Nahaufnahme:Der Azubi

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"Menschen wie ich sind im System noch nicht ausreichend vorgesehen." Abdinur Warsame (Foto: OH)

Wie ein Flüchtling aus Somalia viele Hürden überwand und schließlich zum Nestlé-Konzern kam.

Von Susanne Höll

Abdinur Warsame ist ein fröhlicher Mensch, er lacht gern und viel. Kein Wunder, der 21-Jährige aus Somalia hat, wenn man so will, das große Los gezogen. Vor drei Jahren überlebte der Flüchtling die Fahrt über das Mittelmeer und landete in Hessen. Er lernte fleißig Deutsch, machte nebenbei einen qualifizierten Hauptschulabschluss und bekam einen Ausbildungsplatz beim Nahrungsmittel-Hersteller Nestlé. Im rheinland-pfälzischen Werk Osthofen lernt er den Beruf des Industriemechanikers. Dort machen er und seine Arbeitgeber auch unerfreuliche Erfahrungen mit der Bürokratie. Die kann Leuten wie Warsame, aber auch Firmen das Leben erschweren.

Das beginnt mit ganz einfachen Dingen, etwa einem Antrag auf Berufsausbildungsbeihilfe, die Warsame dringend braucht. Er lebt immer noch in einem Asylbewerberheim in Südhessen, muss täglich nach Osthofen pendeln, eine Stunde hin, eine zurück. Für diesen Antrag sollte er die Adresse der Mutter und deren Verdienstbescheinigung vorlegen. Von seiner Familie hat der Somalier seit der Flucht nur noch ein einziges Mal gehört, er weiß, dass die Angehörigen am Leben sind, kennt aber nicht ihre Adresse. Und Verdienstbescheinigungen kennt man in dem vom Bürgerkrieg erschütterten Land ohnehin nicht. "Menschen wie ich sind im System noch nicht ausreichend vorgesehen", sagt Warsame. Er nimmt es nicht übel. Doch ohne ehrenamtliche Helfer und vor allem ohne das Engagement seiner Chefs hätte es mit der Ausbildung womöglich nicht geklappt.

Denn Nestlé engagierte den strebsamen jungen Mann, noch bevor er als Flüchtling anerkannt wurde - auf eigenes Risiko, wie Personalleiter Holger Baum sagt. Ohne Anerkennung gibt es nur vorläufige Papiere, an einen Umzug war damals überhaupt nicht zu denken. Inzwischen hat der Somalier Asyl erhalten; dank der Unterstützung eines Bundestagsabgeordneten hat sich die oft langwierige Anerkennung offenkundig beschleunigt. Eine neue Wohnung hat er auch, in Worms, unweit des Werkes. Nestlé hat die Unterkunft gemietet, auch die Kaution gezahlt. Ansonsten hätte Warsame mit seinem mageren Budget nichts gefunden. Umziehen könne er aber erst, wenn alle Papiere in Ordnung seien, auch die für die Ausbildungsbeihilfe, sagt er.

Auch Personalchef Baum macht sich Gedanken über die deutsche Bürokratie. "Wenn wir fünf oder sechs Flüchtlinge als Auszubildende hätten, müssten wir einen eigenen Betreuer engagieren", sagt er. Sturköpfigkeit will er den Ämtern aber nicht unterstellen: "Die Behörden scheinen ein Stück weit mit der aktuellen Situation überfordert zu sein."

Ein Arbeitsplatz für Flüchtlinge gilt als der wichtigste Schritt zur Eingliederung in die Gesellschaft. Nur ein Bruchteil der Flüchtlinge, die in den vergangenen Jahren nach Deutschland kamen, hat einen sozialversicherungspflichtigen Job. Im April 2017 waren es nach Auskunft der Bundesagentur für Arbeit 143 000. Bundesweit haben nur 13 500 eine Lehrstelle gefunden.

Um auch kleineren Unternehmen die Ausbildung von Flüchtlingen zu erleichtern, schlägt Nestlé-Personalchef Baum unkonventionelle Wege vor. Wenn sich die Firma für einen Azubi verbürge, könne man die Vorschriften ein wenig lockern. "Wenn jemand eine Perspektive durch Ausbildungsplatz, Job und die Unterstützung eines Unternehmens hat, wünschen wir uns mehr Flexibilität anstelle von Standardprozessen. Wir übernehmen dann mehr Verantwortung und bekommen dafür ein wenig mehr Freiheit", sagt der Personaler.

Warsame wundert sich über manche Dinge hierzulande. Aber er will bleiben: "Mein Leben hier ist sehr gut, und ich will meinen Beitrag leisten."

© SZ vom 17.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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