Luftfahrt:Krank vor Sorge

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Die zweitgrößte deutsche Fluggesellschaft Air Berlin will ihre Flugzeugflotte halbieren und sich vom Tourismus-Geschäft trennen. (Foto: Britta Pedersen/dpa)

Der Touristikkonzern Tui will seine Fluggesellschaft los werden. Doch die Mitarbeiter wehren sich gegen den Verkauf und bleiben in großer Zahl zu Hause. Etliche Flüge fallen deshalb aus.

Von Jens Flottau, Frankfurt

Wegen der Auseinandersetzungen um den geplanten Verkauf der Ferienfluggesellschaft Tuifly hat der Reiseveranstalter zu drastischen Mitteln gegriffen: Nach SZ-Informationen stornierte das Unternehmen die Reiseverträge zahlreicher Passagiere, weil nicht absehbar sei, wann die Flüge ausgeführt werden könnten, 24 Flüge mussten, weil sich das fliegende Personal massenhaft krank meldet, gestrichen werden. "Wir werden Ihre Buchung im Laufe des Tages stornieren, sodass Sie ihren Reisepreis umgehend zurückerhalten", hieß es in Aushängen. Tui bestätigte die Stornierung für den Fall, dass Flüge nicht durchgeführt werden könnten und keine alternativen Beförderungsmöglichkeiten absehbar seien.

Der Konzern hatte am Mittwoch erstmals öffentlich Verhandlungen mit Air Berlin-Anteilseigner Etihad bestätigt. Die beiden wollen eine neue Ferienfluggesellschaft gründen, in die Tuifly, der Wiener Air-Berlin-Ableger Niki und 14 von Tuifly an Air Berlin vermietete Boeing 737 eingebracht werden sollen. Tui und Etihad würden dem Vernehmen nach je 24,9 Prozent halten, eine österreichische Stiftung 50,2 Prozent. Der Tui-Aufsichtsrat soll das Vorhaben am 26. Oktober genehmigen.

Die Verkaufspläne sind eine Folge der existenziellen Krise von Air Berlin

Vertreter der Tuifly-Mitarbeiter kündigten Widerstand an und haben einen Krisenstab gegründet. In einer internen Mitteilung heißt es, ein Treffen mit der Tuifly-Geschäftsführung habe "leider keine guten Nachrichten" gebracht. Diese habe an den Verkaufsplänen festgehalten und sich geweigert, über Alternativen zu verhandeln. Mitarbeiter protestierten am Mittwoch spontan vor der Tuifly-Zentrale in Hannover. Seit dem Wochenende hatten sich zahlreiche Beschäftigte krankgemeldet, der Flugbetrieb stand einem internen Schreiben zufolge "kurz vor dem Kollaps." Am Mittwoch war die Lage dramatisch: Tuifly musste etwa ein Viertel der 99 geplanten Flüge streichen. Das Unternehmen kritisierte, die Krankmeldungen schadeten "Kunden und Mitarbeitern in hohem Maße". In den Herbstferien seien viele Familien mit Kindern betroffen. Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) hält die Tui-Pläne für "nachvollziehbar", sie seien "ein Weg, der überzeugend sein kann".

Die Verkaufspläne sind eine Folge der existenziellen Krise von Air Berlin. Diese will die eigene Flotte halbieren und sich vom touristischen Geschäft trennen, zu dem auch die 14 Tuifly-Maschinen gehören. Der Konzern muss nun alternative Verwendungsmöglichkeiten für Flugzeuge und Mitarbeiter finden. Tui hat auch deswegen ein hohes Eigeninteresse daran, Air Berlin zu stützen, weil Gäste der hauseigenen Reiseveranstalter von Air Berlin an ihren Urlaubsort geflogen werden sollen.

Die finanziell angeschlagene Fluggesellschaft hatte sich mit Lufthansa in Grundzügen darauf geeinigt, 40 weitere Jets mit Besatzungen langfristig zu vermieten. Der Übergang an die Lufthansa-Tochtergesellschaften Eurowings und Austrian ist aber im Detail noch nicht ausverhandelt. Vor allem besteht erhebliche Unsicherheit darüber, in welchem Umfang und wie lange Eurowings den von Air Berlin angebotenen touristischen Flugplan auch nach dem Transfer abdeckt und wann die Maschinen auf andere Strecken geschickt werden. Air Berlin sah sich bereits Ende vergangener Woche gezwungen, in einer Stellungnahme den weiteren Flugplan zu garantieren.

Sowohl Tui als auch Etihad eröffnen die Fusionspläne der Airlines die Chance, schon länger gehegte Pläne umzusetzen. Tui hat Branchenkreisen zufolge schon lange versucht, ihre vergleichsweise teuer operierende Ferienfluggesellschaft zu verkaufen. Nun kann sie dies umsetzen. Etihad hatte noch nie Interesse daran, das Ferienflugnetz bei Air Berlin zu behalten. Da die komplette Air Berlin-Flotte geleast ist, war es allerdings nicht möglich, kurzfristig Maschinen abzugeben. Zu Etihads und Air Berlins Vorteil hat nun Lufthansa Interesse an einem Mietgeschäft, denn auf diese Weise kann der eigene Billigableger Eurowings viel schneller wachsen.

Dass sich Lufthansa gegen die Billigflug-Größen Ryanair und Easyjet wappnen muss, zeigen die Pläne von Ryanair, das Angebot in Deutschland deutlich auszubauen, in Hamburg um 180 Prozent, in Nürnberg gar um 400 Prozent. Ryanair spricht nach eigenen Angaben mit weiteren deutschen Flughäfen, die Verkehrsrückgänge wegen der Air Berlin-Krise befürchten.

© SZ vom 06.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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