Nahaufnahme:Falsche Zahlen aus Liaoning

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Alles Lug und Trug: Der Gouverneur der Provinz gibt zu, dass die nach Peking gemeldeten Steuereinnahmen geschönt wurden.

Von Christoph Giesen

Es ist ein handfester Skandal, und doch überrascht das Geständnis des Gouverneurs der nordchinesischen Provinz Liaoning kaum jemanden in der Volksrepublik: "Liaoning war in einen Finanzbetrug verwickelt, der auf Stadt- und Kreisebene stattfand, lange andauerte und viele Menschen involvierte", teilte Gouverneur Chen Qiufa mit. Zwischen 2011 und 2014 stimmte an dem nach Peking gemeldeten Zahlenwerk offenbar recht wenig. Um bis zu 23 Prozent sollen die jährlichen Steuereinnahmen aufgeblasen worden seien, heißt es in einem Bericht des chinesischen Rechnungshofes. Rund 1000 Yuan pro Person müssen die etwa 40 Millionen Bürger Liaonings deshalb an Steuern mehr bezahlen, um den Schaden auszugleichen. In der strukturschwachen Provinz an der nordkoreanischen Grenze ist das für viele eine Menge Geld.

Gouverneur Chen trifft dabei keine Schuld, er ist lediglich der Überbringer der schlechten Nachricht. Seit Mai 2015 ist er im Amt und damit in der chinesischen Hackordnung die Nummer zwei nach dem Parteichef. Der Vorgänger an der Provinzspitze ist bereits wegen Korruption aus der Partei ausgeschlossen worden. Bevor Chen nach Liaoning versetzt wurde, war der 62-Jährige Chef der chinesischen Atomenergiebehörde, leitete die nationale Weltraumagentur und diente als stellvertretender Industrieminister in Peking. Ein Mann der Partei also, wie so viele andere Kader. Zum Beispiel Ning Jizhe, Chinas Chefstatistiker. Im Dezember schrieb Ning einen Gastbeitrag in der Volkszeitung: "Derzeit sind einige lokale Statistiken falsch. Betrug und Verschleierung finden von Zeit zu Zeit statt", räumte er ein. Damals noch ohne konkrete Beispiele.

An diesem Freitag legt die Regierung in Peking ihre die Wachstumszahlen für 2016 vor. 6,7 Prozent sind prognostiziert. Und sehr wahrscheinlich wird auch diesmal wieder das Ziel exakt erreicht werden. Kaum ein anderer Staat wächst so beständig wie China, keine Volatilität, keine Ausreißer. Dabei bekommt man regelmäßig neue Schauergeschichten erzählt: von Staatsbetrieben, die ihre Bilanzen schönen und gute Zahlen in die Provinzhauptstädte melden. Denn für die Manager sind die Chefposten bei den volkseigenen Konzernen oft nur Karrierestufen auf dem Weg an die Spitze eines Ministeriums oder in die Verwaltung einer Provinz. Mindestens genauso oft hört man auch von Präfekturen oder Städten, die ihre Zahlen bewusst nach unten korrigieren, um finanzielle Hilfe zu beantragen und diese in schwarze Kassen umleiten.

Wie kann es also in diesem Land möglich sein, dass die Exporte einbrechen, das Bruttoinlandsprodukt aber kontinuierlich wächst? Und warum steigt der Stromverbrauch kaum noch an? Hat Chinas Industrie damit begonnen, Energie zu sparen? Waren die Sommermonate kühler als sonst, sodass die Klimaanlagen nicht so oft eingeschaltet werden mussten? Oder stimmen die Konjunkturzahlen schlicht nicht?

Ministerpräsident Li Keqiang war selbst einmal Parteichef von Liaoning, jener Provinz, der Gouverneur Chen nun mitvorsteht. 2007 erzählte er amerikanischen Diplomaten, dass er den offiziellen Zahlen nicht traue. Er schaue sich stattdessen drei andere Indikatoren an: So werfe er ein Auge auf den Energieverbrauch, auf die Kreditvergaben und auf die Eisenbahnfrachttonnen. Als Ende 2010 mit der Veröffentlichung der amerikanischen Botschaftsdepeschen Lis Misstrauen bekannt wurde, widmete der Economist Li einen eigenen Keqiang-Index. Derzeit liegt dieser unter den offiziellen Wachstumszahlen. Allerdings gilt auch hier die Frage: Wie aussagekräftig ist Lis Dreiklang in einer stärker auf Dienstleistungen ausgerichteten Gesellschaft? Fragen über Fragen, wie so oft in China.

© SZ vom 19.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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