Montagsinterview:"Als Notarzt ist man immer auf der Bühne"

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"Rehabilitation war lange Zeit das hässliche Entlein im deutschen Gesundheitswesen. Heute in den Zeiten der Fallpauschalen wollen sich die Akutkliniken entlasten." Ole Wiesinger ist Vorsitzender des Verwaltungsrats der Medical Park Klinikgruppe. (Foto: oh)

Ole Wiesinger war Rettungssanitäter und hat als Notfallmediziner 4000 Patienten behandelt. Heute arbeitet er als Manager einer Klinik-Gruppe und erklärt, was Führungskräfte noch lernen können und was in ihrem Job besonders wichtig ist.

Von Caspar Busse

Ole Wiesinger, 57, ist in Hamburg geboren und in Nürnberg aufgewachsen, schon länger lebt er mit seiner Familie in der Schweiz und hat auch die Schweizer Staatsbürgerschaft. "Ich bin aber eigentlich Franke", sagt er und lacht. Inzwischen ist er auch wieder oft in Deutschland unterwegs, denn seit September 2019 ist er Vorsitzender des Verwaltungsrats der Medical-Park-Klinikgruppe, eine der großen Reha-Gruppen, mit 13 Kliniken, drei ambulanten Therapiezentren und 3500 Mitarbeitern. Sein Vorgänger war der Linde-Manager Wolfgang Reitzle. Wiesinger hat sehr lange als Rettungssanitäter und Notarzt gearbeitet, bevor er ins Management gewechselt ist. Die Zeit hat ihn, sagt er, sehr geprägt.

SZ: Herr Wiesinger, wie vielen Menschen haben Sie schon das Leben gerettet?

Ole Wiesinger: Das weiß ich gar nicht. Ich weiß nur, dass ich als Notarzt ungefähr 4000 Patienten behandelt habe. Denn über die Einsätze muss man genau Buch führen.

Das kann ja nicht jeder von sich sagen.

Die Notfallmedizin ist meine Leidenschaft, ich war 25 Jahre unter anderem in diesem Bereich tätig und habe schon als Rettungssanitäter gearbeitet, als ich noch keinen Medizinstudienplatz hatte, vielleicht um meinen potenziellen "Heilungskomplex" zu befriedigen. Auch nach Studium und Notarztausbildung war ich ehrenamtlich im Rettungsdienst aktiv. Die Arbeit als Notarzt ist faszinierend.

Was daran ist faszinierend?

Der Job des Notarztes ist eine sehr elementare und unmittelbare Aufgabe, mit sehr begrenzten Mitteln muss man größtmögliche Wirkung erzielen, also akut bedrohte Patienten behandeln. Mein allererster Einsatz war ein Herzstillstand in der Praxis eines altgedienten Internisten. Und ich dachte: "Der Kollege ruft mich, weil er denkt, ich könnte das besser als er." Das hat mich beeindruckt. Erst als ich später in das Management gewechselt bin, habe ich begriffen, was ich in meiner "Notfall-Zeit" alles gelernt habe. Vieles davon ist essenziell für Manager.

Was denn?

Man arbeitet immer im Team, sei es im Rettungsdienst oder im Management einer Klinikgruppe. Schnelle Entscheidungen sind gefragt, und zu denen muss man dann auch stehen, übrigens auch zu Fehlentscheidungen. Man muss schnell zupacken und handeln, natürlich abgewogen, in der Notfallmedizin auch ohne langes Aktenstudium. Als Notarzt ist man immer auf der Bühne, damit muss man umgehen können, als Manager ist das ähnlich.

Wie haben Sie sich an die Bühne gewöhnt?

Das geht schnell, schon als Rettungssanitäter muss man ja sofort eingreifen. Die allermeisten Menschen haben bei einem Notfall leider Angst, etwas falsch zu machen, und warten auf die Einsatzkräfte. Dabei kann ich nur zum Helfen ermutigen!

Aber Notarzt und Top-Manager sind doch sehr verschiedene Jobs.

Stimmt, aber in beiden muss man sich auf seine Mitarbeiter absolut verlassen können. Meine Erfahrungen haben sehr geholfen beim Führen von Menschen und beim Bilden von Teams. In den Teams muss es immer eine gute Mischung geben aus fachlicher Kompetenz und menschlicher Führungsfähigkeit. In meinen Anfangszeiten habe ich den Fehler gemacht, das Fachliche höher zu bewerten. Gerade im Top-Management geht es aber sehr um Echtheit, Einfühlsamkeit und Wertschätzung.

Als Notarzt steht man auch unter großem Druck.

Das stimmt, als Manager aber auch. Aber ich habe in meiner gesamten Laufbahn nie unter allzu großem Druck gelitten.

Würden Sie sich heute noch den Job als Notarzt zutrauen?

Ich würde es mir schon zutrauen, aber wahrscheinlich andere mir nicht mehr. Mein Berufsweg ist eben in eine andere Richtung gegangen.

Warum sind Sie in die Wirtschaft gewechselt, wenn Sie ein so leidenschaftlicher Arzt waren?

Das war letztlich Zufall, dass ich in den administrativen Bereich eines Krankenhauses hineingerutscht bin. Nebenberuflich habe ich dann Gesundheitsökonomie an der European Business School studiert, um mich fit zu machen. Dieser Weg bereitet mir auch heute noch große Freude. Dann kam ein Angebot aus der Schweiz, ich wurde Direktor eines großen Krankenhauses und schließlich der Chef der Schweizer Plattform einer international tätigen börsennotierten Krankenhaus-Gruppe. Dann kam die Anfrage von Medical Park und dessen Eigentümer Ernst Freiberger.

Der sein Geld mal mit Tiefkühlpizzen verdient hat ...

... und dann hat er diese Klinikgruppe mit großer Leidenschaft und unternehmerischem Herz erfolgreich gemacht. Ich wollte nach fast elf Jahren als Chef raus aus meiner Komfortzone und noch mal etwas anderes machen und bin jetzt Vorsitzender des Verwaltungsrats von Medical Park. Ich empfinde es als sehr wohltuend, für ein Familienunternehmen zu arbeiten, das auch Gewinne erzielen muss und langfristig orientiert ist.

Warum?

Der Krankenhausmarkt ist hochreguliert, es ist ein Verdrängungsmarkt, freien Wettbewerb gibt es kaum. Da braucht man einen langfristigen Atem. Zu viel Quartalsdruck kann in dieser Branche ungesund sein.

Generell: Wann ist ein Gesundheitssystem gut?

Ein gutes Gesundheitssystem muss Patienten Nutzen stiften. Das ist der Fall, wenn es zufriedene Patienten und eine nachweisbar gute Behandlungsqualität zu vernünftigen Kosten gibt.

Darf und kann man an den Krankheiten der Menschen überhaupt verdienen?

Jetzt wird es schwierig, da kann man stundenlang diskutieren, denn diese Branche ist eine ganz besondere. Meine Meinung ist: Ohne Wettbewerbs- und Marktelemente im Gesundheitswesen wird die Qualität immer schlechter, und der Preis steigt immer weiter. Schauen Sie nach Großbritannien, wohin das führt, wenn der Staat alles richten will. Die Unternehmen müssen also gewinnorientiert arbeiten dürfen, Erträge auf das Kapital erwirtschaften und damit in das Unternehmen reinvestieren.

Sie sind bei Medical Park jetzt Nachfolger des ehemaligen Linde-Chefs Wolfgang Reitzle.

Wer kann das schon von sich behaupten. (lacht)

Sind Sie ein aktiver Verwaltungsrats chef?

Ja, ich bin sehr aktiv. Das wünscht sich auch der Eigentümer. Wir wollen Medical Park zu einem professionellen Konzern machen, der immer noch in Familienhand ist, aber nicht mehr patronal geführt wird.

Was machen Sie anders als Ihr Vorgänger?

Ich bin ein Gewächs des Krankenhauses, habe schon deshalb einen anderen Fokus. Es ist wichtig, dass sich das Management in den Kliniken zeigt. Da hilft es, dass ich Arzt bin. Ich glaube bis zu letzten Patrone daran, dass sich alles andere der medizinischen Qualität unterordnen muss. Das ist das A und O. Nur so werden wir Erfolg haben. Und ich habe noch viele Ideen.

Was für welche?

Wachstum funktioniert immer am besten da, wo man schon erfolgreich ist. Wir werden an den bestehenden Standorten weiter zulegen, organisch oder auch durch Zukäufe. Wir werden Cluster bilden, es ist immer gut, wenn wir in den jeweiligen Regionen zwei oder drei Einheiten haben, wie jetzt schon in Oberbayern, denn das bringt Synergien. Rehabilitation war lange Zeit das hässliche Entlein im deutschen Gesundheitswesen. Heute in den Zeiten der Fallpauschalen wollen sich die Akutkliniken entlasten.

Sie wollen die Patienten möglichst schnell wieder loswerden.

Ich sage: Die Patienten möglichst zügig entlassen und in Rehakliniken überweisen. Mit einer qualifizierten Reha werden Patienten schnell wieder gesund und kehren bald zurück an den Arbeitsplatz - und das zu einem günstigeren Tarif als im Akutkrankenhaus. Die Rehabilitation hat eine Renaissance erfahren. Das ist gut für das System, auch für unser Geschäft.

Gerade am Tegernsee haben Sie bekannte Sportler, Skirennfahrer Thomas Dr eßen war sechs Wochen da, auch Fußballer. Ist das gute Werbung?

Das sind eher die Früchte guter Arbeit. Wenn man exzellente Medizin anbietet, dann spricht sich das herum. So ist das auch mit den vermeintlich Prominenten und den internationalen Gästen. Der überwiegende Teil unserer Patienten kommt über eine Empfehlung zu uns, wird von einem Arzt oder einem Krankenhaus überwiesen. Aber Patient ist Patient bei uns. Das ist wie bei einer Fluglinie: Wir bringen alle nach New York, manche fliegen eben Economy und andere in der First Class. Aber alle kommen sicher an. Wir differenzieren im Servicebereich, aber nicht bei der medizinischen Kernleistung.

Wie wichtig sind die Patienten aus dem Ausland, die selbst zahlen?

Unser Geschäft ist immer lokal, und da müssen wir die Besten sein. Wenn Patienten überregional zu uns kommen, freut uns das. Aber wir sind keine Einrichtung, die sich auf ausländische Gäste spezialisiert. Diese machen nur wenige Prozent aus, das wird oft überschätzt.

Ole Wiesinger , 57, war erst Rettungssanitäter, studierte dann unter anderem Medizin. Er wurde Assistenzarzt in Erlangen und Jena, arbeitete aber gleichzeitig weiter als Notarzt. Dann wechselte der Chirurg 2008 zur Hirslanden-Gruppe in Zürich, der größten Schweizer Privatklinikgruppe. Im vergangenen Herbst ging er zu Medical Park. Die Gruppe mit Hauptsitz im oberbayerischen Amerang hat Standorte in Bayern (unter anderem am Tegernsee und am Chiemsee), Berlin, Hessen und Nordrhein-Westfalen. Sein Vorgänger als Verwaltungsratschef, Wolfgang Reitzle, war zwischenzeitlich mit zehn Prozent an dem Unternehmen beteiligt, heute ist es wieder zu hundert Prozent in Besitz von Ernst Freiberger. Wiesinger hat vier Kinder.

© SZ vom 16.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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