Luftverkehr:Personalnot bringt Flughäfen in Bedrängnis

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Das Terminal 2 am Frankfurter Flughafen im April 2020. Es wurde wegen der Corona-Pandemie geschlossen. Viele Mitarbeiter wechselten den Job. Heute fehlen sie. (Foto: Boris Roessler/dpa)

Lange Wartezeiten, Verspätungen und vermisste Koffer: Noch immer fliegen weniger Menschen als vor der Pandemie, aber zwischen Check-in und Gepäckbändern gibt es viele Probleme. Die Lufthansa zieht in Frankfurt nun Konsequenzen.

Von Jens Flottau, Frankfurt

Es ist spät geworden, die Kinder müde, die Eltern leicht gestresst, aber nun ist ja wohl bald ein Ende in Sicht. Zwei Stunden Flugzeit von Catania nach Frankfurt, eine Stunde Verspätung, jetzt noch die Koffer holen und dann ab nach Hause. Doch das Gepäckband will sich nicht bewegen. Stattdessen leuchtet eine neue Information auf der Anzeigetafel: Die Gepäckausgabe verzögert sich.

Viele, die in diesen Wochen wieder begonnen haben, mit dem Flugzeug zu reisen, haben zuletzt solche oder ähnliche Déjà-vu-Erlebnisse gehabt. Kaum sind die vielen Reisebeschränkungen zumindest in Europa und nun auch auf dem Nordatlantik aufgehoben, kommen die alten Probleme zurück. Vor allem zu Spitzenzeiten scheint es an allen Ecken und Enden zu haken, obwohl die Zahl der Passagiere noch lange nicht das Niveau von 2019 erreicht hat. In Berlin empfahl die Lufthansa ihren Gästen, vier Stunden vor Abflug am Flughafen zu sein - sicher ist sicher. Am Drehkreuz Frankfurt: Schlangen, Wartezeiten und Verspätungen. Einsatzpläne für Flugzeuge, die durcheinandergeraten, Koffer, die nicht mehr mitkommen, Passagiere, die ihre Anschlussflüge verpassen.

"Wir haben im Durchschnitt sehr gute Pünktlichkeitswerte im Vergleich zu 2019. Aber zu den Spitzenzeiten kommt die Infrastruktur der Flughäfen mit ihrer aktuellen personellen Kapazität an ihre Grenzen", sagt Detlef Kayser. Kayser ist im Lufthansa-Vorstand für Infrastruktur und Flottenstrategie zuständig, also unter anderem für die Beziehungen zu Flughäfen und Flugsicherung.

Viele Gepäcklader oder Busfahrer haben sich andere Jobs gesucht

Derzeit sind die Bodendienstarbeiter das Nadelöhr. Sie fertigen die Flugzeuge ab, laden das Gepäck ein, betanken die Maschinen oder fahren die Passagiere in Bussen auf die manchmal weit entfernten Abstellpositionen der Maschinen auf dem Vorfeld. In den schlimmsten Pandemie-Zeiten waren die meisten von ihnen in Kurzarbeit. Doch angesichts der sowieso schon oft niedrigen Gehälter haben sich viele ehemalige Gepäcklader oder Busfahrer andere Jobs gesucht - zumal es in anderen Branchen einen zum Teil erheblichen Mangel an Arbeitskräften gibt. Zugleich haben die Fluggesellschaften wie Lufthansa ihre Flugpläne stark fokussiert: Mittlerweile fertigen sie zu Spitzenzeiten fast schon wieder so viele Flüge ab wie vor der Krise, doch dann ist wieder stundenlang fast nichts los.

Für die Flughäfen ist dies ein planerischer Albtraum. Wenn sie genug Personal für die Spitzen vorhalten, sind die Kosten nicht zu rechtfertigen. Orientieren sie sich am durchschnittlichen Aufkommen, haben sie zu den Stoßzeiten zu wenige Leute. Laut Stefan Schulte, Chef des Flughafenbetreibers Fraport, standen in Frankfurt im August 75 Prozent der Gepäcklader zur Verfügung, aber es fanden in der Spitze bis zu 90 Prozent der Flüge statt wie vor Corona. Seit Juli stellt Fraport wieder ein, aber es ist oft schwierig, schnell Leute zu finden, zumal diese für die Arbeit an einem Flughafen eine spezielle Sicherheitsüberprüfung bestehen müssen. Bei Weitem nicht alle kommen am Ende durch.

Außerdem macht die Pandemie die Abläufe komplizierter. Viele, die früher online eingecheckt und direkt zum Gate gegangen sind, müssen nun am Schalter Impfnachweise oder Testergebnisse vorlegen. Und viele Passagiere hätten, so Schulte, wegen der langen Reisepause schlicht vergessen, wie manche Dinge an einem Flughafen funktionieren. "Das ist eine große Herausforderung, das werden wir aber hinkriegen", so der Fraport-Chef. Zumal dann, wenn die Flugpläne nicht mehr so extrem auf bestimmte Zeiten konzentriert seien.

Es gibt viel Improvisationsaufwand hinter den Kulissen

Lufthansa-Vorstand Kayser aber kritisiert, manche Flughäfen hätten sich "noch nicht ausreichend auf die veränderten Flugpläne und die komplizierter gewordenen Prozesse eingestellt". Lufthansa habe weit im Voraus bei vielen Sitzungen mit den Airports klar kommuniziert, wie sie im Sommer und Herbst 2021 den Hochlauf gestalten will. Der Aufwand in der Abfertigung sei also absehbar und planbar gewesen. In Frankfurt gehe es zu den Spitzenzeiten um 200 bis 300 Leute. Lufthansa habe vorgeschlagen, Studenten oder Minijobber zu nutzen, statt nur darauf zu setzen, neue Vollzeitkräfte zu finden.

Bitte warten: Passagiere stehen auf dem Flughafen Frankfurt am Check-In von Singapore Airlines für einen Flug nach New York an. (Foto: Sebastian Gollnow/dpa)

Die Airlines und die Kunden müssen es weiterhin ausbaden. Es gibt derzeit fast gar keine Flugabsagen, aber viel Improvisationsaufwand hinter den Kulissen. Normalerweise hat die Lufthansa eine Pünktlichkeitsrate von gut 80 Prozent - das ist der Anteil der Maschinen, die wie geplant oder bis zu 15 Minuten nach der vorgesehen Abflugzeit die Parkposition verlassen. Zu den Spitzenzeiten aber sinken die Werte schon jetzt wieder auf 60 bis 70 Prozent, weil die Lufthansa in der Regel auf die Gäste und Gepäck wartet, statt sie umzubuchen und stehenzulassen.

Für Frankfurt hat das jetzt Konsequenzen. Seit Anfang 2020 hatte Lufthansa praktisch die gesamte Langstrecke über ihr größtes Drehkreuz laufen lassen. Nun sollen vier neue Airbus- A350-Langstreckenjets, die 2022 ausgeliefert werden, doch in München stationiert werden.

Für die Airlines werden in den nächsten Jahren die Gebühren drastisch steigen

Doch der Rhein/Main-Airport ist nicht das einzige Problem. Berlin etwa hat auch zu wenige Leute. Darüber hinaus hat die Flughafengesellschaft das Terminal 2 am BER aus Kostengründen immer noch geschlossen, dadurch wird es im Terminal 1 oft eng. "Man spürt auch bereits wieder die Limitierung der Infrastruktur, obwohl wir noch weit von den Passagierzahlen von 2019 entfernt sind", sagt Kayser. "Die Sicherheitskontrollen so nahe an den Check-in-Schaltern zu haben, ist ungünstig." Der Lufthansa-Vorstand glaubt, dass auf Dauer Umbauten im Terminal nicht zu vermeiden sind.

Vor der Corona-Pandemie war die Flugsicherung wegen der schieren Menge der zu kontrollierende Flüge an und über ihre Grenzen geraten. Vor allem das Kontrollzentrum in Karlsruhe war überlastet. Mittlerweile gilt eher Bremen als neuralgischer Punkt. "Wir sind nicht der limitierende Faktor nach der Corona-Krise", betont allerdings Arndt Schoenemann, neuer Chef der Deutschen Flugsicherung (DFS). Im Oktober lag die Zahl der Flugbewegungen bei 68,5 Prozent des Vorkrisenniveaus, bis Ende 2022 könnte sie auf 88 Prozent steigen.

Aus Sicht der DFS-Kunden ist das Problem derzeit ein ganz anderes. Die Flugsicherung "hat das Recht, die Gebührenunterdeckung des Jahres 2020 auf die nächsten Jahre umzulegen", so Kayser. "Die Airlines werden mit massiven Gebührensteigerungen in den kommenden Jahren belastet." Die DFS hat selbst 2020 keinen einzigen Lotsen in Kurzarbeit geschickt, um auf Wunsch der Bundesregierung das System in voller Kapazität bereitzuhalten. Gleichzeitig hat die DFS aber anders als die Flughäfen keine Zuschüsse dafür bekommen, einen Teil der kritischen Infrastruktur aufrechterhalten zu haben.

Aus Sicht von Kayser ein Unding: "Wir müssen nachträglich für eine Dienstleistung zahlen, die wir in der Pandemie gar nicht in Anspruch genommen haben." Bei Lufthansa machen die erwarteten Steigerungen von zwischen 90 und 110 Prozent jährlich einen dreistelligen Millionenbetrag aus. Sie selbst rechnet allenfalls 2022 wieder mit einem kleinen Gewinn.

Das Gepäckband in Frankfurt ist dann übrigens doch noch irgendwann angelaufen und hat die Koffer aus dem Flughafenkeller hochbefördert. Auf die halbe Stunde extra ist es da schon nicht mehr angekommen.

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