Pipers Welt:Unter Haien

Lesezeit: 3 min

An dieser Stelle schreibt jeden zweiten Freitag Nikolaus Piper. Illustration: Bernd Schifferdecker (Foto: N/A)

Der Berliner Mietendeckel wird ein Jahr alt. Er zeigt beispielhaft, warum Preisstopps nicht funktionieren.

Von Nikolaus Piper

Es sagt sich so leicht dahin: Wenn die Nachfrage nach einem Gut schneller steigt als das Angebot, dann steigt der Preis. In der realen Welt können steigende Preise für viele Menschen sinkenden Lebensstandard, wenn nicht echte Not bedeuten. Das fördert die Neigung, nach Schuldigen für den Preisanstieg zu suchen und das Ganze politisch zu instrumentalisieren. In den 1970er-Jahren etwa, als in der ganzen westlichen Welt die Preise außer Kontrolle geraten waren, versuchten CDU und CSU, den damaligen SPD-Kanzler Helmut Schmidt dafür verantwortlich zu machen. Sehr beliebt war damals dieser Witz: Was passiert, wenn Helmut Schmidt in die Wüste kommt? Antwort: Erst gar nichts, dann wird der Sand teurer.

Schöne Fundstücke aus dieser Zeit sind auch die Plakate der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP). Die Partei - sie wurde zu einem erheblichen Teil von der DDR finanziert - betrieb damals eine Kampagne für einen Preisstopp in der Bundesrepublik. Ein Plakat zierte die Schlagzeile: "Damit das Haushaltsgeld reicht. Preise stoppen, Mieten stoppen, Löhne rauf!" Und als in München die Fahrscheine im Nahverkehr teurer werden sollten, plakatierte die Partei: "Stoppt die MVV-Haie!" (gemeint war der öffentliche Münchner Verkehrs-und Tarifverbund). Die Idee mit dem Preisstopp hatte vor der DKP schon der amerikanische Präsident Richard Nixon, heute vor allem bekannt durch den Watergate-Skandal. Nixon ließ am 15. August 1971 Preise und Löhne in den USA für 90 Tage einfrieren. Als der Preisstopp auslief, stiegen die Preise wie vorher, wenn nicht sogar schneller.

Das Bußgeld kann bis zu 500 000 Euro betragen

Der Rückblick ist hilfreich, wenn jetzt der erste Jahrestag des Mietendeckels in der Bundeshauptstadt Berlin zelebriert wird. Der Berliner Senat hatte am 23. Februar 2020 ein Gesetz in Kraft gesetzt, das die meisten Mieten in der Stadt auf dem Stand vom 18. Juni 2019 einfriert. Für viele Mieter bedeutet das sogar eine Mietkürzung. Ausgenommen sind Wohnungen, die erst 2014 oder später bezugsfertig wurden. Mit dem Deckel sei die "Wende in der Mietenentwicklung" eingeleitet, lobte sich der zuständige Senator Sebastian Scheel (Die Linke) selbst. Die "meisten Vermieter:innen" verhielten sich gesetzeskonform, trotzdem sah sich Scheel zu einer Warnung veranlasst: "Der Mietendeckel ist ein Verbotsgesetz. Verstöße werden von Amts wegen verfolgt und geahndet. Das Bußgeld kann bis zu 500 000 Euro betragen." Der Böse ist in Berlin der "Miethai".

Von einer Wende kann in Berlin allerdings nicht die Rede sein. Der Fall zeigt vielmehr, was passiert, wenn man den Deckel auf einen Topf setzt, ohne die Herdplatte runterzudrehen: Der Dampf entweicht dort, wo er nicht soll. Nach einer neuen Studie des Ifo-Instituts stiegen zwar im gedeckelten Teil des Berliner Wohnungsmarktes nicht nur die Mieten, sondern auch die Kaufpreise von Wohnungen langsamer als in anderen deutschen Großstädten. Im nicht gedeckelten Teil dagegen stiegen sie deutlich schneller. Einige Vermieter, etwa Genossenschaften, suchen nach "Schlupflöchern" (so das Neue Deutschland), um den wirtschaftlichen Druck zu lindern. Per Inserat werden in Berlin deutlich weniger Wohnungen angeboten als früher - ein Indiz dafür, dass das Angebot schrumpft.

Der Mietendeckel ist ein schönes Stück angewandte Preistheorie. Die Nachfrage - im Bild also die heiße Herdplatte - lässt sich nicht per Gesetz drosseln. Das Angebot dagegen, Bauland, ist seiner Natur nach begrenzt. Es lässt sich zwar erhöhen, aber zu immer höheren Kosten. In der Bundesrepublik Deutschland leben heute 83,2 Millionen Menschen, dank der Zuwanderer so viel wie noch nie. Gleichzeitig braucht jeder Einwohner im Durchschnitt immer mehr Wohnraum. 1990 waren es in Westdeutschland 36,4 Quadratmeter, heute ist die Fläche auf 47,7 Quadratmeter gestiegen. Das drückt wachsenden Wohlstand aus, aber auch einen veränderten Lebensstil. Die Haushalte werden kleiner, ein Singlehaushalt braucht pro Kopf mehr Wohnraum als eine vierköpfige Familie. Für junge, ungebundene Menschen ist das Leben in der Großstadt besonders attraktiv, weshalb es immer mehr von ihnen nach Berlin oder München zieht.

Viele Ideen gibt es zu dem Thema. Die Landflucht wäre vielleicht zu bremsen, indem Bund und Länder wesentlich mehr in den ländlichen Raum investieren. Aber auch wenn das geschieht, wird es die Uckermark nicht mit Berlin oder München aufnehmen können, was die Dichte an Museen, Theatern und Szenekneipen betrifft. Vielleicht hilft auch die Digitalisierung. Der Lockdown hat gezeigt, dass sich qualifizierte Arbeit aus dem Home-Office irgendwo im Bayerischen Wald verrichten lässt, vorausgesetzt Wlan ist verfügbar. Wie sehr das die Metropolen entlastet, weiß man noch nicht. Oder "bauen, bauen, bauen", wie viele Politiker sagen? Natürlich ist das richtig, doch werden, so knapp wie der Raum nun einmal ist, die Konflikte zunehmen, besonders mit dem Naturschutz. Bürgerinitiativen aus München und dem Umland können dazu viele Geschichten erzählen. Richtig ist es auch, dass der Staat mehr Sozialwohnungen anbietet und dass er sich um Vermieter kümmert, die ihre Marktmacht missbrauchen.

Es ist ein Rückfall in die Zeit von Richard Nixon und DKP

Was allerdings ganz sicher nicht hilft, ist es, alle Vermieter als "Miethaie" unter Generalverdacht zu stellen. Ebenso wenig hilft es, besonders kleine Vermieter unter wirtschaftlichen Druck zu setzen und dafür die Mieter großer Altbauwohnungen besonders zu schützen. Es ist ein Rückfall in die Zeit von Richard Nixon und DKP.

Bis zum Sommer will das Bundesverfassungsgericht über den Berliner Mietendeckel entschieden haben.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: