Montagsinterview:"Die Geschichte hat mich auch geerdet"

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Johannes Zwick saß wegen der Steueraffäre seines Vaters 123 Tagein U-Haft. Am Ende wurde er freigesprochen. Heute führt er die Familienfirma.

Interview von Caspar Busse

Sein Vater war der bekannte Bäderkönig aus Bad Füssing: Der 1998 gestorbene Eduard Zwick löste in den 80er- und 90er-Jahren einen der größten Steuerskandale aus. Sein Sohn, der Arzt Johannes Zwick, wurde mitverantwortlich gemacht, am Ende aber freigesprochen. Der Gesundheitskonzern Johannesbad Holding betreibt Klinken, Gesundheitszentren und Hotels und expandiert in neue Geschäftsfelder. Zwick ist Vorsitzender des Aufsichtsrats, hat die Mehrheit bereits an seine Kinder übergeben. Zeit für eine Bilanz.

SZ: Herr Zwick, Sie betreiben Kampfsport. Warum?

Johannes Zwick: Ich habe schon früh mit Judo angefangen, später dann Karate, jetzt mache ich Wing-Tsun. Das ist ein chinesischer Kampfsport, den hat übrigens auch Bruce Lee gemacht.

Also der Bruce Lee von Bad Füssing.

(lacht) Nein. Aber das hält mich geistig wie körperlich fit. Die asiatische Kultur prägt mich schon lange, das liegt tief in mir drin.

Sie wurden in Indonesien geboren.

Meine Eltern Angelika und Eduard waren beide Ärzte. Nach dem Zweiten Weltkrieg sind sie mit einem Frachtdampfer von Rotterdam nach Indonesien gefahren, das hat dreieinhalb Monate gedauert. Schließlich wurden sie auf der Insel Sumatra Entwicklungshelfer. Damals war meine Mutter dort die einzige westliche Ärztin. Männer durften damals Frauen nicht berühren, meine Mutter war vom ersten Tag an gefragter als mein Vater, ihre Praxis war voll. Ich bin in Indonesien zur Welt gekommen, in einem holländischen Krankenhaus, bei malaiischen Schwestern, entbunden von meinen Vater, getauft von einem italienischen Priester, und mein Taufpate war ein chinesischer Buddhist.

Sehr multikulti.

Ich bin aufgewachsen wie Mogli im Dschungel, ich habe malaiisch gesprochen. Als wir in Indonesien waren, hatten meine ein Jahr ältere Schwester und ich ein eigenes Kindermädchen. Wir konnten damals machen, was wir wollten. Meine Eltern haben gearbeitet, wir waren unterwegs, im Dschungel verschwunden, erst am Abend zurück. Wir hatten eine unbeschwerte Kindheit. Ich bin sehr braun geworden, war der Liebling der Bevölkerung dort und wurde mit Geschenken überhäuft. Ich hatte also schon früh sehr positives Feedback, würde man heute sagen.

Haben Sie noch genaue Erinnerungen?

Besonders gut erinnere ich mich an die Gerüche Indonesiens, auch die dortige Mentalität ist irgendwie geblieben. Meine Lebensgeschichte erklärt vielleicht auch meine Mentalität.

Dann sind Sie von Sumatra in die Oberpfalz gekommen.

Ja, mit vier. Deutsch habe ich aber erst in der Grundschule gelernt. Da hatte ich erst mal große Schwierigkeiten. Wir haben zunächst bei meinem Großvater in der Oberpfalz gelebt. Er hatte einen Eisenwarenhandel und sollte auf uns Kinder aufpassen. Ich habe es ihm nicht leicht gemacht: Er hat mich manchmal durch das große Haus gejagt, ich bin einfach wie im Dschungel die Vorhangstangen hochgeklettert. Ich war wie ein kleiner Affe.

Und Ihre Eltern?

Meine Eltern hatten in Indonesien gut verdient und nun zu viel Geld für eine Praxis, aber zu wenig für ein Krankenhaus. Also machten sie ein Zwischending und eröffneten ein Sanatorium. In Indonesien hatten sie Erfahrung mit Naturkräften gesammelt. Wir hatten in Indonesien am Fuße eines Vulkans mit heißen Schwefelquellen gelebt. Wenn Patienten mit Gelenkbeschwerden kamen, hat mein Vater sie in das heiße Wasser gesetzt, und sie waren begeistert. So kamen meine Eltern auf die Idee, in Deutschland auch nach solchen Quellen zu suchen.

Warum gerade Füssing in Niederbayern?

Mein Großvater hatte ein verrücktes Dorf mit angeblich wunderbarem Wasser empfohlen. So kamen meine Eltern 1958 zu dem kleinen Weiler Füssing. Da gab es damals noch nicht einmal geteerte Straßen, keine Hotels, keine Klinken. Sie bauten 1958 den Tannenhof, das erste Sanatorium mit 35 Doppelzimmern. 1964 bohrten sie nach Heilwasser, zunächst ohne Erfolg. Meine Eltern sagten, bei tausend Metern ist endgültig Schluss, denn das Geld wurde immer knapper. Sie machten aber trotzdem weiter, bei 1056 Meter wurden sie endlich fündig.

"Das Ganze war ein politischer Fall", sagt Johannes Zwick über die Steueraffäre seines Vaters. (Foto: Falk Heller/oh)

Ein Glücksfund, aber am falschen Platz, oder?

Füssing lag am Ende der Welt. Heute würde man sagen, betriebswirtschaftlich sinnlos, zu weit weg, vergiss es. Aber aus Füssing ist der größte Kurort Europas geworden. Füssing gehört heute in Deutschland zu den zehn größten Zielen, was die Übernachtungszahlen angeht.

Aber die Gäste sind schon ziemlich alt?

Das Durchschnittsalter ist der demografischen Entwicklung in Deutschland angepasst (lacht).

Bekannt geworden sind Sie, als Sie 1994 als Sohn des "Bäderkönigs Eduard Zwick" 123 Tage im Gefängnis waren . . .

Ich saß nicht im Gefängnis; ich war in Untersuchungshaft. Es gibt dabei einen großen Unterschied zum Beispiel zwischen Uli Hoeneß und mir. Er hat Steuern hinterzogen, ich nicht.

Es war eine der größten Steueraffären des Landes. Wie hat Sie diese Zeit geprägt?

Man wird als U-Häftling schlechter behandelt als ein Verurteilter. Sie haben Kontaktsperre, sind richtig weggesperrt. Wenn man so etwas erlebt, verändert man seine Lebensanschauung: Früher war ich konservativ. Durch diese Erfahrung bin ich zu einem liberalen Menschen geworden.

Bei den meisten ist das eher umgekehrt, oder?

Ich habe in diesen 123 Tagen viel erlebt, ich kenne seitdem die Gesellschaft von ganz oben bis ganz unten. Ich habe mich immer wieder gefragt: Warum sind viele dieser Leute überhaupt im Gefängnis? Und was soll eine Haft bewirken? Sie soll ja demjenigen, der eine Straftat begangen hat, helfen, dass er das nicht wieder tut. Die Leute sollen rehabilitiert werden und in die Gesellschaft zurückgeführt werden. Dafür passiert im Gefängnis aber nichts. Im Gefängnis kommt nur Verbitterung auf.

Was waren Ihre Erlebnisse?

Ich hatte eine Einzelzelle. Mein Anwalt sagte mir immer: Lass niemanden in deine Zelle, das ist sehr gefährlich, die legen dir Drogen oder Bargeld rein, dann geht es erst richtig los. Einmal kam aber ein anderer Häftling in meine Zelle, er schmiss sich auf die Pritsche und sagte: "Sie sind Arzt, ich möchte mich mit Ihnen unterhalten. Ich werde in zwei Wochen entlassen, ich fühle mich aber nicht als Mann, ich möchte mich umwandeln lassen."

Was haben Sie geantwortet?

Ich habe ihm gesagt: Das ist medizinisch heute kein Problem, Brüste, Vagina, Hormonspritzen - alles möglich. Wir haben dann lange geredet. Sein Schicksal hat mich sehr berührt. Er hatte als 16- Jähriger begonnen, Autos zu stehlen, immer nur Fünfer-BMWs, die haben ihn angemacht. Er ist erwischt worden, er machte weiter, einmal lag eine Kreditkarte in dem gestohlenen Fünfer, er hat sie benutzt. Er wurde immer verhaftet, entkam der Polizei mehrmals. Am Ende bekam er dreieinhalb Jahre Haft. Aber was bringt das?

Sie wurden am 12. Januar 1994 verhaftet.

Das habe ich im Kopf drin, das geht nicht mehr raus. Ich wurde auf dem Schulhof von der Polizei verhaftet, als ich meine drei Kinder zur Schule brachte. Überall Polizei, die Fernsehteams von Sat 1 und RTL waren auch schon da. Es war schrecklich.

Es ging um Ihren Vater, der Steuern in hoher Millionenhöhe hinterzogen hatte. Ihnen wurde auch "Steuerhinterziehung durch Unterlassen" vorgeworfen. Ihr Vater schwieg zu allem, deshalb blieben Sie so lange in U-Haft, 1999 wurde Sie schließlich freigesprochen. Mit Ihrem Vater haben Sie aber nie wieder gesprochen.

Das Ganze war ein politischer Fall, da hatten viele ihre Finger drin. Insgesamt über 50 000 Seiten hatte die Staatsanwaltschaft zusammengetragen. Der Name Zwick wurde damals bundesweit bekannt.

Nicht gerade im positiven Sinn. Werden Sie noch oft darauf angesprochen?

Von Älteren schon, von Jüngeren nicht. Sie können sich nicht vorstellen, wie viele Leute Probleme mit dem Fiskus haben, da gab es dann auch einen Mitleidseffekt. Einige Menschen, die mich damals öffentlich angegriffen haben, haben sich übrigens später bei mir entschuldigt. Die ganze Geschichte hat mich auch geerdet.

Zwicks Vater Eduard (r.) mit Franz Josef Strauß (l.). Der Zwick-Steuerskandal war die erste Amigo-Affäre, Bayerns Finanzminister Tandler trat 1994 zurück. (Foto: dpa)

Sie sind Arzt und führen die Johannesbad-Gruppe. Wie viel Ahnung haben Sie von Wirtschaft?

Ich kenne mich mittlerweile ganz gut aus. Ich habe mir das in den vergangenen 35 Jahren aber auch hart erarbeitet, heute kann ich Bilanzen lesen und habe ein gutes Verständnis von Wirtschaftsabläufen und Finanzzahlen.

Sie leiten den Aufsichtsrat eines Familienunternehmens . . .

Die Gruppe ist zu hundert Prozent in Besitz der Familie. Meine drei Kinder haben inzwischen jeweils 30 Prozent, ich selbst habe nur noch zehn Prozent.

Aber Sie haben noch das Sagen?

Ja, aber das ändert sich irgendwann. Meine beiden Söhne arbeiten schon in der Firma und werden immer stärker integriert, meine Tochter ist Psychotherapeutin. Ich vertraue meinen Kindern, sie werden das Unternehmen irgendwann übernehmen und weiterführen.

Die Firma ist stark gewachsen. Wollen Sie sich irgendwann für Investoren oder die Börse öffnen?

Nein, wir haben kein Interesse an der Börse. Wir wollen nicht alle drei Monate einen Bericht abliefern. Wir denken lieber strategisch und langfristig.

Was sind Ihre nächsten Pläne?

Wir kommen mittlerweile auf einen Umsatz von insgesamt 120 Millionen Euro und haben rund 2000 Mitarbeiter, vor allem im Klinik-, Reha- und Hotelbereich. Wir bilden 600 junge Leute aus. Die Besten behalten wir, die Guten schicken wir zur Konkurrenz. Wir haben auch ein neues Geschäftsfeld, das betriebliche Gesundheitsmanagement, kurz BGM. Das ist für mich ein Herzensanliegen. Das wird in vier oder fünf Jahren eine große Geschichte werden.

Warum?

Alle technischen Dinge brauchen einen Wartungsvertrag. Das Wichtigste in den Unternehmen sind heute aber die Menschen und Mitarbeiter, die müssen wir pflegen. Um die müssen wir uns kümmern, für die müssen wir einen Wartungsvertrag abschließen. Das ist die Idee hinter dem betrieblichen Gesundheitsmanagement. Große Unternehmen machen das schon, der Mittelstand muss das noch verstehen.

Wie soll das aussehen?

Betriebliches Gesundheitsmanagement ist nicht die Salatbar in der Kantine oder die Muckibude auf dem Firmengelände. Damit erreiche ich doch nicht den Übergewichtigen oder den Mitarbeiter mit Rückenbeschwerden, der sich wenig bewegt. Man muss mehr tun und das systematisch angehen. Wir beraten die Unternehmen dabei.

Was sagen Sie denen dann?

Jede Firma hat andere Bedürfnisse, ein Straßenbauunternehmen oder eine Schlosserei ist anders als ein Verlag. Wir sind sozusagen ein Vollsortimenter, wir machen die Analyse, sagen, was zu tun ist, und können das auch umsetzen, stationär oder ambulant. Ein Beispiel: Wenn Sie Mitarbeiter mit Burn-out-Symptomen haben, können die nicht ambulant behandelt werden, dafür haben wir unsere Kliniken.

Wie groß ist das Geschäft?

Betriebliches Gesundheitsmanagement haben wir im vergangenen Jahr angefangen, es wächst überdurchschnittlich an, es geht um Fachkräftemangel, um Stress, um Burn-out, um Depressionen - das ist ein weites Feld. Für mich sind am meisten die sogenannten Mittel-Manager gefährdet, die müssen großen Druck aushalten und die von oben ausgegebenen Ziele umsetzen, gleichzeitig bekommen sie Druck von unten. Sie sind das Verbindungsstück von oben nach unten, können kaum ersetzt werden. Um die muss man sich kümmern, natürlich auch aus wirtschaftlichen Gründen.

Wer sind mögliche Kunden?

Unsere Kunden sind große Autohersteller wie Ford und Mercedes, aber auch kleinere Firmen, kommunale Verwaltungen wie Landratsämter, Finanzämter. Im Prinzip ist aber jedes Unternehmen relevant.

Im Gesundheitsbereich gibt es gerade eine Konzentrationswelle. Planen Sie auch Übernahmen?

Wir wollen im Jahr im Schnitt ein bis zwei neue Standorte eröffnen. Wenn Übernahmen zu uns passen, dann traue ich uns das zu, wir können das aus eigener Kraft finanzieren. Viele Kliniken stehen heute ohne Nachfolger da, die Kinder wollen nicht in das Geschäft. Da stehen wir parat.

Johannes Zwick , 60, ging in Niederbayern zu Schule und studierte Medizin in München und Berlin. Schon 1982 trat er in die elterliche Johannesbad-Gruppe ein. Vater Eduard hatte in Bad Füssing das Unternehmen aufgebaut, bezahlte aber keine Steuern und flüchtete in die Schweiz. Das bayerische Finanzministerium verzichtete zunächst auf einen Großteil der Steuern, Zwick hatte immer gute Verbindungen zur CSU. Der Skandal wurde aber bekannt, die Vereinbarung wieder aufgehoben.

© SZ vom 25.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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