Nahaufnahme:100 Überstunden pro Monat

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Der Chef der japanischen Werbeagentur Dentsu muss sich rechtfertigen: Das Unternehmen ist bekannt dafür, Mitarbeiter schlecht zu behandeln.

Von Christoph Neidhart

Gerade erst musste sich Tadashi Ishii, 65, öffentlich entschuldigen. Er ist Chef von Dentsu, der fünftgrößten Werbeagentur der Welt. Sie hatte mehr als hundert Kunden über Jahre um mindestens zwei Millionen Euro geprellt, unter ihnen auch den Autohersteller Toyota. Die Agentur berechnete ihnen Online-Anzeigen zu teuer - und sogar einige, die sie gar nie schaltete. Nun folgt der nächste Skandal.

Eine 24-jährige Angestellte der Firma hat Suizid begangen. Die staatliche Arbeitsaufsicht bezeichnet den Selbstmord der jungen Frau als "Karoshi", Tod durch Überarbeitung. Beamte des Arbeitsministeriums rückten zur Hausdurchsuchung ins Hochhaus in Tokio ein. Auch regionale Ableger wurden durchsucht. Das Ministerium verdächtigt Dentsu, massiv gegen die Arbeitsgesetze zu verstoßen.

Die Frau hatte im Frühjahr 2015 bei Dentsu begonnen und sei gezwungen worden, mehr als 105 Stunden Mehrarbeit pro Monat zu leisten, bis zu 30 Stunden pro Woche. In ihrer Probezeit waren es "nur" 40 Stunden pro Monat, klagte sie in sozialen Medien. So könne sie nicht weiterleben.

Ihre Mutter erzählte bei einer Pressekonferenz, der Chef ihrer Tochter habe ihr überdies vorgeworfen, sie hätte blutunterlaufene Augen und unordentliche Haare. So erscheine man nicht zur Arbeit. Sie war Absolventin der Universität Tokio, der angesehensten Uni Japans.

Eine Festanstellung bedeutet für Japaner, dass sie damit rechnen können, das ganze Arbeitsleben bei der gleichen Firma zu bleiben und jedes Jahr etwas mehr Geld zu verdienen. Dafür müssen sie sich nach den Entscheidungen der Firma richten, die über Angestellte entscheidet - auch darüber, wie viele Überstunden sie zu machen haben.

Nach einem ähnlichen Fall 1991 kämpfte Dentsu neun Jahre vor Gericht gegen Entschädigungsforderungen, um schließlich kleinlaut zu versprechen, den Umgang mit seinen Leuten zu verbessern. "Jetzt ist genau das Gleiche wieder passiert", zitierte die Tageszeitung Yomiuri einen Beamten des Arbeitsministeriums. Nur hat die Firma das Verdikt dieses Mal akzeptiert. Dentsu kooperiere mit den Behörden, ließ Chef Ishii mitteilen.

Karoshi gibt es als offizielle Todesursache wohl nur in Japan. Vorige Woche veröffentlichte die Regierung ihren ersten "Karoshi"-Report. Demnach zwingen 25 Prozent aller Firmen ihre Festangestellten zu monatlich 80 Überstunden oder mehr. An diesem Montag wurde ein weiterer Karoshi-Fall bekannt.

Dentsu ist die Großmacht in der japanischen Medienwelt. Die 115 Jahre alte Firma hält 40 Prozent Marktanteil des Werbemarktes, sie produziert nicht nur Anzeigen, sondern schaltet sie auch. Sie hält Anteile an den Zeitungen, kontrolliert mehrere Fernsehsender, mischt in der Unterhaltungsindustrie und im Sportmarketing mit und ist mit der Atomwirtschaft verbandelt. Eine Fachzeitschrift schrieb, Dentsu habe "Japans Medien im Würgegriff". Dabei halten sich das Unternehmen und sein Chef vornehm bedeckt; über Ishiis Privatleben ist fast nichts bekannt. Zumindest metaphorisch hält Dentsu auch seine Mitarbeiter in einem engen Korsett. Die zehn spartanischen Regeln des ersten Nachkriegs-Chefs Hideo Yoshida, nach denen Dentsu regiert wird, heißen intern angeblich die "zehn Teufelsregeln". "Wenn du etwas angefangen hast, gib nie auf", selbst wenn es dich töte, lautet demnach Dentsus fünftes Gebot.

Ishii hat an der katholischen Sophia-Universität Spanisch studiert und American Football gespielt. Mit 22 Jahren fing der gebürtige Tokioter bei Dentsu an. Und ist geblieben. Seit 2011 leitet er das Unternehmen mit 50 Tochterfirmen und baut es mit Zukäufen zum globalen Werbeunternehmen aus.

© SZ vom 18.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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