Nahaufnahme:Der böse Bube

Lesezeit: 2 min

"Fragt nicht, was ihr für mich tun könnt! Fragt, was ihr für das Unternehmen tun könnt!" Dov Charney. (Foto: CC BY-SA 2.0)

Dov Charney, Ex-Chef des Bekleidungsunternehmens American Apparel, gibt nicht auf.

Von Jürgen Schmieder

Auf jedem Spielplatz gibt es dieses eine Kind, das kaum jemand leiden kann. Das die anderen rumschubst, ihnen die Hose runterzieht und sie mit Sand bewirft. Die Eltern der anderen Kinder wünschen sich, dass dieses Kind einfach daheim bleibt, doch es kommt jeden Tag wieder mit einer neuen Gemeinheit daher und ist auch noch stolz auf sein Image als Rowdy. Der Kanadier Dov Charney ist so ein Rowdy, sein Spielplatz ist das Unternehmen American Apparel, das er 1989 gründete und zu einer der gefragtesten Bekleidungsfirmen aufbaute: Hipster-Klamotten, die nachhaltig und zu fairen Konditionen in Downtown Los Angeles und nicht in Asien gefertigt werden. Kontroverse Werbeplakate mit Pornodarstellerinnen als Models. Unglaublicher Erfolg. Vor ein paar Jahren, da war Charney der coolste Junge auf dem Spielplatz, er wurde als "Unternehmer des Jahres" (Ernst & Young, 2004), "Mann des Jahres" (Apparel Magazine, 2008) und "eine der mächtigsten Personen in Südkalifornien" ( LA Times, 2009) bezeichnet.

Mittlerweile jedoch wünschen sich Manager und Investoren, dass er einfach verschwindet. Charneys exzentrisches Auftreten, gepaart mit schlechten Ergebnissen wurde zur Last - im Dezember 2014 feuerte ihn der Aufsichtsrat. Doch Charney, 46, lässt sich die Verbannung nicht gefallen. Mal versucht er die Kontrolle über das Unternehmen zurückzubekommen, mal will er Rache.

So forderte er zunächst 35 Millionen Dollar Entschädigung für nicht genommene Urlaubstage und den zugefügten emotionalen Stress. Danach verbündete er sich mit dem Hedgefonds Standard General, erhöhte die Beteiligung am Unternehmen auf 42 Prozent und versuchte, wieder Geschäftsführer zu werden. Der Versuch scheiterte - weshalb Charvey nun Klage eingereicht hat und von Standard General mindestens 30 Millionen Dollar Schadenersatz fordert. Er sei denunziert und unter Druck gesetzt worden, heißt es in der Klageschrift. Es sei eine Hexenjagd gewesen, ihm sei der Ruin angedroht worden, sollte er seine Stimmrechte nicht abtreten.

Es ist nicht genau überliefert, wann Charney vom coolen Burschen zur Nervensäge geworden ist. Dass er weibliche Models für Werbekampagnen höchstselbst aussuchte, wurde noch als sexistische Schrulligkeit gewertet. Dass er sich selbst als Anti-Vorstand und bösen Buben bezeichnete, galt zu Erfolgszeiten als charismatisch. Dann jedoch soll er vor einer Journalistin masturbiert und mehrere Angestellte sexuell belästigt haben und nur in Unterhosen zur Arbeit erschienen sein. Er behauptete, dass "Schlampe" kein abfälliger Begriff sei. Als der Erfolg des Unternehmens ausblieb, bezeichneten zahlreiche Investoren das Verhalten des Chefs als untragbar und forderten Kredite zurück.

Das Groteske an dieser Entwicklung ist, dass viele Mitarbeiter ihn noch immer für einen coolen Burschen und einen besseren Chef als die erfahrene Krisenmanagerin Paula Schneider halten, die nun Regie führt. Kürzlich versammelte Charney 300 Angestellte und hielt eine John-F-Kennedy-Rede: "Fragt nicht, was ihr für mich tun könnt! Fragt nicht, was ihr für euch tun könnt! Fragt, was ihr für das Unternehmen tun könnt!" Es gibt sogar eine Internetseite der Mitarbeiter, auf der Charneys Rückkehr gefordert wird.

Charney stellt sich als missverstandenen Visionär dar, dem übel mitgespielt wurde und der gar nichts dafür kann, dass American Apparel seit sechs Jahren keinen Gewinn mehr erzielt hat und vom Börsen-Liebling zum Pennystock verkommen ist. Viele Beobachter fragen dagegen: Kann Charneys Mutter, die Künstlerin Sylvia Safdie, ihren Buben nicht einfach an den Ohren packen und ihn vom Spielplatz zerren?

© SZ vom 11.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: