Nahaufnahme:Der Anti-Ghosn

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Jean-Dominique Senard: „Angesichts von Arbeitslosigkeit, zunehmender Ungleichheit und Umweltproblemen muss sich ein Unternehmen neuer Verantwortung stellen.“ (Foto: N/A)

Der französische Renault-Konzern bekommt wohl einen neuen Verwaltungsratschef. Der ist das komplette Gegenteil des bisherigen Firmenlenkers.

Von Leo Klimm

Es wirkt, als wolle Renault jetzt einen Chef, der das komplette Gegenteil des bisherigen Konzernlenkers ist - in jeder Hinsicht: Zurückhaltend, bescheiden, fast übertrieben höflich im Umgang, so ist Jean-Dominique Senard. Der Körper ist groß und so hager, dass sich seine Mitarbeiter angeblich manchmal um sein Wohlbefinden sorgen. Carlos Ghosn, der tief gefallene Renault-Chef, konnte dagegen nicht kaschieren, dass er es sich gern gutgehen lässt. Ghosn produzierte sich auch gern in der Öffentlichkeit. Senard ist eher ein Schattenmann. Schon allein, weil er mit dem Reifenhersteller Michelin noch eines der wenigen französischen Großunternehmen führt, die nicht in Paris ansässig sind - und damit weniger beachtet werden.

An diesem Donnerstag soll der Renault-Verwaltungsrat Senard, den Anti-Ghosn, an seine Spitze berufen. Lange hielten die Aktionäre des Autokonzerns an Ghosn fest. Doch inzwischen ist klar, dass der Starmanager, der in Japan wegen des Verdachts auf schweren Finanzbetrug einsitzt und als Chef von Nissan und Mitsubishi schon abberufen wurde, nicht so bald nach Paris zurückkehrt. Senard soll nun wieder Ruhe ins Unternehmen bringen - und das Vertrauen zum Schwesterkonzern Nissan stärken, das unter der Affäre gelitten hat.

Doch seine Berufung ist nicht nur ein Stilbruch, sondern auch ein Bekenntnis zu einer sozialen Marktwirtschaft à la française. Auf Ghosn, den vermeintlich gierigen und harten Kostenkiller, folgt mit Senard einer, der es explizit ablehnt, wenn Firmen Gewinnmaximierung als alleinigen Zweck ansehen. "Das kann nicht mehr der einzige Motor sein", findet Senard. "Angesichts von Arbeitslosigkeit, zunehmender Ungleichheit und Umweltproblemen muss sich ein Unternehmen neuer Verantwortung stellen." Außerdem trage ein Dialog der Sozialpartner zur Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen bei.

Mit solchen Ansichten hat er sich nicht zuletzt bei Emmanuel Macron beliebt gemacht. Frankreichs Präsident preist Senards auf Ausgleich bedachtes Management bei Michelin als vorbildlich. Wirtschaftsminister Bruno Le Maire gab bei ihm einen Bericht in Auftrag, in dem es um ein sozialeres Selbstverständnis von Firmen geht - das Paradethema des Mannes, der wie ein strenger, aber gütiger Patriarch erscheint. Zwar baut er bei Michelin langfristig Stellen ab. Doch er tut es auf vergleichsweise sanfte Weise und rettet so Fabriken in Frankreich. Macrons Unterstützung ist entscheidend für Senard: Der Staat ist mit 15 Prozent des Kapitals Hauptaktionär von Renault.

Der Konzernlenker, der katholisch-konservativ geprägt ist, blickt auf eine klassische französische Managerlaufbahn zurück: Nach dem Besuch der Elite-Wirtschaftsuni HEC machte er Karriere beim Ölmulti Total und dem Baustoffhersteller Saint-Gobain. Später ging er als Finanzchef zu Michelin, wo er 2012 der erste Konzernchef wurde, der nicht aus der Gründerfamilie kam. Die Führung des Reifenherstellers dürfte er nun etwas früher als geplant abgeben. Seine Ablösung dort war ohnehin für das Frühjahr geplant. Senard ist 65 Jahre alt. Er könnte sich also zurücklehnen oder seinen Weinberg in der Provence pflegen, in dem er Bio-Rosé anbaut. Aber ihm ist offenkundig nicht nach Ruhestand.

Sein Alter hinderte ihn 2017, den angestrebten Chefposten beim Unternehmerverband Medef zu übernehmen. Bei Renault aber ist es kein Problem - die Altersgrenze für den Verwaltungsratschef liegt bei 72 Jahren. Die Posten, die Ghosn bei Renault allein innehatte, teilt er sich: Um das Tagesgeschäft kümmert sich Thierry Bolloré, den Ghosn als Nachfolger aufgebaut hatte. Senard ist fürs große Ganze zuständig. Und muss einfach er selbst sein. Der Anti-Ghosn.

© SZ vom 24.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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