Nahaufnahme:Die Knochendruckerin

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„Produkte zu entwickeln,die Menschen helfen, das spornt mich an", sagt Unternehmensgründerin Miriam Haerst. (Foto: Catherina Hess)

Die Maschinenbauingenieurin Miriam Haerst entwickelt 3-D-Drucker für die Medizin. Die Einsatzmöglichkeiten reichen von Implantaten bis hin zu medizinischen Geräten.

Von Jasmin Siebert

Ein Patient landet nach einem Autounfall im Krankenhaus. Während ihm die Ärzte ein Stück des Kieferknochens entfernen müssen, fertigt ein 3-D-Drucker nebenan ein passgenaues Implantat, das anschließend gleich eingesetzt wird. Noch ist diese Szene eine Zukunftsvision. Doch Miriam Haerst, 32, arbeitet daran, dass sie Alltag wird. Die promovierte Maschinenbauingenieurin ist Geschäftsführerin des Start-ups Kumovis mit Sitz in München-Neuaubing. Es entwickelt und vertreibt 3-D-Drucker mit integriertem Reinraum. Drei Pilotgeräte sind bereits verkauft, die erste Serie kommt im Sommer 2019 auf den Markt. Mehr als 1,2 Millionen Euro haben Geldgeber in der ersten Entwicklungsphase in das Start-up investiert. Kumovis hat elf Mitarbeiter, dazu sechs Werkstudenten. "Bisher habe ich es leider noch nicht geschafft, Frauen in die Firma zu holen", sagt Haerst und lacht. Auch beim Weconomy-Wettbewerb 2018 war Haerst die einzige Frau unter den zehn Siegern. Immerhin habe sie schon Abschlussarbeiten an Studentinnen vergeben können.

Haersts Fachgebiet sind Materialien, die dauerhaft am oder im menschlichen Körper bleiben können. Ihre Doktorarbeit schrieb sie am Lehrstuhl für Medizintechnik an der TU München über Hochleistungskunststoffe, die sehr hohe Temperaturen aushalten. Und die sich auch gut drucken lassen. Haerst begegnete 3-D-Druckern zum ersten Mal während eines Praktikums bei einem Hörgerätehersteller. Sie war begeistert von den technischen Möglichkeiten. "Doch es gab noch keinen Drucker für Kunststoffe, der für Implantate sinnvoll einsetzbar war", sagt Haerst. Also fing sie an, mit Kollegen einen solchen 3-D-Drucker zu entwickeln. Finanziert wurden sie unter anderem durch den Exist-Forschungstransfer, ein Stipendium für Existenzgründer. Als im Herbst 2017 ein marktreifer Prototyp fertig war, gründeten Haerst und ihr Co-Geschäftsführer Stefan Leonhardt Kumovis. Der Firmenname setzt sich zusammen aus "kumo", Japanisch für "Spinne", und "vis", Latein für "Stärke".

Das Neue an den Kumovis-Druckern ist der integrierte, heiße Reinraum: In einer sterilen Glaskammer trägt der Druckkopf Schicht für Schicht des bei bis zu 400 Grad aufgeschmolzenen Kunststoffs auf. Währenddessen umströmt heiße Luft das Bauteil. "Unsere 3-D-Drucker sind wie Backöfen", sagt Haerst. Der Luftstrom sorgt für einen guten Verbund zwischen den einzelnen Schichten und hält Keime und Partikel ab, die das Endprodukt verunreinigen könnten. Die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig: Gedruckt werden können Implantate ebenso wie medizinische Geräte, deren manuelle Fertigung sehr aufwendig ist und die nur in kleiner Stückzahl oder individualisiert benötigt werden. Bereits mit Kumovis-Geräten gedruckt und am Patienten getestet wurden zum Beispiel individualisierte Abformlöffel, mit denen Zahnärzte Abdrücke vom Gebiss machen. Ein Kunststoffhersteller druckt individualisierte Säge- und Bohrschablonen für die Chirurgie. Legt der Arzt diese bei einer OP auf, weiß er genau, wo er am Knochen sägen oder ein Implantat anschrauben muss.

Am spannendsten findet Haerst den Druck von Knochenersatz für die Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie. Je nach Größe dauert der Druck wenige Minuten bis Stunden. Nachdem Unebenheiten wie der Stufeneffekt, der durch das additive Druckverfahren entsteht, abgeschliffen sind und das Implantat gereinigt ist, kann es sofort eingesetzt werden. Dennoch liege die Idee vom Druck direkt neben dem OP noch in weiter Ferne. "Ein Anfang wäre, Implantate in Krankenhausnähe zu fertigen anstatt in weit entfernen Laboren", sagt Haerst. Das würde die Wartezeit bis zur Operation verkürzen.

© SZ vom 26.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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