Nach dem Brexit:Pole Position

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Das Gebäude der EZB in Frankfurt bei Nacht. Die Akteure an den Märkte warten darauf, ob die Notenbank ihre Geldpolitik in den nächsten Wochen noch einmal lockern wird. (Foto: Arne Dedert, dpa)

Europas Finanzstädte buhlen um die Gunst der Londoner Banker. In Frankfurt ist man überzeugt: An uns führt kein Weg vorbei.

Von Meike Schreiber und Jan Willmroth

Eine gute halbe Autostunde vom Frankfurter Bankenviertel entfernt betritt Volker Bouffier den Empfangssaal der Staatskanzlei, die tief stehende Januarsonne flutet den Raum. Draußen ist die Welt unsicher geworden, vor wenigen Tagen wurde der neue US-Präsident vereidigt, Europa steht auf der Probe, Großbritannien sucht seinen Weg aus der Europäischen Union. Nur der hessische Ministerpräsident sitzt da als Ruhepol, lehnt sich im Ledersessel zurück, die Finger vor der Brust verschränkt. "Zur Stunde kann ich noch nicht einmal erkennen, ob die Briten einen Fahrplan haben, wie sie verhandeln wollen", sagt Bouffier. Er aber hatte schon einen Plan, bevor die Mehrheit für den Brexit überhaupt feststand.

Am Morgen nach dem verhängnisvollen Votum rieben sich die Bürger Europas noch verwundert die Augen, da legten sie in Wiesbaden und Frankfurt schon los. Schalteten eine Webseite frei, "Welcome to Frankfurt Rhein-Main", wo die Welt zu Hause ist, eine britische Telefonnummer, alles war vorbereitet. Denn mit dem Brexit ging es plötzlich auch um den Standort der Banken, die bislang von der Themse aus den europäischen Markt bedienen. Dafür brauchen sie ihren Sitz innerhalb des Binnenmarkts. Auf jahrelange Verhandlungen zwischen EU und Großbritannien können sie nicht warten, die meisten werden bald entscheiden, ob sie das Risiko eingehen und mit ihren Zentralen in London bleiben.

Es geht um Zehntausende Banker, die London verlassen könnten. Und längst geht es deshalb auch um die Frage, welches Finanzzentrum der größte Brexit-Profiteur wird: Paris, Mailand, Dublin, Amsterdam - oder doch Frankfurt?

Die Landesregierung hat eine Taskforce eingerichtet, um Banken an den Main zu locken, im "Finanzplatzkabinett" sind Regierungsmitglieder und Branchengrößen versammelt. Am kommenden Montag treffen sich rund 40 Manager von mehr als 20 Banken mit der Finanzaufsicht Bafin zu einem mehrstündigen Brexit-Gipfel. Erst Ende November besuchte Bouffier die Chefs der größten US-Banken in New York. Einige von ihnen sehe er inzwischen fast regelmäßig. "In der Woche vor Weihnachten hatte ich jeden Abend ein anderes amerikanisches Unternehmen bei mir", sagt er, "und die zweite, spätestens die dritte Frage war immer: Macht Merkel weiter?" Das Interesse an der Verlässlichkeit Deutschlands ist auf einmal bemerkenswert groß.

Die emotionslos rechnenden Bankchefs mag man mit deutscher Sachlichkeit noch überzeugen, bei den City-Bankern ist das gleichwohl schwieriger. Hier Frankfurt, provinzielle Anmut, um die 730 000 Einwohner, dort die Weltmetropole London, mehr als zehn Mal so groß. Man ahnt, wo die Welt wirklich zu Hause ist. "Ich könnte mir durchaus vorstellen, mit meiner Gesellschaft nach Frankfurt umzuziehen", sagt ein deutscher Banker, der vor einigen Jahren in London einen Hedgefonds aufgezogen hat, aber anonym bleiben will, "nur habe ich das Gefühl, die Finanzbranche ist hier politisch nicht wirklich gewollt." Frankfurt habe in London keinen guten Ruf. Deutschland solle noch hartnäckiger versuchen, die Londoner Finanzbranche nach Frankfurt zu locken: "Warum gibt es keine steuerlichen Anreize, um die Umsiedelung attraktiv zu machen?", fragt er. In London jedenfalls seien die Wege zu wichtigen Anwälten, Wirtschaftsprüfern und Investoren weiterhin am kürzesten.

Auch Volker Bouffier weiß, dass Frankfurt mit Megastädten wie Paris und London nicht mithalten kann, Goethes Heimatstadt mangelt es an kultureller Weltgeltung und internationaler Aufmerksamkeit. Aber das kann sich ja ändern. Die Stabilität Deutschlands ist sein wichtigstes Argument geworden: Es wisse doch niemand, was noch alles passieren wird, nach den Wahlen in Frankreich, zuvor in den Niederlanden, wie es jetzt mit Europa im Ganzen weitergeht. Immerhin auf die größte Volkswirtschaft des Kontinents kann man noch vertrauen, das ist die erste Botschaft.

Die Entscheidung der Banken folgt einem nüchternen Kalkül

Zweitens sind die Banken nirgendwo ihren Regulierern näher, die Europäische Zentralbank und mit ihr die Bankenaufsicht sind gleich um die Ecke. Und drittens, die Lage: Mitten in Europa, versehen mit einem der größten Flughäfen des Kontinents, man kommt schnell hin und schnell wieder weg, hinaus in die weite Welt. Die Entscheidung, wohin eine Bank ihre Zentrale verlagert, hängt am Ende nicht daran, was ein Ort ausstrahlt, sie folgt einem nüchternen Kalkül. Falls die besseren Sachargumente überzeugen, steht Frankfurt mit seinen bislang gut 60 000 Beschäftigten im Finanzsektor ziemlich gut da.

Nach und nach mehren sich die Hinweise, dass Bouffier schon einige Bankvorstände überzeugt hat. Anfang Januar, ein trister Bürokomplex nahe der Frankfurter Stadtautobahn, die deutsche Finanzaufsicht Bafin hat zum Neujahrsempfang in ihren Zweitwohnsitz geladen, Bafin-Chef Felix Hufeld hält eine Rede. Der Brexit mag unschön sein, aber immerhin macht er den Alltag der Bafin-Juristen etwas internationaler. Das Interesse der Brexit-Flüchtlinge nimmt man bei der Behörde jedenfalls wohlwollend zur Kenntnis. "Wir deutschen Aufseher machen derzeit ganz neue Erfahrungen", sagt Hufeld. Die Beamten würden von Banken angesprochen, "die sich freiwillig unserer Aufsicht unterwerfen wollen". Er freut sich über die Pointe. Als überzeugter Europäer habe er zwar bis zuletzt geglaubt, Großbritannien würde Teil der EU bleiben. Aber jetzt sei "die Situation da". Und an die Stelle von Enttäuschung müsse Pragmatismus treten.

Ein paar Tausend neue Arbeitsplätze kämen jetzt gerade recht

Namen und Zahlen nennt Hufeld zwar nicht, überhaupt hält sich jeder, der an Gesprächen mit Banken beteiligt ist, mit Namen zurück. Hinter vorgehaltener Hand heißt es, seit November hätte sich bereits "eine gute zweistellige Zahl" internationaler Banken bei der Bafin gemeldet, "alle großen Geldhäuser" seien dabei. Die ersten würden bereits im ersten oder zweiten Quartal entscheiden, ob und mit wie vielen Mitarbeitern sie umziehen.

Sogar die heimischen Banken freuen sich auf die Konkurrenz. "Frankfurt, davon bin ich überzeugt, kann von einem Austritt Großbritanniens aus der EU profitieren", sagt Michael Kemmer, der als Präsident des Bankenverbandes seinen Arbeitsplatz zwar hauptsächlich in Berlin hat, aber trotzdem gerne für Frankfurt wirbt. Schließlich sei die Stadt eingebettet in eine starke Volkswirtschaft mit hoher Innovationskraft und daher als "kontinentaler Kooperationspartner von London" geradezu prädestiniert. Der Brexit sei somit auch eine Chance für neue Arbeitsplätze und mehr Wirtschaftswachstum.

Das sind mehr als ein paar Verbandssprecher-Floskeln. Acht Prozent des hessischen Exports gehen nach Großbritannien, rechnet Volker Bouffier vor, besonders betroffen ist der Autobauer Opel. Und die Banken müssen sparen, schließen Filialen, bauen Stellen ab, "bis runter zur letzten Sparkasse", sagt er. Ein paar Tausend neue Arbeitsplätze in Frankfurt kommen da gerade recht. Er mache nicht nur Standortpolitik für Rhein-Main, sondern für Deutschland, sagt Bouffier. Das ist ihm wichtig.

Büroflächen gäbe es auf jeden Fall genug, weit mehr als eine Million Quadratmeter stehen leer, so viele wie in keiner anderen deutschen Stadt - und es werden noch 14 neue Hochhäuser gebaut. Vielleicht ist es deshalb bei den Maklern noch überraschend ruhig. Vor wenigen Wochen im Frankfurter Bahnhofsviertel, Jones Lang Lasalle (JLL) hat eingeladen, einer der größten Vermittler für Büroimmobilien in Deutschland, die Manager tragen ihre Zahlen zum Frankfurter Markt vor. 2016 sei es erfreulich gelaufen, es gab mehr Vermietungen, mehr Verkäufe als im Vorjahr. Die Bahn hat 42 000 Quadratmeter im Bahnhofsviertel angemietet, die EZB 17 800 Quadratmeter im Japan Center in der Innenstadt. Alles wie immer?

Den Brexit schweigen die Büromakler fast tot, als wäre das etwas, auf das man sich nicht zu sehr freuen darf. "Klar, alle warten darauf, und wir hören von großem Informationshunger in London", sagt Markus Kullmann, der das Vermietungsgeschäft in Frankfurt leitet. "Aber wir sind da noch super konservativ." Bislang aber gebe es "keinen einzigen Abschluss" und "kein einziges Gesuch". Wann es damit losgehe, traut man sich nicht vorherzusagen. Ein bisschen gerechnet haben sie aber: Selbst wenn 8000 Banker nach Frankfurt umziehen, hätte das keine gravierenden Auswirkungen auf die Büromieten, haben sie ausgerechnet. Und: Mit einer Miete um die 30 Euro pro Quadratmeter kosten Büros in Frankfurt nur einen Bruchteil dessen, was Banken in London bezahlen.

Die Investmentbank Goldman Sachs hat sich mehrere Etagen im Messeturm reserviert, wo die bisher rund 200 Banker in den obersten Stockwerken residieren. Das Geldinstitut wird zu den ersten gehören, die verkünden, wie viele Stellen sie von London nach Frankfurt verlagern. Von bis zu 1000 ist die Rede. Dass die Europazentrale nach Frankfurt geht, ist kein Geheimnis mehr. "Spätestens, wenn die Brexit-Verhandlungen beginnen, wird das feststehen", kündigt ein Insider an.

Ein neues London, das sagt auch Volker Bouffier, wird Frankfurt nicht. Die Stadt an der Themse bleibt der internationale Finanzplatz in Europa. "Die City ist ein über 30 Jahre gewachsener Mikrokosmos, den man nicht einfach nachbilden kann", sagt Deutsche-Bank-Finanzvorstand Marcus Schenck. Das wollen sie in Frankfurt auch gar nicht. Aber ein Stück London abbekommen, das wird Frankfurt ganz sicher.

© SZ vom 27.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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