehmers anno 1987 entführt wurden, holte Freudenreich die 9,6 Millionen Mark Lösegeld bei der Bank ab und übergab sie den Entführern. Dabei wurde er von den Kidnappern auch gefangen genommen. "Diesen mutigen und selbstlosen Einsatz habe ich ihm nie vergessen", sagte Anton Schlecker im März vor dem Landgericht Stuttgart über seinen ehemaligen Prokuristen. "Meine Familie hat ihm vertraut wie nur sehr wenigen Menschen." Dennoch kam es zum Streit, Freudenreich verließ das Unternehmen nach 59 Jahren in Diensten der Familie Schlecker 2009. Da war er 82 Jahre alt.

Am Dienstag treffen sich Schlecker und Freudenreich im Sitzungssaal 2.13 des Amtsgerichts Ehingen wieder. Schlecker sitzt auf der Anklagebank, ihm und seinen Kindern Meike und Lars wird unter anderem vorsätzlicher Bankrott vorgeworfen. Freudenreich nimmt auf dem Zeugenstuhl Platz, von ihm erhofft sich das Gericht neue Erkenntnisse über den komplizierten und inzwischen abgewickelten Schlecker-Konzern. Weil Freudenreich mittlerweile 90 Jahre alt und gesundheitlich angeschlagen ist, hat die Strafkammer die Sitzung von der Landeshauptstadt ins 80 Kilometer entfernte Ehingen verlegt. Der Aufwand hat sich gelohnt. Denn der Zeuge demonstriert nicht nur eindrucksvoll und lautstark, warum er als "Gottvater" und "Geist von Ehingen" bezeichnet wird. Zudem bestätigt er indirekt den Verdacht, dass das Logistik-Unternehmen LDG viel Geld auf Kosten des Schlecker-Konzerns verdient hat. "Die Leiharbeiter waren für die LDG die Cash-Kuh", sagt er. "Die LDG konnte sie verhältnismäßig günstig einkaufen und Schlecker teuer berechnen." Die LDG war auf dem Papier eine eigenständige Firma, die den Kindern Lars und Meike gehörte. Dennoch traf alle Entscheidungen Anton Schlecker, obwohl er formal nur Kunde war. "Das letzte Wort hatte Herr Schlecker", bestätigt der Zeuge. Auch die Lohnbuchhaltung der LDG-Mitarbeiter habe die Firma Schlecker abgewickelt. All dies wird die Staatsanwaltschaft mit Interesse zur Kenntnis genommen haben. Sie wirft den Schleckers vor, in den Jahren vor der Insolvenz mehrere Millionen beiseitegeschafft zu haben, um sie dem Zugriff der Gläubiger zu entziehen. Auch der Vorsitzende Richter weist darauf hin, dass die LDG bis kurz vor der Schlecker-Insolvenz einen mächtigen Vorsteuergewinn machte: Mehr als 50 Prozent des Umsatzes, davon können andere Logistikdienstleister nur träumen.

Als Schlecker im Januar 2012 Insolvenz anmeldete, ging auch die LDG pleite - weil ihr einziger Kunde zusammengebrochen war. Zu den Kuriositäten des Bankrott-Prozesses gehört, dass Lars und Meike Schlecker auch auf der Liste der größten Gläubiger stehen, die Geld von Anton Schlecker fordern. 68 Millionen Euro haben sie beim Insolvenzverwalter angemeldet: 50 Millionen für einen Kredit und 18 Millionen für eine offene Rechnung der LDG.

Eine Mitschuld an dem vermeintlichen betrügerischen Bankrott weist Freudenreich weit von sich. Bei jeder kritischen Frage der Staatsanwälte schaltet der 90-Jährige agil auf Angriff: "Ich lasse mir das von Ihnen nicht gefallen. Ich lasse mir nicht nachsagen, unseriös zu sein." Bereitwilliger beantwortet er die Frage nach seinem Verhältnis zur Familie Schlecker. Mit "Herrn Schlecker" sei er per Du gewesen, ihn habe er kennengelernt, als er sechs Jahre alt war. Ehefrau Christa sei ihm "sympathisch" und Tochter Meike habe er auch einmal "in den Arm genommen". Und Sohn Lars? "Den würde ich nicht mit der Beißzange in den Arm nehmen", sagte Freudenreich.

© SZ vom 03.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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