Nahaufnahme:Ein Mann für alle Gleise

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Heiko Grauel ist die neue Stimme der Deutschen Bahn. Er setzte sich gegen Hunderte Mitbewerber durch. Seine natürliche Stimme wird aber trotzdem nicht zu hören sein.

Von Jonas Schulze

Viele Menschen, die Heiko Grauel zum ersten Mal treffen, teilen ein Gefühl: Vertrautheit. Grauels Bassstimme klingt, als hätte man sie schon einmal gehört. Psychologen sprechen von einem Déjà-entendu, was übersetzt so viel heißt wie: "schon gehört". Die Sinnestäuschung ist so etwas wie die kleine Schwester des Déjà-vu. Nur ist das Gefühl in diesem Fall keine Täuschung. Heiko Grauels Stimme ist deutschlandweit bekannt. Fast täglich ist sie im Fernsehen zu hören. Millionen Menschen kennen sie aus Hörbüchern oder Werbefilmen. Und bald werden ihm auch Millionen Reisende zuhören. Denn Grauel ist die neue Stimme der Deutschen Bahn.

Optisch ist der Mann mit der markanten Stimme eher unscheinbar: kurze braune Haare, randlose Brille. Würde man im Zug neben ihm sitzen, man hätte sein Gesicht wohl schon nach wenigen Minuten wieder vergessen. Seine Stimme hingegen hat Wiedererkennungswert. Grauel hat die Gabe, seine Zuhörer aus dem Alltag zu reißen. Seine Werkzeuge: Zunge, Lippen und Stimmbänder. In seinem privaten Tonstudio in Dreieich bei Frankfurt trainiert er fast täglich Atmung, Aussprache und Stimmmodulation.

Heiko Grauel: "Ich habe versucht, beim Sprechen an den Frankfurter Hauptbahnhof zu denken." (Foto: Andreas Arnold/dpa)

Um die neue Stimme der Bahnhofsdurchsagen zu werden, musste er sich in einem mehrmonatigen Auswahlverfahren durchsetzen. Die Bahn hatte im März 2018 mit dem Casting begonnen und hunderte Sprecher aus ganz Deutschland eingeladen. Drei Frauen und drei Männer schafften es in die Endauswahl. In einem Kino testete eine Jury ihre Stimmen vor der Geräuschkulisse eines großen Bahnhofs. Grauel gewann, weil sich seine Stimme besonders gut gegen den Lärm von Rollkoffern und quietschenden Bremsen behaupten konnte.

Schon als Kind war er fasziniert von Radio und Fernsehen. Seine Vorbilder waren die "coolen Typen am Mikrofon", wie er sagt. Als Achtjähriger schnappte er sich zum ersten Mal Stereoanlage und Mikrofon seines Vaters und bastelte sich sein eigenes Tonstudio. Nach dem Abitur machte er ein Praktikum beim Radio und durfte schnell ans Mikrofon. Seit er 21 Jahre alt ist, arbeitet er als professioneller Sprecher.

Er spricht für TV-Dokumentationen, Computerspiele, Werbeclips und jetzt auch für die Deutsche Bahn. Grauel ist dabei allerdings nur eine Art Zulieferer für ein Computerprogramm. Die Durchsagen auf den Bahnsteigen werden von einer Software erzeugt.

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"Ich habe versucht, beim Sprechen an den Frankfurter Hauptbahnhof zu denken", sagt er. Das war aber gar nicht so einfach. Nur ein kleiner Teil des eingesprochenen Textes hatte einen Bezug zur Bahn. Der Großteil war eine wilde Sammlung aus Buchauszügen und Zeitungsartikeln. Von den etwa 5700 Bahnhofsnamen in Deutschland hat Grauel nur 700 ins Mikrofon eingesprochen. Viel wichtiger als der Inhalt sind der Klang und die Abfolge der Silben und Vokale.

Einmal erstellt, kann die Software theoretisch jeden beliebigen Text mit Grauels Stimme vertonen. An den menschlichen Emotionen scheitert sie aber noch. "Zum Glück", sagt Grauel. Denn der technische Fortschritt bedrohe zunehmend auch seinen Arbeitsplatz. "Im Moment reicht es nur für Bedienungsanleitungen und Reiseinformationen. Aber wer weiß, wo wir in vier Jahren sind". Wie die Zukunft aussehen könnte, hat ein Entwicklerteam von Google angedeutet. Vor zwei Jahren präsentierte das Unternehmen einen Sprachassistenten, der selbständig Anrufe tätigen kann und nicht von einer menschlichen Stimme zu unterscheiden ist. "Vielleicht lizensieren Sprecher in Zukunft einfach ihre Stimme und legen sich unter die Palme", sagt Grauel. "Aber ich hoffe, dass ich das nicht mehr erleben muss."

© SZ vom 08.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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