Luftfahrt:Goldene Mitte

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Das Geschäft mit großen und kleinen Flugzeugen läuft gut für die beiden Hersteller Airbus und Boeing. Nun rätselt die Branche, ob es vielleicht bald ein drittes Segment gibt.

Von Jens Flottau, Farnborough

Normalerweise läuft es so: Im Sommer trifft sich die Luftfahrtbranche entweder in Paris oder in Farnborough in der Nähe von London. Neue Flugzeug-Programme werden gestartet, große Aufträge bekannt gegeben, Flugvorführungen bewundert, und zwischendurch wird mit Lieferanten und Auftraggebern verhandelt. Am Ende der Woche sind alle Beteiligten ein bisschen schlauer, was die Marktlage und die Konkurrenz angeht, und verabschieden sich für ein paar Wochen in den Urlaub.

Bei der diesjährigen Farnborough Airshow, die in dieser Woche stattfindet, haben die beiden großen Flugzeughersteller Boeing und Airbus auch schon jede Menge Aufträge eingeheimst. Sie deuten darauf hin, dass der langjährige Aufschwung der Branche weitergeht und dass Airbus mit der Übernahme des sogenannten C-Series-Programms des kanadischen Herstellers Bombardier die richtige Entscheidung getroffen hat. Doch die spannendste Frage blieb unbeantwortet und wurde vor allem abseits der großen Foren heftig diskutiert: Was passiert künftig im mittleren Marktsegment?

Seit Jahrzehnten bauen Boeing und Airbus entweder Flugzeuge für Kurz- und Mittelstrecken, die sogenannten Narrowbodies mit einem Gang in der Mitte - Beispiele sind die Boeing 737 und der Airbus A320neo. Für die Langstrecken produzieren sie Großraumjets, in denen die Passagiere sich in zwei Gängen bewegen können. Die beiden Segmente sind bislang klar voneinander getrennt, doch Boeing glaubt nun, einen riesigen Markt dazwischen entdeckt zu haben, und arbeitet seit Längerem im Geheimen am sogenannten New Mid-Market Airplane (NMA). Die Maschine soll in zwei Versionen mit 220 und 270 Sitzen angeboten werden, pro Sitz mehr als 20 Prozent weniger Sprit verbrauchen als heute üblich, und sowohl Kurz- als auch Transatlantikstrecken fliegen können. Damit würde NMA zwischen Jets wie der A320- und der A330-Reihe von Airbus oder der 737 und der 787 von Boeing positioniert werden.

Immer wieder hat es Versuche gegeben, die traditionelle Zweiteilung aufzuweichen, ohne Erfolg. Boeing hat das einmal gewagt - mit der 757. Der Jet wird aber seit 2004 nicht mehr gebaut. Nun also ein neuer Anlauf.

Geplant war zunächst, das Multi-Milliarden-Projekt in Farnborough offiziell zu starten. Doch die Branche ist gespalten. Boeing glaubt, dass Fluggesellschaften in dem Segment rund 5000 Flugzeuge in den kommenden 20 Jahren kaufen werden. Anders dagegen die Triebwerkshersteller, die neue Motoren für das Flugzeug entwickeln müssten. Sie haben Zweifel. Ende Juni reichten sie erste Vorschläge ein, doch bis zum offiziellen Start sind noch viele Verhandlungsrunden nötig. Das liegt vor allem daran, dass Airbus seinem Konkurrenten das Leben so schwer wie möglich machen will. Airbus will kein neues Modell für das Segment entwickeln, sondern mit dem Langstreckenjet A330neo und der A321neo dagegenhalten. Die A321neo wurde eigentlich für kürzere Strecken entwickelt, soll aber zusätzliche Reichweite bekommen. "Boeing hat eine Lücke, aber wir haben die Produkte schon jetzt", sagt Guillaume Faury, Chef der Airbus-Zivilsparte. Wenn diese weiter verbessert würden, werde man Boeing die Kalkulation beim NMA-Projekt "noch schwerer machen".

Der neue Boeing-Jet soll frühestens 2025 auf den Markt kommen, Lufthansa-Chef Carsten Spohr glaubt sogar, dass dies eher erst 2030 der Fall sein wird - in der Luftfahrt sind die Entwicklungszyklen wegen der hohen Kosten viel länger als etwa in der Automobilbranche. Boeing scheint zwar fest entschlossen, das Flugzeug zu bauen, die Frage ist aber, wie es am Ende aussehen wird. Denn Airbus hat es geschafft, den Marktanteil seiner A320neo-Reihe gegenüber der 737 MAX von Boeing auf derzeit mehr als 60 Prozent auszubauen. Auf Dauer kann sich der US-Konzern diesen Zustand trotz allgemein steigender Produktion nicht leisten. Denn je größer der Output, desto geringer die Produktionskosten. Derzeit ist Airbus hier im Vorteil, dank der hohen Verkaufszahlen der A320neo-Reihe und entsprechend sinkender Kosten steigt der Gewinn, während Boeing mit der in die Jahre gekommenen 737-Reihe zu kämpfen hat.

Nick Cunningham, Analyst bei Agency Partners in London, glaubt daher, dass der Konzern gerade dabei ist, viele Milliarden für ein Projekt mit zweifelhaften Aussichten zu verwenden, aber das Kerngeschäft zu vernachlässigen: "Es könnte sein, dass Boeing gerade einen schweren Fehler macht", sagt Cunningham. "Die NMA-Nische wird sehr klein sein. Boeings eigentliches Problem ist der Narrowbody-Markt. Aber wenn man acht bis zwölf Milliarden Dollar investiert, warum nicht dort, wo man gerade Marktanteile verliert?"

3,8 Milliarden Dollar will Boeing bereits investieren, um 80 Prozent des Zivilflugzeuggeschäftes des brasilianischen Herstellers Embraer zu übernehmen. Wie nötig das ist, haben die vergangenen Tage gezeigt: Airbus konnte zwei große Aufträge für die von Bombardier übernommene C Series, die nun A220 heißt, landen. Boeing hatte - noch ohne Embraer - kein Konkurrenzmodell zu bieten.

© SZ vom 19.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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