Mittelstand und Steuern:Forschen und draufzahlen

Lesezeit: 5 min

Kein Land für Daniel Düsentrieb: Während viele Länder Unternehmen bei Entwicklungskosten steuerlich entgegenkommen, hinkt Deutschland noch hinterher.

Daniela Kuhr

Es ist gerade mal neun Monate her, dass die Reform der Unternehmensteuer in Kraft getreten ist. Kapitalgesellschaften sind jetzt im Schnitt nur noch mit 29,83 Prozent belastet - im vergangenen Jahr waren es 38,65 Prozent. Das liegt hauptsächlich daran, dass der Satz für die Körperschaftsteuer von 25 Prozent auf 15 Prozent gesenkt wurde.

Forschung wird in Deutschland laut Steuerexperten benachteiligt. (Foto: Foto: dpa)

Im Wettbewerb mithalten

Das ist eine enorme Verbesserung", sagt Ulrich Derlien, Steuerberater bei der Augsburger Kanzlei Sonntag & Partner. "Damit steht Deutschland, was die Steuersätze anbelangt, im Vergleich zum Ausland endlich nicht mehr ganz so schlecht da."Doch niedrige Steuersätze allein seien nicht genug, um als Investitionsstandort im Wettbewerb mit den Nachbarstaaten mitzuhalten, meint der Fachmann.

Nach Ansicht zahlreicher Steuerexperten darf Bundesfinanzminister Peer Steinbrück sich jetzt keinesfalls ausruhen. "Eines der ganz drängenden Probleme sind die Kosten für Forschung und Entwicklung", sagt Wolfgang Kessler, Professor für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre an der Universität Freiburg. Das sieht auch Derlien so: "Dieser Bereich ist, steuerlich betrachtet, ein Drama - und zwar für Konzerne, Familienunternehmen und Start-ups."

17 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung

Die Kosten für Forschung und Entwicklung werden in Deutschland anders gefördert als im benachbarten Ausland - nämlich vorrangig durch direkte staatliche Zuschüsse. Es fließt also Geld in ausgewählte Institutionen oder Projekte. Nach einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft wendete der Staat 2004 insgesamt 17 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung auf.

Davon kamen fast 15 Milliarden Euro Hochschulen und Forschungsinstituten zugute. Die Forschungstätigkeiten in der Wirtschaft förderte der Staat lediglich mit 2,3 Milliarden Euro. Davon wiederum floss nur etwa ein Fünftel an kleine und mittlere Unternehmen. Das sind nicht mal drei Prozent der Gesamtsumme.

Lesen Sie auf der nächsten Seite über die steuerlichen Anreize in anderen Ländern und wie Deutschland dasteht.

Die meisten der Länder, mit denen Deutschland im Wettbewerb steht, förderten dagegen die Kosten für Forschung und Entwicklung auch steuerlich, sagt Kessler und verweist auf Großbritannien, Frankreich, Irland, die USA, die Niederlande, Österreich, Spanien und Japan. So gebe es etwa in Frankreich, über den normalen Abzug als Betriebsausgaben hinaus, noch eine Steuergutschrift in Höhe von 30 Prozent der Forschungsaufwendungen.

"Ein Investor ist sehr flexibel", sagt Kessler. "Wenn ein Staat wie Frankreich, der über eine intakte Infrastruktur und ein verlässliches Rechtssystem verfügt, mit so einem wunderbaren Angebot kommt, dann könnte eine Steuervergünstigung ausschlaggebend für die Standortwahl sein."

Steuerliche Anreize schaffen

In Irland seien Lizenzeinkünfte und Gewinne aus bestimmten Patenten komplett von der Steuer befreit, sagt Kessler, und zwar bis zu fünf Millionen Euro pro Jahr. "Und in den Niederlanden werden Erträge aus immateriellen Wirtschaftsgütern unter gewissen Voraussetzungen nur mit einem effektiven Steuersatz von zehn Prozent besteuert." Mit dieser Art der Förderung signalisieren die Länder nach Ansicht des Fachmannes, dass Investoren aus aller Welt willkommen sind. "Deutschland hat diesen Trend bislang verschlafen, dabei sind steuerliche Anreize für Unternehmen ein ganz wesentliches Kriterium bei der Wahl des Standorts."

In der Politik wird das Thema ernst genommen. "Der Bereich Forschung und Entwicklung ist ein zentraler Punkt, wenn es um die Zukunft, den Wohlstand, das Wachstum und die Prosperität in unserem Land geht", sagte der Unionsfraktions-Vize Michael Meister im September auf dem Syndikus-Steuerberatertag in Berlin. Man müsse überlegen, ob es genüge, diese Aufwendungen mit Zuschüssen zu fördern, oder ob nicht auch eine steuerliche Förderung in Betracht komme. Das Problem sei eine klare Abgrenzung: "Wir brauchen einen Begriff, der nicht zur steuerlichen Gestaltung anregt", sagte Meister. Der Politiker will sicherstellen, dass wirklich nur die volkswirtschaftlich erwünschten Kosten gefördert werden und die Unternehmen nicht tricksen.

"Wir brauchen ein Alleinstellungsmerkmal"

"Jeder Staat muss ein großes Interesse daran haben, Forschung und Entwicklung ins Land zu holen", sagt Steuerwissenschaftler Kessler. "Das ist nicht nur die wichtigste Basis für Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze, sondern langfristig auch eine Garantie für Steuereinnahmen." In mehreren Bundesministerien arbeiten Beamte derzeit an einem Modell zur steuerlichen Förderung von Kosten für Forschung und Entwicklung.

Bis Ergebnisse vorliegen, wird es nach Angaben des Bundesforschungsministeriums noch eine Weile dauern. "Ich kann nur hoffen, dass die Vorschläge tiefgreifend genug sind", sagt Kessler. Wenn sie nicht mit dem mithielten, was beispielsweise die Franzosen erreicht hätten, wäre der Effekt sehr gering. "Wir brauchen ein Alleinstellungsmerkmal, also Anreize, die kein anderer hat", sagt der Professor. "Sonst hat Deutschland im internationalen Wettbewerb um Investitionen dauerhaft keine Chance."

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie junge und innovative Unternehmen durch die Reformen benachteiligt werden.

Doch statt Forschung und Entwicklung steuerlich zu fördern, hat der Gesetzgeber diesen Bereich nach Auffassung von Steuerexperten mit den jüngsten Reformen sogar benachteiligt. So bewirkt etwa die Mindestbesteuerung, dass Verluste eines Jahres nur eingeschränkt von Gewinnen künftiger Jahre abgezogen werden können.

"Übersteigt der Verlustvortrag des Vorjahres den Gewinn eines Folgejahres um mehr als eine Million Euro, ist der übersteigende Betrag nur noch zu 60 Prozent abzugsfähig. In Höhe von 40 Prozent kommt es also zu einer Scheingewinnbesteuerung", sagt Derlien. "Dies trifft alle Unternehmen, auch familiengeführte."

Langer Vorlauf zum Gewinn

Gravierende Folgen habe zudem die neue Vorschrift zum Verlustabzug bei Körperschaften: Sie sieht vor, dass vorgetragene Verluste nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr angerechnet werden können, wenn mehr als ein Viertel oder mehr als die Hälfte der Anteile direkt oder indirekt auf einen neuen Erwerber übertragen werden.

Wie sich das auswirken kann, erläutert Derlien am Beispiel eines Biotechnologieunternehmens. In dieser Branche könnten "locker mal sechs bis acht Jahre vergehen, bis überhaupt mit einem Produkt Geld verdient wird". Nicht jedes Unternehmen habe dafür bis zur Markteinführung die nötigen liquiden Mittel, sodass häufig der Einstieg eines Investors, der an die Zukunft des Produkts glaubt, die letzte Rettung sei.

Pleite verhindern

"Nach der Neuregelung gehen, trotz einer wirtschaftlich sinnvollen Investition ohne jeglichen Hintergrund der Steuervermeidung, regelmäßig die Verlustvorträge der Biotechfirma teilweise oder ganz verloren", sagt Derlien. "Bringt das Unternehmen dann das fertige Produkt auf den Markt, muss es die Gewinne in voller Höhe versteuern, als hätte es nie Verluste gegeben und die Entwicklung überhaupt nichts gekostet."

Auch Wolfgang Kessler hält das für schädlich: Gerade im Fall von jungen innovativen Unternehmen sei es doch wünschenswert, dass Investoren durch ihren Einstieg eine Pleite verhinderten, meint er.

Lesen Sie auf der nächsten Seite über das vorherrschende Problem in Deutschland: der Neid.

Als weiteren Nachteil sehen die Experten die neuen Vorschriften zur Funktionsverlagerung. Eigentlich wollte der Gesetzgeber damit dem Trend entgegenwirken, ganze Bereiche auszugliedern und ins Ausland zu verlagern. Doch so, wie die Vorschrift jetzt gefasst ist, stößt sie auf europarechtliche Bedenken.

Planungssicherheit muss gegeben sein

Kessler stellt daher fest: "All diese durch die Steuerreform eingeführten Neuerungen sind nicht gerade geeignet, um Investoren aus dem Ausland anzulocken." Noch ein anderer Aspekt spielt eine wichtige Rolle, wenn sich ein Unternehmen für einen Standort entscheiden muss: die Planungssicherheit.

Kann sich das Management darauf verlassen, dass die Gesetze, so wie sie derzeit gelten, zumindest eine Zeitlang stabil in der Zukunft fortbestehen? "Bei der Schweiz oder den Niederlanden beispielsweise sehen Unternehmen, dass diese Länder seit Jahren eine verlässliche und investorenfreundliche Steuerpolitik machen", sagt Kessler. "Auch in Österreich versucht man, Hürden aus dem Weg zu räumen." In Deutschland dagegen würden stattdessen immer wieder überraschend neue Schwierigkeiten geschaffen.

Problem Neid

"Mir ist klar, dass es in der heutigen politischen Situation nicht allenthalben populär ist, wenn Unternehmen mit Milliarden entlastet werden", sagt Kessler. Doch da müsse ein Umdenken stattfinden. "In den Niederlanden beispielsweise orientiert sich die Politik an dem Gedanken: Was gut für die Wirtschaft ist, ist gut für das Land." Auch Derlien stellt fest: "In Deutschland werden sinnvolle Erwägungen häufig durch eine Neiddiskussion von vornherein abgewürgt."

© SZ vom 25.8.2008/kim/jkr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: