Nahaufnahme:Doppelbürger

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"In der Schweiz fehlen meiner Ansicht nach die Voraussetzungen für einen fairen und ausgeglichenen Prozess." Hervé Falciani. (Foto: Reuters)
  • Der französische Informatiker Hervé Falciani, der Swissleaks enthüllt hat, bleibt seinem Prozess in der Schweiz fern.
  • Er glaube nicht an einen "fairen und ausgeglichenen Prozess", sagt er.

Von Charlotte Theile

Am Montagmorgen, als am Bundesstrafgericht in Bellinzona der Prozess gegen den französischen Informatiker Hervé Falciani beginnt, vermeldet sein früherer Arbeitgeber, die britische Großbank HSBC, einen beachtlichen Gewinn: 6,1 Milliarden Dollar, fast ein Drittel mehr als im gleichen Zeitraum 2014, konnte die Bank im letzten Quartal erwirtschaften. Der Grund dafür? Die Ausgaben, die die HSBC für juristische Auseinandersetzungen eingeplant hatte, waren deutlich kleiner als angenommen.

Falciani dagegen, der Mann, der der HSBC einen Großteil ihrer rechtlichen Probleme eingebrockt hat, wird wahrscheinlich wegen unbefugter Datenbeschaffung und Verletzung von Geschäfts- und Bankgeheimnis verurteilt. Ungerecht sei das, findet der 43-Jährige, der gerade ein Buch geschrieben hat, das er vergangene Woche in aufreizender Nähe zur Schweizer Grenze Journalisten vorstellte. Seine Enthüllungen waren es, die international unter dem Schlagwort Swissleaks bekannt wurden. Sie bewiesen, dass die HSBC bei Steuerhinterziehung in Milliardenhöhe weggeschaut hatte - und auch bei schlimmeren Delikten, Waffengeschäften zum Beispiel.

Während die größte Bank Europas in der Schweiz weitgehend straffrei geblieben ist, tritt der Staat dem französisch-italienischen Doppelbürger mit Härte entgegen. Falciani bleibt dem Prozess fern - obgleich ihm die Justiz freies Geleit zugesichert hatte. "In der Schweiz fehlen meiner Ansicht nach die Voraussetzungen für einen fairen und ausgeglichenen Prozess" hatte der 43-Jährige vergangene Woche bei seiner Buchvorstellung im französischen Divonne-les-Bains gesagt. Eine mehr als selbstgerechte Begründung, um sich der Justiz zu entziehen, heißt es in Schweizer Medien. In Frankreich dagegen gilt Falciani als Held - schließlich brachten seine Enthüllungen dem französischen Staat Steuergelder in Milliardenhöhe.

Falciani ist nicht der unbescholtene Robin Hood

In Belgien, Großbritannien und Griechenland hatten die Daten gewaltige Wirkung, zogen Prozesse und Zahlungsforderungen nach sich. In der Schweiz tut man sich in solchen Angelegenheiten schwerer: Der Genfer Oberstaatsanwalt eröffnete gegen den Widerstand der Bundesanwaltschaft ein Verfahren gegen die Schweizer Dependance der HSBC - und stellte es wenige Wochen später gegen Zahlung von 40 Millionen Schweizer Franken (37 Millionen Euro) wieder ein. Wer sich den Quartalsgewinn der HSBC anschaut, ahnt: Die Bank ist damit sehr gut weggekommen.

Andererseits: Auch Falciani ist nicht der unbescholtene Robin Hood der Steuerzahler, als der er sich inszeniert. Seine frühere Geliebte, die Libanesin Georgina Mikhael sagt klar: Falciani habe die Daten gestohlen, um sie zu verkaufen. So hatte der IT-Spezialist seine Datensätze dem Libanon angeboten. Heute sagt er, es habe sich um eine gezielte Aktion gehandelt, um der Schweiz eine Falle zu stellen: Die hatte in Frankreich Rechtshilfe beantragt, was den juristischen Status der Daten veränderte - sie konnten vor Gericht verwendet werden. Doch nur wenige halten diese Aussage für glaubwürdig. Selbst Falciani gibt zu, er habe gewisse Regeln nicht respektiert.

In der Schweiz wird seit längerem über den richtigen Umgang mit Whistleblowern diskutiert. Aktuelle Gesetzesvorlagen erlauben es Angestellten nur dann, Missstände öffentlich zu machen, wenn sie sich an streng definierte Standards halten. Linke Politiker und Nichtregierungsorganisationen kritisieren das.

Ob Idealist oder egoistischer Datendieb, feststeht: Hervé Falciani wird sich in der Schweiz nicht verurteilen lassen, Frankreich wird ihn nicht ausliefern. Der auf sechs Tage angesetzte Prozess in Bellinzona wurde schon kurz nach dem Auftakt unterbrochen. Wann mit einem Urteil zu rechnen ist, ist unklar.

© SZ vom 03.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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