Nahaufnahme:Engel in Nöten

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Die Models fordern ihn auf, gegen sexuelles Fehlverhalten und Übergriffe im Unternehmen vorzugehen. Geäußert hat sich John Mehas noch nicht. (Foto: oh)

Modemanager John Mehas soll Victoria's Secret aus der Krise führen. Bislang waren bei der Wäschemarke die Models meist dünn, weiß und jung. Werden sie jetzt diverser?

Von Ronja Tillmann

Der neue Job würde nicht einfach werden - das war John Mehas wohl schon klar, bevor er Anfang 2019 vom Designerlabel Tory Burch zur US-amerikanischen Wäschemarke Victoria's Secret (VS) wechselte. Seit 2017 war der Umsatz der Vertriebsmarke des Bekleidungskonzerns Limited Brands um fast 400 Millionen Dollar geschrumpft. VS kämpft darum, seinen Marktanteil zu halten. Doch auch 2019 scheint kein gutes Jahr für das Unternehmen zu werden.

Wegen drastisch gesunkener Einschaltquoten will Victoria's Secret seine Laufstegshow, auf der Models traditionell Engelsflügel trugen, dieses Jahr nicht mehr im Fernsehen übertragen. Die Show hatte 2018 nur 3,3 Millionen Zuschauer verzeichnen können, fünf Millionen waren es in den Vorjahren. Ob die schlechten Zahlen und der diesjährige Ausfall der fast 25 Jahre alten Show das Ende der Engel bedeutet, ist offen. Für den Mann hinter dem Wäschespektakel, Ed Razek, 71, ist es in jedem Fall vorbei. Der Marketingchef von Limited Brands verkündete Anfang August seinen Ruhestand - kurz nachdem der Konzern bekannt gegeben hatte, das erste Transgender-Model Valentina Sampaio, verpflichtet zu haben. Razek hatte Ende 2018 eine Welle der Empörung ausgelöst, als er erklärte, keiner wolle Plus Size- oder transsexuelle Models auf Laufstegen sehen.

Viel Arbeit also für den neuen Chef Mehas, zumal das Unternehmen gerade erneut Schlagzeilen machte: Mehr als 100 Models fordern in einem offenen Brief, gegen sexuelle Gewalt einzuschreiten. Die Frauen verlangen darin unter anderem, dass sich VS-Mitarbeiter in Zukunft an einen Verhaltenskodex halten müssen, der die Models vor sexuellen Übergriffen und Sexismus schützen soll. Zuvor war mehreren Fotografen und den Model-Recruiter Jeffrey Epstein sexuelles Fehlverhalten vorgeworfen worden. Epstein, der sich vor Kurzem im Gefängnis das Leben nahm, soll als Personalvermittler für die Marke tätig gewesen sein.

Modemanager John Mehas soll die Dessousmarke nun aus der Krise führen. Hierzu werde er sich künftig auch mehr im Marketing einbringen, hieß es bei der Bekanntgabe der Quartalszahlen. Wie genau sich das Marketing verändern wird, sollen die Investoren jedoch erst am 10. September erfahren. Limited Brands räumte bereits ein, zu lange an der Push-Up-BH-Ästhetik festgehalten zu haben, als die Konkurrenz bereits auf weibliche Selbstbestimmung gesetzt hat.

Während in den Vorjahren noch die Models auf den Laufstegen der Welt meist jung, dünn und weiß waren, stellt die digitale Plattform The Fashion Spot in ihrem Diversity Report fest, dass bereits 2018 allein auf der Fashion Week in New York zum ersten Mal in der Geschichte 40 Prozent aller Models nicht weiß waren. Auch Alter und Kleidergröße werden zusehends diverser, weg von der Makellosigkeit heißt die Devise. Einen großen Beitrag dazu leistet wohl auch das Label Fenty der Sängerin Rihanna. Zuerst launchte sie mit Fenty Beauty 40 Make-up-Töne für jede Hautfarbe. Dann präsentierte sie eine Dessous-Linie, die auch in Übergrößen erhältlich ist und zeigte ein Model, deren Narben im Gesicht sie nicht retuschieren ließ. Viele Labels ziehen nun nach. Auch Asos und H&M zeigen Bademode und Dessous an Models mit unterschiedlichen Figuren und verzichten auf Photoshop-Retusche − und das längst nicht mehr nur bei Plus-Size-Linien.

Inwiefern John Mehas eine solche Trendwende bei Victoria's Secret erreichen kann, bleibt spannend. Vielleicht tragen dann im nächsten Jahr nicht mehr nur die immer gleichen Model-Stereotypen den begehrten Multi-Millionen-Fantasy-Bra, das Highlight einer jeden Victoria's-Secret-Show.

© SZ vom 27.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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