Mr. Euro:Der ewige Retter

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Wolfgang Schäuble (rechts), damals Finanzminister, 2017 im Gespräch mit Klaus Regling. (Foto: Geert Vanden Wijngaert/picture alliance/AP Photo)

Klaus Regling entwickelte einst die Stabilitätsregeln für den Euro. Nachdem Griechenland diese brach, fungiert ausgerechnet er als größter Gläubiger des Landes. Trotz Corona hält er die Währung für stabil.

Von Alexander Hagelüken

Es war am Anfang seiner Karriere, da verhandelte Klaus Regling für den Internationalen Währungsfonds (IWF) mit Marokko. Das Land brauchte einen Kredit, aber zu welchen Bedingungen? Nachts um eins sagte Marokkos Finanzminister, er trete zurück, weil er sich nicht durchsetzen könne. Der dicke Eklat, jetzt war er da. Am nächsten Morgen tauchte der Minister wieder auf. Der Premier hatte seinen Rücktritt abgelehnt, er solle weiter feilschen.

In dieser Episode steckt viel davon, was Klaus Reglings 45 Berufsjahre ausmacht: Nachtsitzungen, Wirtschaftskrisen, politische Großkonflikte. Nur ging es meist nicht um den marokkanischen Dirham, sondern um den Euro. Der Ökonom nennt Europas Währung heute "mein drittes Kind" und findet sie stabil wie nie - trotz Corona.

Manchmal jedoch verbrachte er mehr Zeit mit ihr als mit seinem leiblichen Nachwuchs, sagt er. Kein Wunder. Er war es, der einst die Sparregeln für die neue Währung mit erdachte. Nur um danach ansehen zu müssen, wie Deutschland oder Griechenland diese Regeln brachen. Und dann seit der Euro-Krise vor nun zehn Jahren als Chef der Rettungsfonds als Griechenlands größter Gläubiger zu fungieren - 190 Milliarden Euro aktuell. Was für eine Ironie der Geschichte.

Der Regierungssitz hieß in den 1990er Jahren Bonn, als Regling unter Finanzminister Theo Waigel arbeitete. Der CSUler galt als angenehmer Chef, anders als Kanzler Helmut Kohl, der Personal abkanzelte. Regling erlebte einiges. Nach dem rot-grünen Wahlsieg 1998 hieß sein neuer Chef als Finanzminister Oskar Lafontaine - "aber nur drei Tage". Sie hätten freundlich eine halbe Stunde geredet, inhaltlich fühlte sich Regling beim linken Oskar als Störfaktor. "Wäre ich geblieben, hätte ich Magengeschwüre bekommen".

Bevor Regling zu einer Anlagefirma wechselte, hatte er noch für Theo Waigel den Stabilitätspakt entwickelt. Sparregeln wie ein Defizit von maximal drei Prozent sollten die neue Euro-Währung so stabil machen wie die D-Mark. Regling hatte als Nachkriegs-Kind in Lübeck erlebt, wie Geld ausgeht. Liefen die Geschäfte in Vaters Tischlerei schlecht, "mussten wir eben sparen" - kein Urlaub etwa.

Beim Euro lief es anders. Regling war inzwischen Generaldirektor Währung in Brüssel, als 2002 ausgerechnet Deutschland genau wie Frankreich zu viel Defizit anhäufte. Wie er einem da im Fischrestaurant Vimar im EU-Viertel gegenübersaß, stand ihm die Verzweiflung ins Gesicht geschrieben. "Wenn die größten Staaten die Regeln brechen, warum sollen die Kleinen sie dann einhalten?", fragt er heute. 2004 enthüllte die Süddeutsche Zeitung, dass Griechenland seit Jahren seine Schuldenzahlen fälschte. Regling pochte auf mehr Eingriffsrechte, vergeblich. In der Finanzkrise 2009 meldete Athen plötzlich ein Defizit von 15 Prozent. "Das wäre nicht passiert, wenn die EU das Prüfrecht gehabt hätte". Investoren wetteten gegen Griechenland, die Euro-Krise brach aus.

Es wirkt wie eine Volte der Geschichte, dass die Regierungen ausgerechnet Regling zurückholten, der wieder in die Privatwirtschaft gewechselt war, um die Euro-Krise zu reparieren. Der Ökonom sammelte Geld an den Kapitalmärkten und vergab Kredite an Krisenstaaten wie Griechenland. Stoisch bewahrt er immer die Ruhe, während andere panisch werden. Und er tritt nie jemandem auf den Fuß. Als er damals berufen wird, reagiert er auf die Frage nach seiner Aufgabe so: Am liebsten wäre ihm, gar nichts zu tun zu haben. Denn das wäre der Beweis, dass der Euro in Ordnung sei. Wer sich so klein macht, setzt bei Politiker-Egos einiges durch, weil sie ihn nicht als Rivalen sehen.

Das mit dem Ende des Euro höre er nun schon zum 20. Mal, sagt Regling lächelnd

Über die Jahre hat sich das Bild von Regling auch gewandelt - oder er selbst? Seinen Stabilitätspakt hält mancher Ökonom bis heute für deutsche Sparfuchserei, wirtschaftlich schädlich. Doch als CDU-Finanzminister Wolfgang Schäuble Griechenland 2015 aus dem Euro werfen wollte, stemmte sich Regling dagegen. "Es war wenige Minuten vor dem Grexit", sagt er heute. "Das wäre eine Katastrophe für elf Millionen Griechen gewesen, aber auch die teuerste Lösung für die Gläubiger, denn Griechenland hätte die Kredite nicht zurückgezahlt."

Regling wirkt heute zuweilen wie ein optimistischer Supereuropäer. Er selbst sieht es so: "Ich bin erst überzeugter Europäer geworden, nachdem ich gesehen habe, wie es im Rest der Welt läuft". In Asien, in Afrika, aber auch in den USA. Dort erfuhr er als Student, dass die Qualität der Schulen eines Landkreises von Steuereinnahmen abhängt - ohne Finanzausgleich. "Wer das verinnerlicht, weiß, dass es in den USA keine soziale Gerechtigkeit geben kann".

Wenn wegen der Corona-Krise wieder manche das Ende des Euro ausrufen, sagt Regling lächelnd, das höre er nun zum 20. Mal. In der Tat wirkt der Euro trotz der dramatischen Wirtschaftskrise sehr stabil. Was an einer neuen Politik liegen dürfte, an der EZB also und Reglings ESM-Behörde, aber auch am Wiederaufbauplan, mit dem sich Finanzminister Olaf Scholz von Vorgänger Schäuble unterscheidet. "Die Märkte schauen heute auf den Euro positiver, als ich das je in den letzten zehn Jahren gesehen habe", so Regling, der diesen Samstag 70 wird. An der ESM-Spitze bleibt er noch zwei Jahre, aber er könne sich auch danach um den Euro kümmern, sagt er.

Klar, wer sonst.

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