Luxus-Hersteller Wiesmann pleite:Bedrohter Gecko aus der Lehmkuhle

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Als die Welt noch in Ordnung war: Friedhelm (li.) und Martin Wiesmann mit dem GT MF4-S. (Foto: Bernd Thissen/dpa)

Der erste Käufer des Luxus-Roadsters war ein Tennisprofi. Die Auto-Manufaktur Wiesmann lebte zwanzig Jahre ganz gut in der Nische made in Dülmen. Jetzt ist der Hersteller aus dem Münsterland pleite. Aber die rasanten Boliden soll es auch in Zukunft geben.

Von Michael Kuntz

Es ist ein Auto für Ästheten. Der Wiesmann hat ein Armaturenbrett, das leicht schräg ins Innere des Sportwagens ragt. Der Fahrer hat alle Instrumente und Schalter im Blick. Auch der Beifahrer, beziehungsweise bevorzugt eine Beifahrerin, darf sich an kostbarem Leder erfreuen und anderen Details einer exklusiven Innenausstattung. Die technische Verwandtschaft des Sportwagens aus dem Münsterland mit dem Serien-Zweisitzer von BMW gerät schnell in Vergessenheit.

Wer sich emotional einfangen lässt von dem Roadster mit den runden Formen der Karosserie und dem kraftvollen Motor und ein solches Luxus-Fahrzeug dann auch besitzen möchte, der sollte über genügend Spielgeld verfügen. Der Einstiegspreis liegt über der Marke von 100 000 Euro. Für das Spitzenmodell mit ein paar Extras lässt sich leicht mehr als doppelt so viel ausgeben.

Angesichts dieser Preise ist es kein Wunder, dass Deutschlands kleinste Automanufaktur in zwei Jahrzehnten nur 1600 Sportwagen gebaut hat. Die rollenden Raritäten könnten demnächst aber noch rarer werden, denn um die Zukunft des Familienunternehmens im westfälischen Dülmen ist es nicht gut bestellt. Wiesmann hat in dieser Woche Insolvenz angemeldet, der Rechtsanwalt Norbert Küpper wurde vom Amtsgericht in Münster als vorläufiger Insolvenzverwalter eingesetzt.

Die Zukunft liegt bei Wiesmann im Export

Das muss noch nicht das Ende bedeuten. Die Firma mit zuletzt knapp 110 Beschäftigten soll fortgeführt werden. Das neue Insolvenzrecht lässt diese Möglichkeit ausdrücklich zu. Man sehe in jedem Fall eine Zukunft für das Unternehmen und führe Gespräche mit potenziellen Investoren, versicherte ein Sprecher. Das Insolvenzverfahren sei beantragt worden, um das Unternehmen zukunftsorientiert aufstellen zu können.

Die Zukunft liegt bei Wiesmann im Export. Und genau der ist schwieriger für eine kleine Sportwagen-Schmiede als für einen Weltkonzern, der mehrere Millionen Fahrzeuge in viele Länder verkauft. Das Marktsegment von Wiesmann ist überschaubar. Marktforscher hielten einen Absatz für die rasanten Roadster aus dem Münsterland von 150 Exemplaren in Deutschland für möglich. Weltweit sahen sie ein zehnmal so großes Potenzial für die Fahrzeuge mit dem Gecko als Markenzeichen. Das Tier wurde nicht von ungefähr ausgewählt: "Ein Wiesmann liegt auf der Straße, wie ein Gecko an der Wand klebt." Überall auf der Welt.

Zunächst konzentrierte sich Wiesmann auf Spanien und Portugal. Danach wollte man den Schritt nach Nordamerika machen. 2010 kündigte Friedhelm Wiesmann im Handelsblatt an: "Den US-Markt wollen wir in drei bis fünf Jahren ins Visier nehmen." Schon damals aber schränkte er ein: "Dort sind die Eintrittsbarrieren wie das Wechselkursrisiko hoch." Man werde eine Endmontage vor Ort aufbauen müssen, um in Dollar abrechnen zu können.

Vor fünf Jahren bauten die Brüder Friedhelm und Martin Wiesmann eine gläserne Manufaktur An der Lehmkuhle 87 in Dülmen. Sie verdoppelten damit die Fläche für die Produktion auf 6000 Quadratmeter. Die Motoren, Getriebe, Lenkung, Bremsen und Elektronik kommen von BMW. Das Chassis, die Karosserie und die Inneneinrichtung baut Wiesmann selber. Vieles ist Handarbeit. Mehr als 3500 Teile werden in 350 Arbeitsstunden verbaut.

So ungewöhnlich wie ihre Produkte sind auch die beiden Firmengründer, die sich im vorigen Jahr aus dem aktiven Management zurückgezogen haben. Um Sportwagen zu bauen, gaben sie sichere Jobs auf, verpfändeten eine Villa und produzierten zunächst winterfeste Dächer für BMW Cabrios. Der Betriebswirt Friedhelm Wiesmann hatte mit seinem Schwiegervater zusammen einen Hersteller für Kindertextilien geführt, sein Bruder Martin entwickelte als angestellter Ingenieur Pumpen.

Recht ungewöhnlich war auch das hausgemachte Marketing: Einer der Wiesmann-Brüder fuhr mit dem ersten Roadster nach Hamburg zum Tennisturnier am Rothenbaum und mietete sich ein im Hotel, in dem die Spieler wohnten. Das Auto parkte am Empfang, gegen ein Trinkgeld. Die Aktion war ein Erfolg, der damalige Weltranglistenvierte Andrej Medwedew wurde der erste Käufer eines Wiesmann-Roadsters.

Vor allem finanziell unabhängige Männer über 50 Jahre legen sich die Autos aus der Dülmener Lehmkuhle zu. Es ist meist nicht ihr einziges. Wiesmann hat die Faszination seiner Edel-Roadster mal so erklärt: "Kunden, die ein leichtes Sportwagen-Feeling haben wollen, entscheiden sich für den SL von Mercedes. Wer die sportlichere Variante liebt, nimmt Wiesmann oder Porsche. Extremere Fahrer kaufen einen britischen Morgan." Soweit die Theorie. Im wahren Luxusleben kauft sich der bekennende und finanziell potente Sportwagenfahrer jeweils ein Exemplar von allen.

© SZ vom 17.08.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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