Nahaufnahme:Der Aktivist

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Davide Bollati: "Wir müssen den Kurs umsteuern von einer zerstörerischen zu einer regenerativen Wirtschaft." (Foto: oh)

Davide Bollati ist mit seiner Haarpflegeserie Davines erfolgreich. Dabei setzt er auf Nachhaltigkeit. Bollati hat, wie er sagt, sein intuitives Umwelt­bewusstsein zu einem strategischen Ansatz gemacht und ist damit groß geworden.

Von Ulrike Sauer

"Die Welt geht schnell zugrunde", sagt Davide Bollati. Dieser unangenehme Befund passt nicht zur grünen Wohlfühl-Oase, in der sich der Unternehmer auf dem größten Treff der Kosmetikindustrie präsentiert hat. Bollati ist recht erfolgreich im Geschäft mit der Schönheit. Unter dem Markennamen "comfort zone" stellt sein Unternehmen in Parma Hautpflegeprodukte für Kosmetikstudios her. Friseure beliefert er mit den Haarpflegeserien Davines.

Doch dem 53-Jährigen sind nicht nur die neuesten Marktneuheiten wichtig. Ihn treibt vor allem der Drang zu Veränderungen an. "Die Unternehmen müssen endlich aufwachen", sagte er. Das war im vergangenen März, als sich Italiens Industrie auf der Leitmesse Cosmoprof in Bologna von ihrer besten Seite zeigte. Während viele Kosmetik-Hersteller hervorhoben, wie nachhaltig sie sind, haderte der Davines-Chef mit dem schleppenden Wandel.

Nun ist für den Firmenchef der Moment gekommen, auf den er seit drei Jahren gewartet hat - seit Davines 2016 zu einer Benefit Corporation geworden ist. Die Träger des B-Corp-Labels verpflichten sich, strenge Standards für nachhaltiges und faires Wirtschaften zu beachten. Davines wurde mit 99 von 200 Punkten in das Netzwerk aufgenommen. In dieser Woche werden nun die Fortschritte des Unternehmens begutachtet. Drei Prüfer von der unabhängigen Zertifizierungsstelle B-Lab nehmen es unter die Lupe. Bollati rechnet damit, dass sich seine Bewertung verbessert.

Davines ist eine von knapp 100 italienischen Firmen, die dem internationalen Nachhaltigkeitsnetzwerk B-Corp angehören. Es sind auch bekannte Namen wie das Design-Unternehmen Alessi oder der Pharmahersteller Chiesi darunter. Die Bewegung entstand vor zwölf Jahren in den Vereinigten Staaten, um ein neues Geschäftsmodell zu propagieren. Dem Shareholder-Value-Dogma, das auf die Wertsteigerung für Aktionäre fixiert ist, setzt sie einen holistischen Ansatz entgegen, der die Interessen auch von Mitarbeitern, Kunden, Lieferanten, Gemeinden und der Umwelt berücksichtigt - den Stakeholdern. Die B-Corps streben danach, ihren positiven Einfluss auf das Gemeinwohl und die Umwelt zu steigern. Die Anforderungen sind hoch. Stagniert die erzielte Punktzahl, wird das Unternehmen automatisch heruntergestuft. Die permanente Messarbeit hält Bollati, der in Parma Pharmazie und in New Jersey Kosmetikwissenschaft studiert hat, für wesentlich.

"Dieser Rahmen sorgt für ein hohes Niveau an Energie und Motivation bei allen Stakeholdern", sagt Bollati. Das schlage sich dann im Wachstum nieder. Davines expandiert kräftig. Seit neun Jahren wächst das Unternehmen zweistellig. 2018 stieg der Umsatz um 16 Prozent auf 148 Millionen Euro. Es wurden 25 Millionen Artikel verkauft. 30 der 648 Beschäftigten arbeiten in der Forschung. Idealist oder Erfolgsunternehmer? Bollati ist beides.

Nach zehn Jahren in der elterlichen Firma habe er sein intuitives Umweltbewusstsein zu einem strategischen Ansatz gemacht, um als kleines Familienunternehmen auf dem von Konzernen beherrschten Kosmetikmarkt zu bestehen. Das war in den Nullerjahren. Heute sieht sich Bollati als Aktivist. "Wir müssen den Kurs umsteuern von einer zerstörerischen zu einer regenerativen Wirtschaft", sagt er. Und zwar jetzt. Ankündigungen, man wolle bis 2040 total nachhaltig werden, hält Bollati für Quatsch. "Wir müssen alles auf das kommende Jahrzehnt setzen, das letzte, in dem wir noch etwas bewirken können", sagt er.

Schade findet der Italiener, dass sich unter den weltweit 3000 B-Corps kaum deutsche Firmen befinden. Dabei sei Deutschlands Unternehmenskultur doch wie die italienische stark in der Region verwurzelt.

© SZ vom 07.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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